BERLIN/STRAUSBERG. Richtung Osten mit dem Auto aus der Stadt hinaus, schließlich an den hohen Wohntürmen von
Marzahn vorbei, dann nördlicher halten – falls man / frau aus der Stadt Berlin anreist – und schließlich über kurviges Land schlängelt sich die Umgehungsstraße entlang zu der mehr als 750 Jahre alten „grünen Stadt am See" - Strausberg. Auf der Hochfläche des Barnim gelegen, inmitten einer seen- und waldreichen Landschaft, die durch die Weichsel-Eiszeit geprägt wurde, werden wir das Besondere erleben - eine Humanistische Hochzeit.
Humanistische Rituale?
Während der Fahrt Gedanken. Der Bräutigam selbst hat über die Geschichte der Heiraterei und die mögliche säkulare Perspektive des damit verbundenen „Rituals" bereits 1998 für „humanismus heute" (heute: humanismus aktuell) einen wissenschaftlichen Aufsatz verfasst (Anlage).
Es ist ja im organisierten Humanismus - in Traditionen zur Freidenkerei - durchaus umstritten, ob es humanistische Rituale gibt, z.B. Hochzeiten. Die Positionen dazu hängen sicher auch von der Ritual-Definition ab. Die ursprüngliche Auffassung von Ritual als einem Ritus - einem geregelten, sichtbaren und mit Symbolen versehenen „Gottesdienst" (und den Direktiven dazu: das „Zeremonienbuch") führt bei Humanistinnen und Humanisten sicher zu einem klaren Nein.
Aber: Zum einen bietet der HVD und bieten andere freigeistige Verbände Veranstaltungen an, die als Rituale zu deuten sind bzw. sogar - nach Arnold van Genneps erst 1986 ins Deutsche übersetzten Schrift von 1909 „Les rites de passage" - „Übergangsrituale" genannt werden können: Jugendweihen, Bestattungsfeiern, Namensgebungen und Hochzeiten.
Zum anderen fragt der Indologe Axel Michaels - ein weltweit bekannter Ritualforscher - was eine habituelle oder symbolische Tat über eine rituelle Handlung hinaushebt und sie zu einem Bestandteil eines Rituals macht (z.B. das Handgeben oder Küssen auf einer Hochzeit, was wir im folgenden ausgiebig erleben werden) oder das Zerschmettern einer Sektflasche am Schiffsrumpf (z.B.), was hier logischerweise ausbleibt: Es werden aber Tauben aufsteigen, Ringe getauscht, in einem Amphitheater gesessen - und es wird viel angestoßen. Aber es wird kein Holzstamm zersägt, kein Reis verkrümelt, keine Blumen in den Weg geworfen.
Michaels benennt fünf Komponenten, die ein Ritual konstituieren:
(1) der Anlass: Zwei Menschen - ein Mann und eine Frau, im Alltag auch Kollegen sowie Chef und Angestellte - heiraten. Der Anlass ist aber auch: Sie haben das Bedürfnis dies anderen mitzuteilen.
(2) der förmliche Beschluss: Der ist nun irgendwann ganz privat gefallen, aber was das Ritual ausmacht ist, diesen Beschluss anderen mitteilen zu wollen und dafür ein Ereignis zu organisieren, das einen Anfang und ein Ende hat.
(3) Es wird als Fest begangen, das bestimmten formalen Handlungskriterien folgt, an die sich alle halten. Diese Förmlichkeit, konstituiert eine begrenzte Öffentlichkeit, Unwiderrufbarkeit und Limität (Grenzziehung zu anderen). Alle Gäste sind Teilnehmende am Ritual und werden in bestimmte, ihnen vorher bekannt gegebene modale Handlungskriterien eingebunden. Daraus entsteht Vergemeinschaftung, durchaus Transzendenz (was Atheisten schwer fällt anzuerkennen) und subjektive Wirkung auf alle Beteiligten.
(4) Die Hochzeit in genau bestimmten Schritten zu zelebrieren überhöht den Vorgang der Trauung. Religiöse Menschen meinen, hier eine Heiligung zu erkennen. Es ist aber eher eine weltliche Weihe.
(5) Schließlich nehmen alle Gäste (die Gemeinschaft der Feiernden) teil an der Veränderung der Identität, von Rolle und Kompetenz. Vorher sind sie nicht, danach sind sie verheiratet – ein Statuswechsel.
