Verbandstag der Humanistischen Union

Vom 15. bis 17. September treffen sich die Regionalverbände

der Humanistischen Union zum Verbandstag 2006 in Freiburg.

Eröffnet wird der Verbandstag am Freitagabend, den 15. September. 2006, mit einem Vortrag von Prof. Dr. Peter-Alexis Albrecht: „Freiheit stirbt mit Sicherheit" Zur aktuellen Anti-Terrorismus-Gesetzgebung.

 Am Samstag, 16. September 2006 sind die Themen: Strategien der Mitgliederwerbung / Liberalisierung aktiver Sterbehilfe / Weißbuch Bundeswehr / Arbeitskreise der HU: AK Staat/Kirche; AK Soziale Grundrechte.

Am Sonntag, 17. September sind die Themen: Arbeitsbericht Bundesvorstand und Aussprache / Kampagne Vorratsdatenspeicherung / Planung der strategischen Arbeit der HU u.a. Weißbuch Bundeswehr, Anti-Terror-Gesetzgebung, Berichte aus Regionalverbänden

Besonderer festlicher Höhepunkt des Verbandstages ist die

Verleihung des Fritz-Bauer-Preises 2006 an Dr. Burkhard Hirsch

Samstag, 16. September 2006, 19.00 - 22:00 Uhr
Konzerthaus Freiburg, Runder Saal.

Die Humanistische Union verleiht den Fritz-Bauer-Preis 2006 an den Rechtsanwalt und ehemaligen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Dr. Burkhard Hirsch. Mit Burkhard Hirsch ehrt die Humanistische Union einen liberalen Demokraten, der sich unermüdlich zum Schutz der Freiheitsrechte einsetzt. Seine Erfolge zeigen nicht nur ein scheinbar unerschöpfliches bürgerrechtliches Engagement, sondern auch verfassungsrechtlichen Sachverstand, der manchmal auch dem Gesetzgeber zu wünschen wäre.

Burkhard Hirsch

Sein politisches Engagement begann Burkhard Hirsch bei den Deutschen Jungdemokraten in Nordrhein-Westfalen. 1965 wurde er in den Kreisvorstand der FDP in Düsseldorf gewählt, dessen Vorsitzender er zwischen 1971 und 1978 war. Von 1971 bis 2005 war der Jurist Mitglied des Landesvorstandes der nordrhein-westfälischen FDP und übernahm von 1979 bis 1983 das Amt des Landesvorsitzenden. Darüber hinaus war Hirsch von 1964 bis 1972 im Düsseldorfer Stadtrat vertreten und dort zuletzt stellvertretender Fraktionsvorsitzender. 1973 wurde Hirsch zum ersten Mal in den FDP-Bundesvorstand gewählt. Diesem Gremium gehörte er bis 2005 an.

1972 wurde Burkhard Hirsch Mitglied des Deutschen Bundestages und war als umweltpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion maßgeblich an der Konzeption bedeutender Umweltschutzgesetze beteiligt. Nach den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen 1975 bekleidete er das Amt des Innenministers in Düsseldorf. Die Zeit seiner Amtsausübung wurde durch den Terrorismus der "Roten Armee Fraktion" sowie die öffentliche Auseinandersetzung um den "Schnellen Brüter" geprägt. Dabei profilierte er sich als strikter Gegner der Kernenergie, setzte sich nachhaltig für die Aufnahme des Datenschutzrechtes in die nordrhein-westfälische Landesverfassung ein und sprach sich für den Ausschluss von Extremisten aus dem Staatsdienst aus. In seine Zeit als Innenminister fiel auch eine Verwaltungsreform, durch die mehr als 400 Gesetze, Verordnungen und Erlasse aufgehoben wurden.
1980 kehrte Hirsch in den Bundestag zurück, wurde innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und gehörte zahlreichen Ausschüssen an. Von 1994 bis 1998 war er Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Aus Protest gegen die Einführung des so genannten "Großen Lauschangriffs" trat er 1995 von seinem Posten als innenpolitischer Sprecher zurück. Nach 1998 bewarb er sich nicht mehr um ein Bundestagsmandat. Ungeachtet dessen blieb Burkhard Hirsch politisch nach wie vor aktiv. So war er von 1986 bis 2000 Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und warb auf zahlreichen Reisen für den Friedensprozess zwischen Israel und Palästinensern.

Aufgrund seines Einsatzes auf dem Gebiet des Ausländer- und Asylrechtes sowie der inneren Sicherheit und des Datenschutzes erwies sich Hirsch stets als "ein streitbarer Verteidiger liberaler Grundsätze", die für ihn die Basis einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft darstellen. Im Frühjahr 2000 wurde er vom Chef des Bundeskanzleramts im Zusammenhang mit der Aufklärung der CDU-Spendenaffäre und den ungeklärten Hintergründen des Verkaufs der ostdeutschen Leuna-Werke an den französische Konzern Elf-Aquitaine mit einer disziplinarischen Voruntersuchung beauftragt. Einer von ihm, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gerhart Baum erhobenen Verfassungsbeschwerde in der Frage der Umsetzung des "Großen Lauschangriffs" wurde vom Bundesverfassungsgericht schließlich im März 2004 in weiten Teilen entsprochen.

