Jugendfeier – ein Fest unserer Zeit

BERLIN. (hpd) Wer meint, dass Jugendweihe etwas von vorgestern sei oder typisch “Ost”, kennt die deutsche Geschichte nicht und pflegt seine Vorurteile. Räumen wir auf damit. In Berlin war zu erleben, wie eine 125-jährige Tradition heute frisch und bunt aussieht.

Früher, das geht weit, weit zurück. Bis kurz vor Ende des 19. Jahrhunderts, genau gesagt 1889. Die allererste Jugendweihe-Feier in Berlin fand im Konzerthaus Leipziger Straße im kaiserlichen Berlin mit 37 Jugendlichen und 1.500 “Gästen” statt. Sie blickte zurück auf eine Entwicklung Mitte des 19. Jahrhunderts, genauer 1847, die ihren Ursprung in der freireligiösen Bewegung hatte, die einerseits selbst definierte, was sie unter Religion verstand, anderseits jedoch den Bezug zum kirchlichen Initiations-Ritus der Konfirmation oder Firmung beibehalten wollte, deshalb das Wort Jugend-“Weihe”.

Da dieser Bezug von vielen Säkularen heute als missverständlich gesehen wird, hat der Humanistische Verband es neutral in Jugendfeier umbenannt. Der Humanistische Verband Deutschlands gründete sich 1993, in Fortführung der Freidenkerbewegung und blickt auf eine Feierkultur von 125 Jahren zurück. Im HVD Berlin Brandenburg ist eine Abteilung entstanden, vier Mitarbeiter sind dabei, neue Ideen und traditionelle Kultur für Jungendliche zu einem gelungenen Abschnitt zu formen. Zum Jubiläum der Tradition, zu erinnern und zu informieren ist eine kleine Ausstellung mit 10 Tafeln entstanden, die für alle Besucher im Foyer des Friedrichstadt-Palastes ausgestellt waren.

In den westlichen Bundesländern meinen viele Bundesbürger, dass die Jugendweihe “das” originale Fest der Jugend der DDR gewesen sein. Ein Irrtum. Dort wird 1950 die Freidenkerbewegung und damit auch die Jugendweihe-Feiern verboten und erst 1954, nachdem man eine Parallelveranstaltung zur evangelischen Konfirmation wollte, wurde diese bestehende Tradition der Arbeiterbewegung aus dem Jahr 1889 aufgegriffen und staatlich reglementiert zu einer quasi Pflichtveranstaltung verordnet.

In den westlichen Bundesländern ging diese Tradition parallel zum Niedergang der Arbeiterbewegung in Westdeutschland verloren, beschleunigt durch die älteren, hausbackenen Funktionäre, die mit Goethe-Zitaten, Volksliedern zur Klampfe gegen den Rock’n Roll verloren. Konsequenz des freien Marktgeschehens im Westen war der Niedergang der Jugendweihe, beschleunigt durch die antikommunistische Propaganda des Westen. Eine Ausnahme bildet Hamburg und die Stiftung Geistesfreiheit, die die Tradition erfolgreich erhalten und weitergeführt hat und deshalb heute den großen Saal des Hamburger Kongresszentrums oder auch die große Hamburger Musikhalle mietet, um den Jugendlichen und ihren Gästen angemessen Raum für die Feier zu bieten.

Auch in der Hauptstadt ist Jugendfeier/-weihe-Saison und der Humanistische Verband Deutschlands Berlin-Brandenburg hat, wie in den Vorjahren, die größte Varieté Bühne Europas, den Friedrichstadt-Palast in Berlin Mitte, angemietet. Mit sechs Terminen und jeweils zwei Veranstaltungen gingen die Festveranstaltungen für 2014 am 7. Juni zu Ende, mehr als 2.500 Jugendliche nahmen teil.

Im HVD- Rundbrief wird berichtet: Mehr als die Hälfte aller JugendFEIER-Teilnehmer/-innen haben von Oktober 2013 bis April am Vorbereitungsprogramm teilgenommen. In über 100 verschiedenen Veranstaltungen setzten sie sich mit Themen aus Gesellschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur auseinander und entwickelten eigene Ideen auf der Suche nach Idealen und Lebensvorstellungen. Im Zentrum des Vorbereitungsprogramms stand dabei auch die Vermittlung humanistischer Wert wie Selbstbestimmung, Toleranz, Verantwortung und Solidarität.