Es gehört zu den „Geheimnissen" der Rituale, dass es sich der Reflexion entzieht. Es wird versucht, Zeitlosigkeit zu inszenieren und sich - wenigstens während das Ritual stattfindet - gegen Veränderungen zu stemmen. Du Zeit - halte an! Fast wie ins Goethes Faust, der sagt: „Zum Augenblicke dürft' ich sagen: Verweile doch, du bist so schön!"
Ankunft
Vor dem Eingang zum Hotel werden die Gäste akkreditiert, bekommen einen achtseitigen Ablaufplan überreicht - als Leporello gefaltet, damit er - bei Männern - auch in die Brusttasche und - bei Frauen - ins Täschchen passt. Dann wird jede und jeder, falls möglich paarweise, für das spätere Gästebuch in einem „goldenen" Holz-Bilderrahmen fotografiert.
Es ist eine entspannte Atmosphäre, den ganzen Tag lang – die meisten der Gäste kennen sich oder sind sich in anderen Zusammenhängen schon einmal begegnet – und sorgenvolle Blicke, wie das Wetter werden wird - es regnet, ein Wolkenbruch. Die Option, alles in die Innenräume zu verlegen, geht für die standesamtliche Trauung nicht, da das Brautpaar unbedingt „unter freiem Himmel" heiraten will. Das war der entscheidende Grund für die Wahl dieses „Hochzeitshotels" gewesen. Es ist (erst seit September 2005) der einzige Ort in Berlin-Brandenburg (wo geht das noch in Deutschland?), an dem in einem freistehenden Pavillon geheiratet werden darf.
Der Regen versiegt und kurz darauf fährt ein Hotelbediensteter Transportbehälter mit großen Sitzkissen hinaus - die Wettervorhersage steht also auf trocken. Die standesamtliche Trauung im „Pavillon d' Amour" im Romantikgarten kann damit rechtzeitig beginnen.
Das Fest beginnt
Statt göttlichem Segen und Engelschar begleiteten der Froschkönig, Amor, Täubchen, Venus und zahlreiche Verbandsmitglieder sowie Freunde des Humanistischen Verbandes Deutschlands und natürlich die große Familie des Brautpaares - nun fünf gemeinsame Kinder, unterschiedlich jung - als Trauzeugen die romantische Trauungszeremonie. Das „Duo Concertante" spielt zur Einstimmung, das Brautpaar unter dem Pavillon, die Gäste mit etwas Abstand drum herum auf bequemen Gartenstühlen unter weißen Schutzdächern. Die Braut schön (aahhh, Applaus), der Bräutigam - es sei gestattet - glücklich lächelnd wie ein „Honigkuchenpferd".
Die Standesbeamtin – freundlich und bestimmt, mit Mikrofon am Revers, die Rede ethisch gestimmt – absolviert die vorgeschriebenen Teile des staatlichen Teils der Zivilehe mit souveräner Herzlichkeit bis zum Fragen und den beiden Antworten des „Ja", dem Unterschreiben des Dokuments, dem Anstecken der Ringe und schließlich: „Nun dürfen sie sich auch küssen!" Alle Gäste gehen mit ihren fröhlichen und sehr persönlichen Glückwünschen zum Paar und beglückwünschen Frau Andrea Käthner-Isemeyer und Herrn Manfred Isemeyer.
Humanistische Trauung
Brautpaar und Gäste wechseln nun in das Amphitheater zur Humanistischen Trauung. Als bestellte Prograderin („Hochzeitsladerin"), die der Hochzeitsfeier ihren organisierten Verlauf gibt, sorgt Regina Malskies - die erfahrene Kulturverantwortliche des HVD Berlin - für den stimmigen Ablauf. Auf bestimmte Bräuche wurde allerdings von vorneherein verzichtet. So hatte der Bräutigam darum gebeten, vom üblichen Brautstehlen abzusehen, da er kein Geld mehr hätte, um die Braut auszulösen.
Die Prograderin hält – bei anhaltendem Sonnenschein und blauem Himmel – die Trauungsrede, in der sie das Thema „Es ist, was es ist" variiert und kombiniert mit dem vom Brautpaar gewählten Thema „Liebe" (Auszug):
„Mit dem heutigen Fest wollt ihr Eure Liebe krönen und euch das Versprechen für eine gemeinsame Zukunft geben. Ihr wollt ein deutlich sichtbares Zeichen setzen, euren Familien, Freunden, Verwandten und Kollegen zeigen: Wir zwei gehören zusammen. Wir bleiben zusammen. Wir werden den weiteren Weg durchs Leben gemeinsam gehen und uns darum deutlich zu unserer Liebe bekennen. Es ist, was es ist.
