Der kanadische Journalist Dan Gardner über böse Ungläubige. Will Richard Dawkins unsere Kinder opfern?
Es ist dieser Tage weit verbreitet, jene, die Gott in Frage stellen, mit den schlimmsten Fanatikern gleichzusetzen, aber es ist nicht fair.
Gestern war für eine Weltreligion ein heiliger Tag. Heute ist ein weiterer. Morgen ist ein dritter. Also dachte ich, dies sei eine günstige Gelegenheit zu sagen, dass ich jede dieser drei Glaubenssysteme - diese mächtigen Institutionen, diese hochgeschätzten Philosophien, diese antiken und ehrenwerten Traditionen - für lächerliche Quacksalberei halte. Geteilte Meere. Wandelnde Toten. Nächtliche Himmelsbesuche. Um Himmels Willen Leute, der sprechende Wolf in Rotkäppchen ist glaubwürdiger.
Bislang habe ich versucht zu vermeiden, in so scharfen Worten über Religion zu sprechen. Es ist nicht so, dass ich mich davor fürchten würde, jemanden zu beleidigen (was eine Einschränkung meiner Arbeitsweise wäre). Mir ist vielmehr, wie allen Menschen, klar, dass es furchteinflößend ist zu wissen, dass man sterben wird. Sollte also der Glaube an Engel da oben die existenziellen Ängste von Einigen lindern, werde ich ihnen das nicht missgönnen. „Whatever gets you through the night", wie es ein langhaariger Prophet einst ausdrückte.
Eine Reihe von Büchern jedoch, die großen Erfolg auf den Bestsellerlisten haben - von Richard Dawkins, Sam Harris und bald Christopher Hitchens -, meinen, dass es Zeit ist, erheblich weniger respektvoll gegenüber dem Glauben zu sein und ich muss sagen, dass es mir schwer fällt, dem zu widersprechen. Wir leben schließlich in einer Zeit, in der es eine zunehmend beliebte Form der Gottverehrung ist, Kinder in kleine Stücke zu sprengen. Der mächtigste Mann der Welt glaubt, er habe einen heißen Draht zu Gott und ein großer Teil der Wählerschaft, der ihm die Macht gab, würde ihn niemals durch jemanden ersetzen, der nicht glaubt, dass der Sohn eines Zimmermanns - verstorben vor 2000 Jahren - nun im Himmel sitzt und Präsidenten berät, Football-Spiele richtet und auf den Tag wartet, an dem er zur Erde zurückkehren wird, um alle Ungläubigen brutal zu ermorden und eine weltweite Diktatur zu errichten.
Privater, ruhiger Glaube ist eine Sache. Aber wenn der Kerl, der die Startcodes hat, glaubt, dass das Ende der Welt jeden Tag kommen könnte und dies eine gute Sache ist, dann haben diejenigen ein Problem, die glauben, dass Leben auf eines pro Kunden beschränkt sind.
Diejenigen, die so argumentieren, wurden die „Neuen Atheisten" getauft. Sie wurden auch als Fanatiker bezeichnet, die dogmatisch, eifernd und intolerant gegenüber anderen Sichtweisen sind - das Spiegelbild religiöser Extremisten. Wie es der Dekan einer englischen Universität im Guardian ausdrückte, ist Richard Dawkins „genau so fundamentalistisch wie die Leute, die Rucksackbomben zünden".
Weniger olympische Denker haben lautstarke Atheisten so dargestellt, als würden sie die Bande der Moral zerschneiden, was unausweichlich zu verschiedenen Formen von Sittenlosigkeit führen muss, von sexueller bis hin zu genozider.
Wissen Sie nicht, dass Stalin ein Atheist war? So funktioniert das. Erst lesen Sie Richard Dawkins. Dann lassen Sie abtreiben. Dann streichen Sie die Gulags neu an.
Das formt die Debatte in einer angenehm symmetrischen Weise. Auf der einen Seite sind verrückte religiöse Fanatiker, die Flugzeuge in Wolkenkratzer fliegen und mit Schildern rumlaufen auf denen „Gott hasst Schwule" steht. Auf der anderen Seite sind fanatische Atheisten. Zwischen den Extremen sind vernünftige Moderate, die den Goldlöckchen-Ansatz gegenüber Glauben und Vernunft bevorzugen. Nicht zu heiß. Nicht zu kalt. Lauwarm bitte, halte es lauwarm.
Der Aufruf ist klar: „Alles auf Mäßigung", schlugen bereits die Griechen weise vor und das sieht einwandfrei moderat aus. Ob es auch nur einem kleinen bisschen Skeptizismus standhält, ist eine andere Frage.
Das erste Problem für moderate Gläubige kommt von denen, die ihren Glauben heiß mögen. Sie sind damit einverstanden, dass Gott existiert und dass Er in der Welt herumalbert. Sie sind damit einverstanden, dass dieses Buch Seine heiligen Gebote enthält. Wie antworten Sie also darauf, wenn religiöse Fanatiker sagen: „Hey, hier auf Seit 23 steht, dass wir Ungläubige aufschlitzen und Kleinholz aus ihren Innereien machen sollen. Und hier auf Seite 75 heißt es, wir sollen Homosexuelle bis zum Hals beerdigen und Oliven in ihre Nasen stopfen. Falls Gott existiert und dies seine heiligen Gebote sind, sollten wir uns dann nicht ernsthaft ans Ausweiden und Stopfen machen?"