Das Programm hielt vielfältige Annäherungsmöglichkeiten an die Welt der Erwachsenen bereit und bot die Aussicht, sich mit Gleichaltrigen über diesen nicht immer einfachen Prozess auszutauschen, etwa bei Vorträgen und anregenden Diskussionen zum Themen wie Drogen, Okkultismus oder Zivilcourage. Kreative Projekte wie “Manga-Zeichnen”, “Songproduktion im Studio”, oder auch “Kochen ist cool”, boten die Chance, eigene Talente auszuloten. Bei “Karate – eine waffenlose Selbstverteidigung”, “Klettern” oder “Come on, let’s dance” konnten sich die Mädchen und Jungen mal so richtig auspowern. Workshops zum Schreiben einer Rede, der Auswahl eines stilvollen Outfits oder modernen Umgangsformen unterstützten die individuelle Vorbereitung auf den großen Tag.

Dann ist es soweit: Die Light-Show gleitet durch die Reihen, stoppt an den beiden Haupttreppen. Erwartet von den Zuschauern, begleitet von Applaus und Begeisterungspfiffen betreten die Hauptpersonen des Tages den Saal. Wohl wissend, bald darauf stehen sie selber auf der Bühne im Friedrichstadt Palast, umrundet von Zuschauerrängen und –Reihen ist jeder Schritt dann im Rampenlicht und alle schauen zu, Eltern Geschwister, Freunde, die natürlich “ihrem” Favoriten lautstark und fröhlich Mut zuzusprechen, zustimmen Hochleben lassen. Und auch in dem Wissen, gesessen, getrunken wird nach der Veranstaltung. Es dauert nicht mehr lange.

Aber erst einmal gelangen zu den für sie im Parkett reservierten Plätzen. Schnell, bunt, mit break dance, aber auch nachdenklich “Für Dich soll’s rote Rosen regnen …”, nimmt das Programm seinen Lauf.

Auf jeder Jugendfeier ist es immer wieder beeindruckend, Jugend, Mädchen und Jungen beieinander zu sehen. Beinahe noch kindlich oder durchaus schon erwachsen, alle festliche gekleidet. Wie unterschiedlich es auch sein mag, eins haben sie alle gemeinsam, sie sind aufgeregt, auch in dem Wissen künftig und nach der Feier werden sie nun auf den Weg als junge Erwachsene gelten und auch schon mal mit “Sie” angesprochen.

Auf der Festveranstaltung gibt es Redebeiträgen von Prominenten, die selber an der Jugendfeier teilgenommen hatten und als wesentliches Element ihrer Lebenserfahrung berichten. Zitate:

  • Eltern machen Pläne und Kinder tun dann, was sie für richtig halten (Erich Kästner)
  • Sei kritisch und denke selbst!
  • Über Umwege bin in dem Beruf, den ich wollte. Lass Dich nicht abbringen, habe Vertrauen und nehme Hilfe an.
  • Eltern müssen lernen, Verantwortung abzugeben, das ist auch nicht immer leicht.
  • Mein größter Wunsch war, Schauspieler zu werden, ich bestand die Aufnahmeprüfung.
  • Mein großer Bruder fuhr mich und sagte als letztes: Wenn hier irgend etwas schief läuft, rufe mich an, ich hole Dich. Und es war nicht die Zeit, das ein jeder ein Telefon hatte. Aber ich wusste, ich konnte mich jederzeit auf ihn verlassen.

Zitate aus dem Bühnenprogramm:

  • Wieso glauben Eltern immer zu wissen, was wir wollen?
  • Sohn fragt: Was willst du uns beibringen? und der Vater antwortet: das zu entscheiden, was Du selber willst.
  • Ich weiß genau, was ich will: Die nächste Mathearbeit gut schreiben.
  • Wo sollen wir hin – wo sind wir zu Hause?
  • Ich wünsche mir, dass meine Oma lebt und ich mit ihr sprechen kann.
  • Geld? Wenn ich könnte, ich würde es abschaffen.
  • Ich wünsche mir einen möglichst freien Blick auf die Welt.

Für die Jugendfeiern 2015 des HVD Berlin-Brandenburg liegen jetzt bereits mehr als 2.400 Anmeldungen vor.

 


Zur Jugendweihe als Familienfest für unsere Zeit auch mit einem Rückblick auf die über 150-jährie Tradition erscheint am 16. Juni 2014 im Tectum Verlag das Buch “Jugendweihe & Jugendfeier in Deutschland”, Herausgeber Manfred Isemeyer, Vorwort Inka Bruse