Palästina ist ein schönes Land

(hpd) Andreas Altmann hat ein Buch veröffentlicht, das vermutlich zu vielen Diskussionen führen wird. Eine Reportage aus Palästina, in der der Staat Israel kritisiert wird, dürfte gerade in Deutschland wegen seiner Vergangenheit ganz sicher Zündstoff genug bieten. Der hpd sprach mit dem Autoren über das Buch und die ersten Reaktionen darauf.

Der Humanistische Pressedienst durfte bereits im vergangenen Jahr exklusiv aus dem jetzt erschienendem Buch zwei kurze Kapitel veröffentlichen. Das war im Zusammenhang mit Mauern, die überall auf der Welt neu errichtet werden. Und die neun Meter hohe Betonwand zwischen Israel und Palästina, die häufig genug weit auf den Gebieten steht, die eigentlich dem palästinensischen Staat zugesprochen sind, zieht sich durch die Köpfe einiger Menschen und das gesamte Buch.

 

hpd: Hallo Andreas. Dein neues Buch verkauft sich scheinbar wie “geschnitten Brot” – es geht auf die vierte Auflage zu. Täuscht mich mein Eindruck, dass es trotzdem nur wenig Widerhall in den Medien bisher fand?

Andreas Altmann: Ja und Nein, eine ganze Reihe von Medien haben bereits darüber berichtet oder haben mich für Interviews eingeladen, die schon gesendet wurden oder noch gesendet werden, SWR, HR, Deutschlandfunk et cetera. DIE ZEIT will etwas machen, die Süddeutsche Zeitung hat dieses Buch – wie bisher andere Bücher von mir auch – eingestampft. (Ich habe diese Kritik auf meiner Website kommentiert.)

Irgendeine Wut scheine ich bei gewissen Leuten auszulösen. Ich denke dann: Ah, gut, das Buch ist angekommen!

Andrerseits habe ich von zwei Kollegen gehört, dass in ihren Redaktionen die Parole ausgegeben wurde: Totschweigen! Ich vermute, da funktioniert das “Holocaust-Syndrom”, sprich, ein Deutscher darf Israel nicht kritisieren. Das ist schön absurd, denn was hat die Nazibarberei den Juden gegenüber mit der israelischen Politik in Palästina zu tun? Man mag es drehen und wenden, wie man will, aber die Palästinenser sind die letzten, die man für das Grauen in Deutschland und Europa vor siebzig Jahren verantwortlich machen kann.

 

Hast du schon Reaktionen bekommen, die dir “Antisemitismus” vorwerfen?

Na klar, das funktioniert wie der Pawlowsche Reflex. Kritik an Israel ist gleich Antisemit. Wie dämlich das klingt, wird schon klar, wenn man weiß, dass ja auch Araber Semiten sind. Zudem werden Juden, ob Israelis oder Nicht-Israeli, als “self hating Jews” beschimpft: wenn sie sich gegen die Verbrechen der israelischen Armee in Palästina aussprechen. Die selbstherrliche Arroganz, mit der unverzüglich mit der Rassistenkeule gefuchtelt wird, erstaunt doch. So unbelehrbar scheint sie.

 

Dabei machst du im Buch mehrfach deutlich, dass du Israel liebst. Sind die Leser nicht in der Lage, da zu differenzieren? Oder haben die Kritiker das Buch nicht gelesen und verwahren sich per se gegen jeglichen Kommentar zur politischen Situation im Konflikt zwischen den Rechten der Palästinenser und dem, was die israelischen Siedler dort tagtäglich an Landraub begehen?

Es gab schon eine Pro-Israel-Demonstration vor einer Lesung. Ich habe dann ein paar Fragen gestellt und gewusst, dass sie das Buch gar nicht kennen. Nur vom Hörensagen davon wissen. Nun, das alte Lied.

Foto: © Nathalie Bauer
Andreas Altmann, Foto: © Nathalie Bauer

Ja, auch in manchen deutschen Redaktionen gibt es die Duckmäuser, die Ja-Sager, die Nie-Denker, die Gesinnungsnutten, die sich weigern, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Und es gibt die anderen, die die Wirklichkeit aushalten und von ihr berichten.

 

Hältst du dieses Augenverschließen, diese Angst davor, zu sagen, was gerecht und was ungerecht ist, für ein rein deutsches Phänomen? Oder begegnet dir das auch zum Beispiel in Frankreich?

(lacht) Natürlich nicht. Genauso wenig, wie die Demütigungen von Seiten der israelischen Armee den Palästinensern gegenüber ein “jüdisches” Problem sind, sondern ein ganz und gar “menschliches”: Es geht um Macht und Gier und religiösen Idiotismus.

Und zufällig sind die Machthaber Juden und zufällig sind die Machtlosen Araber. So ähnlich wohl funktioniert es mit dem Duckmäuser-Quotienten. Auch den gibt es weltweit. Und hat rein nichts spezifisch Deutsches.

