Türkischer Wahlkampf in Berlin

erdogan_demo_titel.jpg

Fotos: © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Noch bevor sich der türkische Ministerpräsident Erdogan im großen Berliner Tempodrom von seinen Anhängern medienwirksam feiern ließ, ging auch eine Oppositionsgruppe der Alevitischen Gemeinde auf die Straße.

 

Recep Tayyip Erdogan ist auf einem Arbeitsbesuch, so heißt es, bei seiner Amtskollegin Angela Merkel. Ebenso wie Barak Obama belegt der Minister­präsident Erdogan im Luxus­hotel Riz Carlton eine ganze Etage. Damit ist er in Berlin ebenso abgesichert wie es sein amerikanischer Amts­kollege zuvor war.

Für den gestrigen 4. Februar 2014 gab es drei Einladungen zu Kund­gebungen und Demonstrationen. Die Alevitische Gemeinde zu Berlin e. V. hatte auf den Pariser Platz am Brandenburger Tor gerufen. Um 13:00 Uhr war Treff­punkt unter der Devise: "Für Freiheit, Gleichheit und Demokratie protestieren wir gegen Erdogan!"

Die Sonne schien, bundesweit kamen die Teilnehmer angereist, andere mit kürzeren Anfahrten. Auch ich hatte es bequem mit einem kleinen Fußweg durch Berlin-Mitte.

Fröhlich, bunt, bewegt ist es. Aber der türkischen Sprache nicht mächtig, verstehe ich kein Wort aus dem Laut­sprecher; ein großer Teil der Transparente bleibt mir verschlossen. Positiv daran ist, dass die Menschen in der Türkei durch die Bericht­erstattung erreicht werden und sich selbst ein Bild machen können.

 

Um zu verstehen, durfte ich fragen und mit den Demonstrierenden sprechen und das tat ich gerne, z. B.: "Sie tragen ein Transparent, bitte, was steht darauf, was führt Sie heute hier zu dieser Kund­gebung? Mögen Sie Ihre Antwort in das Auf­zeichnungs­gerät sprechen?"

Hier drei von vielen Antworten: "Der türkische Minister­präsident ist ein Dieb, er ist gleich Berlusconi und gehört weg!"

"Ich bin hier gegen die Politik von Erdogan hier. Mit ihm ist ein Schritt in die Vergangen­heit geschehen. ..."

"Die jungen Frauen hier haben sich als Pinguine verkleidet. Während der Proteste im Gezi-Park wurden uns Tierfilme und speziell immer wieder Pinguine gezeigt. Es gab keine ehrliche Berichterstattung über die Ereignisse ..."

Um 15:00 beginnt eine junge Frau zu singen. Sie hält das Mikrofon, über das die Reden in türkischer Sprache über die Lautsprecher übertragen wurden. Die junge Frau auf der Bühne singt fröhlich und leiden­schaftlich. Draußen auf dem Platz wird heftig mit allen Geräten der Smartphon-Industrie fotografiert und gefilmt, Menschen beginnen zu tanzen, die Transparente werden eingerollt. Problemlos gibt der Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde zu Berlin, Ahmet Taner, seine Einschätzung zur Situation.

Anzunehmen ist, das Erdogan bei der Bundes­kanzlerin Frau Merkel die Lage anders darstellen wird. Doch in der Türkei "ist nicht alles so schön", wie er es dort berichten wird. Große Probleme gibt es im Land hinsichtlich Demokratie, Menschen­rechte und Pluralismus. Unter dem Deck­mantel der AKP wird Religion als politisches Instrument eingesetzt. Doch eigentlich steckt nichts anderes dahinter als Korruption.

Die Aleviten sagen, dass schon seit 10 oder 12 Jahren massiv Geld unter­schlagen wird. Vorwürfe darüber wurden nicht aufgeklärt, sie wurden beschwichtigt. Jetzt ist es offensichtlich geworden: Ein riesiger Korruptions-Apparat steckt dahinter.

Dass Erdogan in der Türkei eine spezielle Macht hat, ist u. a. damit begründet, dass es unter der AKP nicht nur Verlierer sondern auch Gewinner gibt und die "stehen natürlich jetzt stramm". Bricht das System zusammen, sind auch auf dieser Seite Existenzen bedroht.

Tausende von Staatsbeamten, Richtern, Staats­anwälten und Polizisten wurden bereits aus ihren Ämtern genommen, abgelöst oder versetzt. Sie waren dem System nicht dienlich. Die tatsächliche Gewalten­teilung funktioniert in der Türkei nicht.

Die Alevitische Gemeinschaft wollte es der Bundes­kanzlerin deutlich machen, die Geschehnisse in der Türkei sollten von der Politik in Deutschland und Europa mit Bedacht beobachtet werden. Stürzt die Türkei oder sollte sie islamistisch, radikaler werden und dort das System der Demokratie endgültig abschaffen, so kann das an der Ost-Flanke der EU zu großen Schwierigkeiten führen.

Die türkische Lira ist gefallen, der Einschätzung nach wird sie weiter fallen. Seilschaften haben Staats-Geld "verschachert", unendliche Kredite bestehen. Man wird versuchen, das System aufrecht zu erhalten aber es scheint eine Frage der Zeit zu sein, bis das Finanz- und Wirtschafts­system der Türkei zusammenbricht.

Die Anzeichen sind da.

 

siehe auch: Die Deutsch-Türkischen Nachrichten zum gestrigen Besuch von Erdogan in Berlin.