Eine Antwort wäre, es so wie ein Anwalt aus Philadelphia zu machen und klare Worte zu verdrehen („und ja, der Herr sagte, dass die Nase des Sodomiten mit Oliven vollgestopft werden soll ..."), bis sie nicht mehr das aussagen, was sie ganz offensichtlich aussagen. Die beliebtere Antwort besteht jedoch darin, so zu tun, als würden die Kleinholz-und-Oliven-Passagen nicht existieren und man schwafelt einfach weiter darüber, wie gnädig und gütig Gott doch sei.
Dies ist weder gläubig noch vernünftig. Trotzdem wird es in Zeiten religiöser Ruhe seinen Zweck erfüllen. Mit religiösem Fanatismus im Aufwind kann diese Nicht-Antwort die Reihen der Schwachköpfe jedoch nicht davon abhalten, sich weiter zu füllen. Und das ist gefährlich für jeden von uns.
Dann gibt es noch ein anderes Problem - auf der Seite von Atheisten wie Richard Dawkins, die als „Fanatiker" abgestempelt wurden. Es ist nun völlig korrekt, dass Dawkins Ton oft so charmant ist wie Fingernägel, die langsam eine Tafel hinab gleiten. Was jedoch ist der Kern von Dawkins radikaler Botschaft?
Nun, er sieht in etwa so aus: Wenn Sie behaupten, dass etwas wahr ist, dann werde ich die Belege überprüfen, die Ihre Behauptung stützen; falls Sie keine Belege haben, dann werde ich das, von dem Sie behaupten, es sei wahr, nicht akzeptieren und Sie für eine törichte und leichtgläubige Person halten, weil Sie daran glauben.
Das ist es. Das ist das ganze, verrückte, fanatische Paket.
Wenn der Papst sagt, dass ein paar Worte und ein wenig Gefuchtel einen Keks dazu bringen können, sich in das Fleisch eines 2000 Jahre alten Mannes zu verwandeln, dann sagen Dawkins und seine Verbündeten, gut, beweise es. Es sollte einfach sein. Streiche die Hostie mit einem Tupfer ab und mache eine DNA-Analyse. Wenn du das nicht tust, dann bringen wir deiner Behauptung genau so viel Respekt entgegen wie jenen, die behaupten, sie könnten die Zukunft in einer Kristallkugel sehen oder Löffel mit ihrem Verstand biegen oder bei Vollmond zu Werwölfen mutieren.
Und dafür wird nun Dawkins, anstelle des Papstes, als unvernünftiger Fanatiker hingestellt und mit glaubensgesättigten Verrückten gleichgesetzt, die Kinder einem unsichtbaren Geist opfern.
Dies steht im krassen Gegensatz zu dem, wie wir den Rest unseres Lebens verbringen. Wir verlangen sogar für die trivialsten Behauptungen Belege („John war die Hauptinspiration für Sergeant Pepper") und wir lehnen jene ab, die solche Behauptungen ohne Belege aufstellen. Wir verlangen noch mehr Belege, wenn Behauptungen aufgestellt werden, die zumindest zeitweise von Bedeutung sind („Saddam Hussein hat Massenvernichtungswaffen" ist ein berüchtigtes Beispiel)
Ist es also nicht absurd, dass wir bei so wichtigen Aussagen über die Natur der Existenz und unserem Platz darin auf einmal alle Erwartungen von Belegen fallen lassen und jene respektieren, die solche Aussagen ohne jeden Beleg machen und glauben? Warum ist es komplett vernünftig, die Augenbrauen hochzuziehen, wenn jemand behauptet, dass Ringo der größte Beatle war, aber „fundamentalistisch" und „fanatisch" zu sagen, dass es aufgrund der mangelnden Belege absurd ist zu glauben, dass Mohammed nicht log oder halluzinierte, als er behauptete, lange Unterhaltungen mit Gott zu führen?
Natürlich ist mir klar, dass ich zu massenhafter Sittenlosigkeit und einer Krise der Zivilisation beitragen könnte, indem ich diese Frage stelle, aber ich dachte, ich riskiere es einfach. Das ist nun einmal die Art von Fanatiker, die ich bin.
Es sollte außerdem offensichtlich sein, dass die angebliche Verbindung zwischen einem dawkinsischen Atheismus und stalinistischem Gemetzel blanker Unfug ist. Ja, Stalin glaubte nicht an Gott. Aber er glaubte an Historischen Materialismus, Marxismus, Leninismus und den ganzen hegelianischen Hokuspokus, für den er nicht den allerkleinsten Beleg hatte.
Er war kein religiöser Mann, aber er war sicherlich ein Mann des Glaubens.
Übersetzung: Andreas Müller
Original: Gardner, Dan: "Those fanatical atheists", The Ottawa Citizen, 6. Mai 2007
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