Liebe Andrea, lieber Manfred.
Vor wenigen Minuten habt ihr eure Beziehung standesamtlich beurkunden lassen und werdet sie nun mit einer humanistischen Zeremonie besiegeln. Ihr habt euch bewusst für den traditionsreichen Weg der ehelichen Bindung entschieden und macht damit eure Vorstellung von einem Leben, das getragen sein soll von Liebe, Vertrauen und Gleichberechtigung öffentlich. Visionen wie diese sind kostbar, denn wir leben in einer Zeit des kühlen Pragmatismus, des 'Machbaren', des Nutzdenkens und der absichtlich klein gehaltenen Hoffnungen, auf das der Sturz in die Niederungen der Realität kalkulierbar bleibe.
Wenn ihr beide also beschlossen habt, wir heiraten, dann ist das keine beiläufige Willenserklärung, nicht nur eine romantische Idee und erst recht kein Steuersparmodell. Es ist ein Bekenntnis: Ja, wir haben uns die Sehnsucht erhalten, unsere Liebe solle unbegrenzt sein, meine Frau, mein Mann einzigartig, unverwechselbar und unersetzlich. Es ist, was es ist.
Ihr werdet euch ausprobieren. Wie viel Nähe ist möglich, wie viel Distanz ist nötig, wie viel Freiraum brauche ich und wie viel Gemeinsamkeit. Und bei allem werdet ihr eure Vision von zwei Menschen, die in ihrer Liebe füreinander nicht nachlassen, im Auge behalten und bemüht sein, noch sensibler und hellhöriger für den anderen zu werden. Es ist, was es ist."
Eine launige kurzweilige Rede, die in ihren Kernelementen auf das Hochzeitspaar ausgerichtet war, von der die Prograderin als Arbeitskollegin auch zu erzählen wusste.
Wir und die Welt
Dann durfte das Paar sich wieder von den „Thronsesseln" erheben und der Kernteil der humanistischen Trauung begann: Das persönliche Eheversprechen, das die beiden Brautleute in tagelanger Kleinarbeit miteinander formuliert, verworfen, überarbeitet und daran gefeilt hatten - vortragen vor den Kindern, Verwandten, Freunden, Kollegen. Ohne einen Gott, ohne Orgeln und vielen Hallelujas. Zwei Menschen bekennen sich zueinander.
Doch was nützt der persönliche Wunsch nach Frieden, wenn es in der Welt kriegerisch ist. Als Wünsche für den Frieden steigen weiße Friedentauben in den Himmel auf – eine extra für den kürzlich verstorbenen Vater der Braut.
Der Hochzeitsfotograf beeilte sich, die den Tauben Nachschauenden wieder auf die Stufen des Amphitheaters zu gruppieren. Es folgt das offizielle Hochzeitsphoto. Danach durften sich die trocken gewordenen Kehlen am Sekt laben, dem Hochzeitspaar noch einmal gratulieren und dabei auch die Geschenke überreichen. Das Klingen der Gläser, die Umarmungen und Glückwünsche fanden allmählich ein Ende, als es wieder zu regnen begann.
Vorsorglich war die Kaffeetafel von der Palmenterasse in den Festsaal verlegt worden, denn der Zuckerguss und die Sahne der dreistufigen Hochzeitstorte hätten draußen sehr gelitten. Die Gäste platzieren sich nach Wunsch.
Nach dem gemeinsamen Anschneiden (Achtung! Die Braut hat die Hand oben und führt ihrem Mann das Messer) eilte der Bräutigam mit den ersten Tellern der Sahneteile und Marzipanrosen zu den verschiedenen Tischen und auf den optischen Geschmack gekommen, bildete sich umgehend eine Hochzeitstortenschlange. Als die letzten der Anstehenden ihren Teil der Torte auf den Teller geladen bekommen hatten, standen die ersten schon wieder an, so lecker war das Kunstwerk Konditorei.
Während des Kaffeetrinkens hatte jeder seine persönlichen Wünsche auf rote Karten geschrieben, die dann an roten (99! Hallo Nena!) Luftballons befestigt, als Wünsche in die Welt aufstiegen und davon getragen wurden.
Festsaal
Nach einer Pause zum Ausruhen und Umziehen für den festlichen Abend wurden am Wasserfall Cocktails gereicht und der Bundesvorsitzende des Humanistischen Verbandes, Dr. Horst Groschopp, sprach launig zum Hochzeitspaar und den Gästen (Anlage).
