Gesegnete Mahlzeit

BERLIN. Neuer Tabori ohne Tabus.

"Gesegnete Mahlzeit" heißt das neueste Theaterstück von George Tabori. "Gesegnet" ist das Stück mit Witz und

Tiefgang ebenso wie auch mit einer Auseinandersetzung über das Leben, den Tod und über Gott.

Die Inszenierung des Autors feierte am Dienstag (15. Mai) auf der Probebühne des Berliner Ensembles
(BE) am Schiffbauerdamm Premiere. Zuvor war sie am Donnerstag (10. Mai) bei den Ruhr-Festspielen in Recklinghausen uraufgeführt worden.

Da der am 24. Mai 1914 in Budapest geborene Tabori aufgrund seines hohen Alters schon ziemlich gebrechlich ist, hatte Hermann Beil die Probenleitung übernommen. Ihr Ergebnis stimmte er dann jedoch mit dem Autor bei abschließenden Proben in dessen Berliner Wohnung ab.

Ein Bett, ein Tisch und Stühle stellen die Requisiten des ersten Akts dar. Gegliedert ist die Farce in drei Szenen: Frühstück, Mittagstisch und Abendmahl.

Langsam quält sich der junge Schriftsteller Don John aus dem Bett, während Milena das Frühstück zubereitet. Vom Bühnenrand her sagt ein Dramaturg immer wieder die genaue Urzeit an: 9 Uhr und 37 Minuten!

Dirty Don erzählt die Geschichte von Jona: Gott hat ihm befohlen, nach Ninive zu gehen und die Menschen dort zur Umkehr aufzufordern. Doch Jona weigert sich. Da hält ein riesiger Cadillac mit geschlossenen Gardinen neben ihm an. Zwei Engel steigen aus. Sie ergreifen Jona und werfen ihn über die Kaimauer ins Meer. Dort verschluckt ihn ein riesiger Walfisch. In dessen Bauch ist es eng und es stinkt. So ergibt sich Jona und befolgt den göttlichen Auftrag. Er stellt sich in Ninive auf den Marktplatz und prophezeit für den dritten Tag den "großen Knall".

Doch die Leute dort verhöhnen ihn nur. Und auch der Knall am dritten Tag bleibt aus. Stattdessen hält wieder der dicke Cadillac neben ihm an. Ein alter Mann steigt aus und sagt zu dem erbosten Jona: "Ich habe mich anders entschieden. Ich habe soeben die Gnade erfunden." Fast wie ein Fremdkörper wirkt der anschließende Bericht Milenas, worin sie ihr Schicksal ins Konzentrationslager führt. Für einen Moment gerät die Farce zur Tragödie.

Doch das Leben geht weiter: Beim Mittagessen sitzt Don John mit einem Verhandlungspartner im Restaurant. Das Gespräch besteht ausschließlich aus Formulierungen des Vertrags über die Erstellung eines Drehbuchs für Metro-Goldwyn-Mayer. Die Film-Firma reklamiert sämtliche Ideen des Autors für sich. Sie legt die Abgabetermine fest und regelt minutiös alle Nachbesserungen am Drehbuch. Dafür lockt sie mit 10.000 Dollar. Schließlich steigert sich diese Summe bis auf 25.000 Dollar.

Diese Szene ist die stärkste im Stück. Den trockenen juristischen Text lässt Tabori die beiden Kontrahenten abwechselnd rezitieren. Mal lesen sie tonlos sachlich, mal heben sie einzelne Wörter oder Passagen heraus oder fallen einander ins Wort. Genial gelingt George Tabori so eine witzige Darstellung juristischer Inhalte, bei der er gleichzeitig die Käuflichkeit des Autors und den Anspruch des Auftraggebers auf alle Ideen und Geistesblitze des Schreibers herausarbeitet.

Zum "Abendmahl" hat sich Don John in Venedig eine Prostituierte eingeladen. Amanda Lollypop trägt ihm ihre "Leistungen" vor. Immer wieder fragt sie den alten Mann: "Soll ich mich ausziehen?" Doch er will nur, dass sie seine Biografie notiert. Es sei besser, das selber zu tun, meint er. Er will in ihren Bauch hinein. Hinterher weigert Amanda Lollypop sich, das Kind abzutreiben. Ihr Zuhälter schlägt ihr dafür die Nase ein.

Ursula Höpfner in einer Doppelrolle als Lady Milena und Amanda Lollypop, Hermann Beil als "Ein Dramaturg", Gerd Kunath als der Vertragsverhandler Professor Geil, Peter Luppa als Oberkellner mit Slapstick-reifen Einlagen a la "Dinner for One" und Veit Schubert als Schriftsteller Dirty Don machen die in Recklinghausen uraufgeführte Berliner Inszenierung zu einem schauspielerischen Leckerbissen. Die 100 Minuten selbstinszenierte Autobiografie von George Tabori vergingen wie im Flug.

Immer wieder zitiert er dabei aus der Bibel. In der Schluss-Szene sagt Jesus am Kreuz zu Amanda Lollypop: "Mein Gott, warum hast Du mich vergessen!"

Franz-Josef Hanke.