1976 wurde Burkhard Hirsch der Theodor-Heuss-Preis verliehen.

1998 erhielt er die Josef-Neuberger-Medaille und den Arnold-Freymuth-Preis.

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Wehret dem bitteren Ende!

Die Politik verliert im Kampf gegen innere Feinde jedes Maß

Von Burkhard Hirsch

Der Bürger hat Anspruch auf wirksamen Schutz seiner Rechte, auf Freiheit und Sicherheit. Er hat auch Anspruch darauf, von unwirksamen, undurchdachten und rechtsstaatlich nicht hinnehmbaren Entscheidungen verschont zu bleiben. Die Gesetzgebung ist kein Überbietungswettbewerb und das Grundgesetz kein Steinbruch zur gefälligen Bedienung.
Die Anschläge vom 11. September 2001 waren ein Schock, aber sie haben unsere Welt nicht verändert. Es gab auch vorher Selbstmordattentate in religiöser Verblendung, Flugzeugentführungen und Sprengstoffanschläge mit zahllosen Toten. Neu ist das Ausmaß der Provokation und des Verbrechens. Neu und falsch ist die Vorstellung, man könne den Terrorismus mit einem Krieg niederwerfen. Falsch ist das Desinteresse an der Frage, warum die Attentäter, mit der Formelsprache des Westens wohlvertraut, ausgerechnet das Pentagon und das World Trade Center zu ihrem Ziel machten.
Schon in den letzten 20 Jahren hat es eine innenpolitische Aufrüstung sondergleichen gegeben, provoziert vom Terrorismus der RAF und unter Beschwörung der »Organisierten Kriminalität«. Der Staat kam nicht mit den pflasterknallenden Stiefeln der Macht, sondern auf den leisen Sohlen wohlmeinender Entmündigung.
Er will unser Bestes durch Vorbeugehaft, Kronzeugen, Videokameras, elektronisches Belauschen innerhalb und außerhalb von Wohnungen, natürlich auch ohne konkreten Verdacht auf eine Straftat, durch explosionsartige Ausdehnung der Telefonüberwachungen, durch computergestützte Überwachung aller Auslandsgespräche, Verdachtsdateien, Schleierfahndung und Speicherung der Daten von Personen, die »nach ihrer Persönlichkeit« in Zukunft eine Straftat begehen könnten, nebst ihrer »Kontakt- und Begleitpersonen«, mögen sie arglos sein oder nicht, durch verdeckte Überwachung von Konten und Geldbewegungen. Wir erlebten eine Rasterfahndung nach »islamistischen Schläfern«, bei der Zehntausende jahrelang verdatet und deren Akten dann in aller Stille hoffentlich gelöscht wurden. Unser Ausländerrecht scheint endgültig in polizeirechtliche Kategorien abgerutscht zu sein. Diese Aufzählung ist unvollständig. Sie soll hier mit dem bösen Einfall enden, auch besetzte Passagierflugzeuge von der Bundeswehr abschießen zu lassen, wenn der Verteidigungsminister es für besser hält, die erwartete Tötung der Passagiere als finalen Rettungstotschlag selbst zu übernehmen.
Wir müssen uns entscheiden, ob wir ein demokratischer Rechtsstaat bleiben wollen oder nicht. »Es gilt«, schrieben die Verfassungsrichterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt zum Lauschangriff, »nicht den Anfängen, sondern dem bitteren Ende zu wehren.« Das ist nicht zu hoch gegriffen. Es ist eine wichtige Aufgabe des Staates, die Rechte der Bürger zu schützen. Aber er ist nicht schon deswegen allmächtig, weil sein Parlament demokratisch gewählt wurde. Er sollte seine Bürger nicht behandeln wie verdächtige Straftäter. Wenn der Staat dem Bürger misstraut, warum sollte der dann ihm trauen und ihn verteidigen?
Niemand dürfe ihm in den Arm fallen, hat der Innenminister im Bundestag gerufen. Das ist falsch, er hat die Balance verloren. Wir brauchen eine Regierung, die Augenmaß bewahrt, und nicht die Herrschaft der Stammtische. Wir brauchen einen Bundestag, der einen Gesetzentwurf nicht nach der Arithmetik der Fraktionsgrenzen abnickt, sondern fundamentale Änderungen unserer Rechtskultur ablehnt. Denn durch den Abbau der verfassungsmäßigen Grenzen wird keine der eigentlich wichtigen Fragen beantwortet - vor allem nicht die, durch welche politischen Entscheidungen und Leistungen die überall zunehmenden ethnischen, ökonomischen und kulturellen Konflikte abgebaut oder gemildert werden können.
Es gibt keine individuelle Freiheit ohne gesellschaftliche Freiheit. Der Schutz der Privatheit und der individuellen Freiheitsrechte sind kein eigenbrötlerischer Individualismus. Sie gehören zur Menschenwürde. Sie sind zentrale Werte des Grundgesetzes. In dieser freiheitlichen Qualität unserer Verfassung liegt ihre integrierende Kraft, nicht etwa in der möglichst lückenlosen Anwendung polizeilicher Eingriffsmöglichkeiten. Daran ändern auch Eitelkeit oder Einfalt mancher Bürger nichts, die ihr Privatleben am Handy in die Gegend brüllen oder in TV-Talks bereitwillig ausbreiten. Daran ändert auch das so gute Gewissen vieler Bürger nichts, die ihr Privatleben mit der Behauptung leugnen, sie hätten nichts zu verbergen. In Wirklichkeit glauben sie, von einem Verdacht verschont zu bleiben. Sie wollen mehr eigene Sicherheit mit der Freiheit anderer bezahlen. Das ist politische Zechprellerei.
»Man bekämpft Feinde des Rechtsstaats nicht mit dessen Abbau, und man verteidigt die Freiheit nicht durch deren Einschränkung.« Diese Erklärung der Humanistischen Union unterschrieb Otto Schily 1978. Das stimmt, sogar noch heute.

