Mittelaltermärkte - mehr als Spektakel?

Seit den 1980er Jahren erfreuen sich Veranstaltungen, die sich mit dem Mittelalter befassen

, ohne dass sie in den meisten Fällen authentische Inhalte besitzen, immer größerer Beliebtheit. Die Monate Mai bis Oktober sind voll mit Terminen quer durch die Republik. Im Internet findet man hunderte Seiten, die sich mit diesen Events befassen.

 

MÜHLHEIM. (hpd) Die größte Gruppe in dem weit gefächerten Angebot stellen die Mittelaltermärkte oder mittelalterlichen Märkte dar. Diese Mischung aus Volksfest, Marktveranstaltung und Treffpunkt der sich entwickelnden Heidenszene zeigt dem Besucher einerseits eine Fantasiewelt, die sich meist an mittelalterlicher Kultur leicht orientiert und gelegentlich auch historisch Verbürgtes als Grundlage hat. Letztes trifft vor allem auf die Stände der Handwerker zu, die mit einfachem Werkzeug und fast ausgestorbenen Technologien Dinge des täglichen Bedarfs herstellen und dem Besucher so einen Einblick in das Leben unserer Vorfahren geben.

Ritterspiele sind ein Element, welches gern mit den Mittelaltermärkten verbunden wird. Das Angebot schwankt sehr stark von Trödelmärkten mit Mittelalter-Touch und historisch anspruchsvollen Veranstaltungen wie das „Peter-und-Paul-Fest" in Bretten, welches als das authentischste aller Mittelalterfeste im Süddeutschen Raum gilt.

Die zweite große Gruppe von mittelalterlichen Veranstaltungen sind die Musikfestivals. Dort gibt es neben authentischer Musik wie sie die Gruppe „CORVUS CORAX" bringt, auch eine relativ junge Musikrichtung - eine Mischung aus mittelalterlicher Musik und Elementen des Rock. Ein Vertreter dieses Stils ist die Gruppe „Rabenschrey". Weiterhin sind Bands zu finden, die sich der Interpretation regionaler Musik (Bretonisch, Schottisch oder Irisch) verschrieben haben. Ein Vertreter des keltischen Musikstils ist die niederländische Band „Rapalje". Sind die Bands vom Stil her gut gemischt, sind solche Festivals durchaus einen Besuch wert, zumal sie meist in historischem Ambiente wie Burgen oder Schlössern stattfinden.

Beim „Burgfolk - Festival" in Mühlheim an der Ruhr hatte ich Gelegenheit mit dem Bandleader der Gruppe „Rabenschrey" ein kurzes Gespräch zu führen. Diese Gruppe spielt nur selbst geschrieben Stücke. Die Musik ist mitreißend und die Texte reichen von lyrisch über deftig bis kritisch. Das musikalische Können der Bandmitglieder tut ein Übriges, um diese Spielleute, wie sie sich auch gern nennen, auf Anhieb zu mögen, auch wenn man kein großer Kenner dieser Musik ist.

„Rabenschrey"-Mittelalterfolk zwischen Spaß, Lyrik und Tiefgang

Ein kurzes Gespräch mit dem Bandleader Donar von Rabenschrey, der mit bürgerlichem Namen Peter Herbertz heißt, über die Gruppe und darüber hinaus die Szene der mittelalterlichen Märkte, Musikfestivals etc. - assistiert von Christina Küfner.

Häntsch: Wer hatte die Idee zur Gründung der Gruppe?

Donar von Rabenschrey: Ich mache Musik von Kindesbeinen an. Ich organisierte Mittelaltermärkte und brauchte eine Band. Ich suchte Musiker und so entstand dann „Rabenschrey"

Häntsch: Sind Ihre Instrumente Lieder und Texte sowie die Gewandung an eine bestimmte Zeit des Mittelalters angelehnt?

Donar von Rabenschrey: Wir definieren unseren Stil als heidnischen Mittelalterfolk, die rockt. Die Musik hat nichts mit der authentischen Musik des Mittelalters zu tun, das machen andere - zum Beispiel die Gruppe „CORVUS CORAX". Wir schreiben alle Stücke selbst, worauf wir sehr großen Wert legen.

Häntsch: Ihre Musik wirkt sehr professionell. Welche musikalische Ausbildung haben Sie?

Donar von Rabenschrey: Die Bandmitglieder haben stellenweise eine musikalische Ausbildung oder sind Autodidakten. Zudem sind wir in der Lage mit mehreren Stimmen zu singen, was den Stücken mehr Ausdruck verleiht.