Die Türen des Festsaals öffneten sich wieder, es war inzwischen umdekoriert worden, und man setzte sich auf die vorgesehenen Plätze an großen runden Tischen. Unter kurzweiligem Geplauder, aufmerksamem Hotelpersonal, das immer darauf achtete, dass die Weingläser gefüllt waren, wurden vier Gänge serviert – Spargelsalat mit Riesengarnele; Geeistes Gurkensüppchen mit Limetten-Basilikumgratinèe; Gefülltes Schwarzfederhuhn mit Kräuter-Aprikosenfüllung auf Basilikumnudeln auf Ratatouille; Gebrannte Rosmarincreme auf Erbeercarpaccio – jeweils unterbrochen und verbunden durch kurze Ansprachen, so des Landesvorsitzenden des HVD Berlin, Dr. Bruno Osuch, und des gerade aus den USA mit seiner Familie herbeigeeilten Bruders des Bräutigams, und Reden am Tisch des Hochzeitspaares und seiner Familie.
Nach zwei Stunden war genug gesessen und gegessen (bis zum Mitternachts-Imbiss) und der beklatschte Eröffnungswalzer „True Love" des Brautpaares gab die Bodenfläche frei für die tanzfreudigen Gäste. Das Trio „Casino Swing" ließ sich von der guten Laune anstecken und spielte unermüdlich, so fröhlich wurde sich auf der Tanzfläche gedreht, gewirbelt, geflirtet und geschwitzt. Männer, die bisher noch nie getanzt hatten, trauten sich, Frauen, die sich bisher scheuten, fanden Mut und Laune.
Die Familie inszenierte Spiele, eine „Theateraufführung" mit Puppen, und der Bräutigam tanzte mit fast allen Frauen, denn sein Sohn, der ganz junge Ferdinand, der vor dem Festmahl herrlich Klavier auswendig und ohne Noten spielte, hatte sechs Schlüssel für die „Geldtruhe" bei anwesenden Damen versteckt. Und der Frischvermählte überraschte alle - besonders seine Frau - mit einer ganz persönlichen Liebeserklärung auf DVD (selbst Helmut Kohl wurde als Weisheitsträger in Sachen Ehe zugelassen).
Eine Stunde vor Mitternacht ging es zum Abkühlen nach draußen zu einem beeindruckenden Feuerwerk mit Silberfontänen auf dem Boden, mit in bunten Farben krachenden Raketen und verwehendem Goldregen in der Höhe.
Dann ging die Tanzerei weiter, bis sich gegen zwei Uhr morgens die ersten Müdigkeiten zeigten.
Rückfahrt
Auf der Rückfahrt am nächsten Vormittag wieder Gedanken zum Humanistischen im Ritual. Zuerst: Was für eine schöne Hochzeit! Nun machen wir uns eine kleine Theorie darauf: Hans-Georg Soeffner meint, Rituale seien „Orientierungsvorgaben in unsicherem Gelände". Also: Wer heiratet, begibt sich auf einen zumindest vage vorgezeigten Pfad. Hartmut M. Griese zählt Rituale zu den „kulturellen Universalien". Wir haben also einem Ereignis beigewohnt, das wir mit Millionen teilen.
Griese kommt zu dem Schluss, „dass aber die komplexe, säkularisierte und pluralisierte Gesellschaft keine eindeutigen Regeln, Biographiestrukturen oder Initiationsriten anbieten kann". Nun gut: Für künftiges Experimentieren mit Ritualteilen wurde einiges geboten.
Um nun abschließend mal den Marx „anzuwenden" (Feuerbach gehört zu den Humanisten wie die „Feuerbach-Thesen"): Es kömmt aber darauf an, die Handlungs- und Reaktionsabfolgen in diesen Ritualen - diesem konkreten Ritual! - anzuschauen, um die tatsächliche symbolische Signalwirkung zu ergründen. Das ist das Schöne an solchen Feiern: Man / frau kann sich das Maul zerreißen und ein Leben lang mit anderen Beispielen vergleichen. Das verhindert Riten als Dogmen. Das ist ja das Schöne am Humanismus: Menschen für Menschen - und Selbstbestimmung.
CF, GG, HG
Fotografien: Heike Feierabend-Krohn, Evelin Frerk, Brigitte Isemeyer, David Käthner, Jutta Reimann u.a.