 

Umso erstaunlicher die Reaktionen bei deiner Lesung in Berlin. Da hatte ich den Eindruck, dass den Zuhörern im Kino Babylon sehr deutlich wurde, auf welcher Seite du steht: auf der der Menschen. Dass es in diesem Falle die Palästinenser sind, ist eher den Zufall zu verdanken. Denn anderenorts sind es andere Gruppen die aus anderen – scheinbar religiösen – Gründen unterdrückt werden. Die entsprechende Passage hast du vorgelesen. Wie waren die Reaktionen auf dein Buch bei anderen Lesungen?

Nun ich kann nur von den Reaktionen ausgehen, von denen ich gehört habe, persönlich oder per Mail. Ich denke, sie waren überaus positiv. Wobei ich bei keinem Lob irgendeinen Unterton von wegen Judenhasser, Antisemit und Israelächter herausgehört habe. Leser/Zuhörer eben, die sich wünschen, dass andere Leute, in dem Fall die Palästinenser, die Chance auf ein passables Leben bekommen. Und nicht täglich, wie seit fünfzig Jahren, bestohlen und gedemütigt werden.

 

Wenn ich dich höre, entsteht bei mir der Eindruck, dass du dich auch emotional sehr mit den Ereignissen in Palästina beschäftigt hast. Und noch immer beschäftigst. Täuscht mein Eindruck? Bist du bei jeder Reise, die du machst und über die du dann schreibst, so sehr involviert?

Ach, hoffentlich komme ich nicht als Betroffenheitsapostel rüber, einer, der ununterbrochen seine Betroffenheitsvisage herumträgt. Aber ich bewundere nun mal Leute, die für ihre Freiheit kämpfen. Denn Freisein ist das schönste Sein im Menschenleben. Viele, siehe die Native Americans (“Indianer”) oder die Aborigines in Australien. Sie kämpfen nicht mehr, sie ersaufen im – vom Weißen Mann – gereichten Feuerwasser. Die Palästinenser nicht. Sie wollen nicht ablassen von ihrem Anspruch auf Würde und Selbstverantwortung.

 

Wie hältst du das aus? Und: Hast du mit den Menschen, die du begleitet hast; die dich begleitet haben, noch Kontakt? Mit Eid Suleiman zum Beispiel?

Nun denn, ich bin Reporter, ich muss nicht alle halbe Stunde meine Mutti (hätte ich noch eine) anrufen. Ich mag nicht winseln. Die Anstrengung ist der Eintrittspreis für ein inniges Leben. Ja, mit manchen habe ich noch Kontakt, auch mit Eid.

 

Wie lange – wenn ich das fragen darf – arbeitest du an einem solchen Buch? Wie viele Reisen waren nötig und wie lange sitzt du, um die teilweise schon für den Leser kaum zu verkraftenden Eindrücke dann aus deinen Tagebüchern in eine Form zu bringen, die wir dann als Leser kaufen können? Ist dabei das Aufschreiben für dich auch eine Form von Therapie, die erlebten Dinge zu verarbeiten?

Sagen wir, ein Buch bedeutet immer ein Jahr Lebenszeit. Alles inklusive, das Recherchieren, das Reisen, das Schreiben, die Arbeit mit dem Lektor. Hm, Therapie? Ich weiß nicht, aber das klingt sehr nach Diplompsychologie. Was ist das: Verarbeiten? Ich muss mit dem, was ich als Reporter gesehen und gefühlt und gehört habe, leben. Basta. Ich will stark sein, ich will Mann sein.

 

Abschließend noch eine persönliche Anmerkung und Frage. Ich halte das Palästina-Buch für deine bisher beste Reportage. Hat es – nicht nur, weil es das jüngste “Kind” ist – auch für dich so eine hervorragende Stellung im Stapel deiner immerhin bereits 17 Bücher?

Nijet, denn wie jeder gute Vater liebe ich alle meine 17 Kinder, sprich Bücher, gleich. Trotz ihrer Schwächen. Jedes Projekt, das ich unternehme, interessiert mich aufs Äußerste. Sonst würde ich es nicht tun, nicht dafür schwitzen, nicht malochen, nicht ein paar Risiken auf mich nehmen. Dass Dir das Buch so nah ist, hat wohl mit Deiner Biografie zu tun, deinen Lieben und Vorlieben.
Sobald der Autor ein Buch veröffentlicht, gehört es ihm nicht mehr, es gehört dem Leser, der Leserin. Sie machen damit, was sie wollen: Jeder sieht in den 200/300 Seiten, was er glaubt zu sehen.

Durchaus lustig sind natürlich die Kommentare, die nach jedem Buch eintreffen: “Ich muss sagen, Herr Altmann, das ist ihr bestes Buch!” (lacht)… bis zum nächsten. Aber da ich mich immer freue, wenn andere Freude an meinen Gedanken haben, bin ich stets vergnügt, wenn ich derlei zu hören bekommen. Also, das Beste. Bis das Jahr rum ist.

 

Das Gespräch führte Frank Nicolai.

 


Andreas Altmann: Verdammtes Land - Eine Reise durch Palästina, Piper-Verlag 2014, ISBN 3492056245, 19,99 Euro