Häntsch: In „Hey wir sind Heiden", „Donnerhall", „Pfaffenlied", „Die Christenhölle" singen Sie von der christliche Missionierung, deren Gewalttätigkeit und die Gegengewalt der Heiden, also der Missionierten an. Verstehen Sie das als Beitrag zur Aufklärung, die in Deutschland und Europa ebenfalls seit Ende der 80iger in vielen Kunstformen praktiziert wird?

Donar von Rabenschrey: Wir stehen zu unseren Texten, die ja alle selbst geschrieben sind. Einige davon richten sich gegen die Missionierungskampagnen der christlichen Kirchen.

Häntsch: Sind der Ansicht, dass sich bedingt durch diese Szene bei Menschen eine Abkehr von den christlichen Religionen hin zu einer Art „Heidenkult", Naturreligionen etc. entwickelt.

Donar von Rabenschrey: Ich bin davon überzeugt, dass sich immer mehr Menschen Formen vorchristlicher Spiritualität zuwenden und somit eine Abkehr von den Amts Religionen erfolgt. Es hat sich bereits seit längerem eine Szene dafür herausgebildet, die immer größeren Zulauf erfährt. Die steigenden Besucherzahlen der entsprechenden Veranstaltungen belegen dies.
Die erste CD der Gruppe war für die Eltern eines Freundes Anlass, ihren katholischen Glauben in Frage zu stellen.

Häntsch: Die mittelalterlichen Veranstaltungen sind mit ihren Handwerkerständen, der Musik eher lustige und heitere Veranstaltungen. Kommt das echte Leben, (Armut, Hunger, Kirchenrepressionen, Herrschaftsgewalt) da nicht zu kurz? Obwohl einige Ihrer Texte davon handeln („Sehnsucht", „Nacht der Raben")

Donar von Rabenschrey: Die Märkte und Folk Festivals wollen den Spaß am mittelalterlichen Treiben zum Ausdruck bringen. Das steht im Vordergrund. Es ist klar, dass sich keiner sich das Mittelalter zurück wünscht. Man muss auch unterscheiden, ob ein Mittelaltermarkt lediglich ein Trödelmarkt mit einem Scheinanstrich ist. Rabenschrey meidet solche Märkte. Die Mittelaltermärkte sind für einige sicher auch Anlass, sich mit dieser Zeit ernsthaft zu beschäftigen.

Häntsch: Hatten Sie schon negative Erfahrungen mit der Amtskirche oder Christen allgemein wegen Ihres Schaffens?

Donar von Rabenschrey: Mit den unteren Chargen der Amtskirchen gibt es da bisher keine Probleme. Die „Obrigkeit" hält sich da sehr bedeckt.

Häntsch: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin.

 

Gemischtes Publikum

Das Publikum auf diesen Veranstaltungen ist sehr gemischt, angefangen von Zufallsgästen, Fans der auftretenden Musikgruppen, Neugierigen und Anhängern des neuen Heidentums, ist vieles vertreten. Die Zuordnung gelingt dem etwas erfahrenen Beobachter anhand der Bekleidung oder „Gewandung" wie es im Sprachgebrauch der Szene heißt. Für diese Kleidung hat sich ein ständig wachsender Markt herausgebildet, Internethändler bieten alles an, was der Mensch für seinen temporären „Aufenthalt" im Mittelalter benötigt. Die Menschen, die dieser Leidenschaft frönen, gehören allen Schichten der Bevölkerung an.

Die meisten Veranstaltungen sind Entertainment-Produkte, die immer häufiger von professionell arbeitenden Agenturen vorbereitet und durchgeführt werden. Es wird Spaß, je nach Veranstaltung mehr oder weniger Geschichte verabreicht und es wird vor allem sehr gut verdient. Man kann de facto das Mittelalter buchen, wann immer man will.

Die Mittelaltermärkte vermitteln jedoch mehrheitlich nur eine Seite jener Zeit und das ist die des Schönen. Die Lebensumstände wie Hungersnöte, Krankheiten, das Treiben der Kirche und Kriege bleiben außen vor und finden nur in Festen wie zum Beispiel dem oben erwähnten in Bretten Eingang.