© DIE ZEIT 03.03.2005 Nr.10
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Fritz Bauer

wurde am 16. Juli 1903 als Kind einer deutsch-jüdischen Familie in Stuttgart geboren. Er studierte Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft in München und Tübingen und promovierte 1927 in Heidelberg. Ab 1930 war er am Stuttgarter Amtsgericht der jüngste Hilfsrichter in Deutschland.
1933 musste Fritz Bauer sein Amt als Richter niederlegen und wurde für einige Monate im KZ Heuberg inhaftiert. 1936 emigrierte Bauer nach Dänemark, wo er nach der deutschen Besetzung verhaftet wurde, aber dank Interventionen dänischer Freunde wieder frei kam. Im Oktober 1943, als die Deportation der dänischen Juden begann, gelang Fritz Bauer mit seiner Familie, wie auch 7.000 anderen Juden, mit dänischer Hilfe die Flucht nach Schwe-den.
Nach der Befreiung kehrte Fritz Bauer 1945 nach Dänemark zurück und lebte bis 1949 in Kopenhagen. 1949 remigrierte er mit Unterstützung Kurt Schumachers nach Deutschland. Ein Jahr später wurde er zum Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht in Braunschweig ernannt.
1956 wurde Fritz Bauer hessischer Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main. Er war einer der bedeutendsten Vorkämpfer für Strafrechts- und Strafvollzugsreformen, für Resozialisierung und für eine gesellschaftliche Verantwortung des Justizwesens beim Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft.
Fritz Bauer gab dem israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad den entscheidenden Hinweises auf den Aufenthaltsort von Adolf Eichmann. Bauer hatte befürchtet, die deutsche Justiz könnte sich vor einem Auslieferungsverfahren drücken, oder Eichmann würde durch mit ihm sympatisierende Mitarbeiter der Justizbehörden gewarnt werden. Deshalb wandte sich Bauer unter Umgehung des Dienstweges direkt an die israelischen Behörden. Aufgrund des Hinweises konnte Eichmann 1960 in Argentinien gefasst und nach Israel gebracht werden. Damit hatte Bauer wesentlichen Anteil am Zustandekommen des 1961 in Jerusalem durchgeführten Eichmann-Prozess.

Fritz Bauer war eines der Gründungsmitglieder der am 28. August 1961 auf Initiative von Dr. Gerhard Szczesny gegründeten Bürgerrechtsorganisation Humanistischen Union (HU). Bauer hatte an der Konzeption dieser ersten Bürgerrechtsbewegung der Bundesrepublik Deutschland mitgearbeitet. Im November 1961 unterzeichnete er seine Beitrittserklärung zur Humanistischen Union; später wurde er Mitglied im Bundesvorstand. Nach seinem Tod stiftete die Humanistische Union den nach ihm benannten Fritz-Bauer-Preis, der jährlich an Persönlichkeiten oder Institutionen verliehen wird, die sich in besonderer Weise um die Demokratisierung, Liberalisierung und Humanisierung der Rechtsordnung der Bundesrepu-blik Deutschland verdient gemacht haben.

Als hessischer Generalstaatsanwalt war Bauer verantwortlich für die Anklageerhebung im Auschwitz-Prozess, der 1963 bis 1965 in Frankfurt am Main stattfand. Mit diesem Prozess gewann die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Deutschland erstmals eine öffentliche Dimension.
1965 eröffnete Fritz Bauer die Voruntersuchung für einen weiteren Prozess, der sich gegen die Teilnehmer einer reichsweiten Justizkonferenz von 1941, die juristischen Erfüllungsgehilfen der „Euthanasie"-Morde, richten sollte. Bauer plante damit einen exemplarischen Prozess gegen die in die Verbrechen verstrickte NS-Justiz.
In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1968 starb Fritz Bauer in seiner Wohnung in Frankfurt am Main. Der noch in der Vorbereitungsphase stehende große Prozess gegen die Schreibtischtäter der „Euthanasie" fand nie statt.

© Fritz-Bauer-Institut