Antisemitismus in politischen Parteien

(hpd) Die beiden Politikwissenschaftler Dana Ionescu und Samuel Salzborn veröffentlichen in ihrem Sammelband “Antisemitismus in deutschen Parteien” Fallstudien, die den Umgang mit Antisemitismus in allen relevanten deutschen Parteien behandeln. Dabei wird auf Basis einer Fülle von Informationen die Ambivalenz des Verhaltens kritisiert, bei der Israelfeindlichkeit aber die Motivation eines nicht-antisemitischen Antiimperialismus ignoriert.

Die Antisemitismusforschung beschäftigt sich kaum mit Judenfeindschaft in Parteien, die Parteienforschung beschäftigt sich kaum mit Judenfeindschaft in Parteien. Die hiermit verbundene Lücke in der Analyse von Antisemitismus motivierte die beiden Politikwissenschaftler Dana Ionescu und Samuel Salzborn zur Herausgabe eines Sammelbandes, der mit dem Titel “Antisemitismus in deutschen Parteien” erschien.

Diese Formulierung irritiert zunächst, erweckt sie doch den Eindruck von einer allseitigen Verankerung der Judenfeindschaft in den deutschen Parteien. Dies unterstellen die Autoren und Herausgeber indessen nicht. Ionescu und Salzborn schreiben denn auch, zentrale Fragen seien unter anderem, “wie sich der Antisemitismus in den unterschiedlichen politischen Parteien der Bundesrepublik artikuliert, inwiefern Unterschiede zwischen den antisemitischen Äußerungen in den einzelnen Parteien feststellbar sind, wie Parteien reagieren, wenn sich einzelne Mitglieder antisemitisch äußern, und welche Sanktionsmechanismen es gibt.” (S. 9).

Demnach geht es in den neun Fallstudien nicht nur um judenfeindliche Vorkommnisse in den jeweiligen Parteien, sondern gerade um deren grundsätzliche Positionierungen und den Umgang mit diesen Tendenzen. So kritisiert etwa gleich der erste Aufsatz von Julia Kopp und Tobias Neef über die CDU, dass man ebendort den Antisemitismus nur als Phänomen der Extremismen, aber nicht der Mitte begreife.

Auch der Beitrag von Bodo Kohmann zur CSU thematisiert sowohl antisemitische Vorfälle in der Partei als auch die Reaktionen in ihr darauf. Der SPD schreibt Sebastian Voigt zu, sie sei die “politische Kraft, die sich programmatisch immer klar gegen den Antisemitismus gestellt” (S. 114) habe. Dies ist für Saskia Richter bezogen auf die Grünen angesichts von antisemitischen und antizionistischen Tendenzen ebendort nicht immer so gewesen. Martin Kloke konstatiert für die Partei “Die Linke” eine Dominanz der Kräfte gegen eine Israelfeindlichkeit, meint aber auch, man scheue sich “Israel als jüdisch-zionistisch verfassten Staat zu akzeptieren” (S. 181).

Teresa Nentwig und Franz Walter behandeln die FDP im Kontext eines latenten Antisemitismus der Mitte, wobei insbesondere die Möllemann-Affäre noch einmal in Erinnerung gerufen wird. Antisemitismus in der Piratenpartei ist demgegenüber das Thema von Elke Wittich, sei dort doch ein “als Israelkritik getarnter Antisemitismus … nach wie vor weit verbreitet” (S. 266). Und schließlich behandelt Patrick Gensing die Judenfeindschaft in der NPD, da in ihr “antisemitische Argumentationsmuster sowie aggressive Hetze … eine herausragende Rolle” (S. 273) spielten.

Ein Text zur “Alternative für Deutschland” fehlt leider. Dafür formulieren die beiden Herausgeber am Ende noch eine Bilanz. Hierbei konstatieren sie, “dass Parteien den Antisemitismus der anderen Parteien vielfach mühelos identifizieren … den eigenen hingegen seltener …” Und weiter heißt es: “Aus diesem Grund erscheint der Anti-Antisemitismus der jeweiligen Parteien mitunter instrumentell, da er unterschiedlichen Maßstäben für dessen Problematisierung folgt” (S. 315).

Mit dem Sammelband schließen Ionescu und Salzborn tatsächlich eine Lücke in der bisherigen Beschäftigung mit dem Antisemitismus. Insbesondere die häufigen Hinweise von Autoren und Herausgebern auf Ambivalenzen verdient in der Tat großes Interesse, denn öffentliche Bekenntnisse müssen nicht immer für verinnerlichte Positionen sprechen. Darauf aufmerksam gemacht zu haben, ist ein bleibendes Verdienst des Sammelbandes.

Ein Problem besteht aber darin, dass Antisemitismus nirgendwo näher definiert wird. Insofern darf man insbesondere bei den Beiträgen zu den Grünen und der Linken fragen, ob die dort offenkundig in bestimmten Parteiflügeln präsente Israelfeindlichkeit durch Antisemitismus im Sinne der Judenfeindschaft motiviert ist. Kann dahinter nicht mitunter auch ein mal blauäugiger, mal platter Antiimperialismus im Sinne eines “Gut/Böse”-Dualismus stehen? Leider stellt man sich diese Frage nicht. Kloke setzt sich denn auch nicht mit anderslautenden Analysen in der Forschung zur Partei “Die Linke” auseinander. Das ist mehr als nur bedauerlich.

 


Dana Ionescu/Samuel Salzborn (Hrsg.), Antisemitismus in deutschen Parteien, Baden-Baden 2014 (Nomos-Verlag), 323 S., ISBN 978–3848705559, 59,00 Euro,