Beachtenswert sind aber einige Texte von Musikgruppen, die sich der mittelalterlichen Musik verschrieben haben, wie „Rabenschrey". Dort wird offene Kritik an der Kirche und der vollzogenen Zwangsmissionierung ganzer Landstriche deutlich. Die Kirche - sonst nach eigenen Aussagen bestrebt im Volk tätig zu sein - hält sich bis heute von den meisten dieser Feste fern. Lediglich Bretten mit dem „Peter - und Paul - Fest" macht wieder sie eine Ausnahme, dort beteiligt sich sogar der evangelische Pfarrer am Rollenspiel, dass die Vertreibung von Menschen mit reformiertem Glauben aus dem katholischen Frankreich darstellt.

Anfragen an die Evangelische Kirche in Deutschland und an die Deutsche Bischofskonferenz bezüglich der Haltung der Kirchen blieben ohne Antwort.

Man muss aber nicht bis Bretten fahren, um das Flair mittelalterlicher Feste zu erleben. Es reicht, ein paar der verschiedenen Angebote zu besuchen und sich dann eine eigene Ansicht bilden und vielleicht sogar Geschmack daran zu finden. Der Idealfall ist, wenn Menschen über derartige Veranstaltungen dahin geführt werden, sich mit dieser sehr langen Zeit der Menschheitsgeschichte zu beschäftigen. Und warum soll dieses nicht Spaß an der Freude geschehen?

In diesem Zusammenhang kommt man nicht umhin, auf das Entstehen des so genannten neuen Heidentums hinzuweisen.

Paganismus

Die Anhänger des Paganismus (Urreligion der Menschheit, Naturreligion) treffen sich häufig auf den oben beschriebenen Festen. Man kann dies hören und sehen. Während der Konzerte werden alte Gottheiten wie Odin angerufen, T-Shirts mit Sprüchen wie „Ich bin Heide" werden als Bekenntnis offen zur Schau getragen. Anhänger der Szene erscheinen zu den Veranstaltungen stets gewandet.
Die Bewegung ist meist locker organisiert und der Kontakt findet vorwiegend in Internetforen statt. Von da aus werden landesweit Treffen organisiert - u.a. zu den Sonnenwendefesten oder Feiertagen wie Samhain am 31. Oktober oder Yule am 21. Dezember. Rituale werden gepflegt, wobei das Spektrum sehr breit gefächert ist. Es wird von nordischen Traditionen (Odinismus), Wicca (moderne Hexerei) bis hin zum Schamanismus als eine Religion der Ekstase sehr viel praktiziert.

Diese Bewegung „Back to the roots" ist eine Form der Abkehr von den gängigen Religionsformen – also von der Vorherrschaft des Christentums im Europäischen Raum. Viele der Anhänger des Paganismus kommen aus den christlichen Amtskirchen, die sie aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen haben. Nicht selten ist die Beschäftigung mit den Naturreligionen der Grund für die Abkehr vom mehr oder weniger dogmatischen Christentum gewesen. Es ist anzunehmen, dass Menschen, die von Kind an zur Religiosität erzogen wurden, nach Verlassen der Kirchen praktizierende Spiritualität suchen, aber ein großes Maß an Selbstbestimmung wollen. Und diese finden sie reichlich im weiten Feld des neuen Heidentums, da es vielfältig und ohne feste Organisationsstrukturen oder starre Regeln auskommt.

Doch wie in allen Gemeinschaften von Menschen gibt es auch hier Ansätze der Herausbildung einer Hierarchie mit der Besonderheit, dass es in der Mehrheit Frauen sind, die sich Weihen unterziehen, um zum Beispiel als Priesterin Rituale führen zu können - ein Anspruch, der Frauen in vielen Religionen immer noch verwehrt wird. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Dinge in dieser Hinsicht entwickeln.

Verlierer sind eindeutig die Kirchen, die ihr Überleben heute mehr denn je sichern müssen, die aber - wie in Hessen geschehen - sogar Pfarrerinnen, die sich mit Feng-Shui beschäftigen aus dem Dienst entlassen.

Das neue Heidentum stellt sich in der Regel sehr offen gegen die Dominanz der christlichen Kirchen in Europa, die mit viel körperlicher und geistiger Gewalt durchgesetzt wurde.

Es bleibt zu hoffen, dass es irgendwann gelingt, Religion so zu betreiben, dass kein Mensch gezwungen wird, sich daran zu beteiligen und das sich die Formen nebeneinander und nicht gegeneinander entwickeln.

Die Anmerkungen zum Heidentum verstehen sich nur als grobe Übersicht, da dieses Thema zu umfangreich ist, um sie in einem Artikel auch nur ansatzweise zu bearbeiten. Die angegebenen Links geben weitere Einblicke für diejenigen Leser, die sich eingehender damit befassen wollen.

 

Thomas Häntsch