Islam in Europa?

(hpd) Soll man bedenkliche Tendenzen in anderen Kulturen und Religionen dulden oder sie im Namen der Aufklärung und Religionskritik bekämpfen?

 

Um diese Frage streiten seit den letzten Jahren zahlreiche Intellektuelle und Politiker, Publizisten und Wissenschaftler. Dabei führt man diese Auseinandersetzung mit heftigen Vorwürfen, welche ihren Ausdruck in den Formulierungen „Fundamentalismus der Aufklärung" und „Rassismus der Antirassisten" finden. Eine solche Kontroverse wurde seit Anfang 2007 auf den Internetseiten perlentaucher und signandsight geführt. Hauptakteure waren Pascal Bruckner auf der einen und Timothy Garton Ash und Ian Buruma auf der anderen Seite sowie Ayaan Hirsi Ali und Tariq Ramadan als Nebenakteure ebenfalls auf verschiedenen Seiten. Die beiden Journalisten und Perlentaucher-Mitarbeiter Thierry Chervel und Anja Seeliger dokumentieren nun diese Auseinandersetzung in einem Sammelband mit dem Titel „Islam in Europa. Eine internationale Debatte".

Er enthält zwanzig Beiträge von den genannten und anderen Autoren: Am Beginn steht das Plädoyer von Ayaan Hirsi Ali für das Recht, zu beleidigen. Ihr folgt der Schlagabtausch zwischen Pascal Bruckner, Ian Buruma und Timothy Garton Ash, die wie die nachfolgenden Autoren alle auf der Basis der universellen Menschenrechte und des antitotalitären Konsenses argumentieren. Gleichwohl formulieren sie genau entgegen gesetzte Positionen: Die einen sehen pauschal in frommen Muslimen und dem religiösen Islam eine Gefahr für Freiheit und Recht, die anderen treten um der friedlichen Koexistenz willen für mehr Duldung und Toleranz ein. Bekannte Autoren wie Ulrike Ackermann und Lars Gustafsson, Necla Kelek und Bassam Tibi positionieren sich in ihren Beiträgen ebenfalls in dieser Auseinandersetzung. Dabei scheuen die Protagonisten nicht vor persönlichen Angriffen und Unterstellungen zurück, liefern aber selbstverständlich auch inhaltliche Argumente und Belege für die von ihnen vertretenen Positionen.

Leider geht mit der Emotionalität und Heftigkeit der Debatte auch die eigentlich nötige Differenzierung und Sachlichkeit verloren. Kritik und Zustimmung lässt sich denn auch gegenüber beiden Seiten formulieren: Der Monopolanspruch auf Aufklärung und der Relativismus gegenüber den Menschenrechten verdienen gleichermaßen Ablehnung wie die Kritik an Frauendiskriminierung und die interkulturelle Pluralität Bejahung. Statt verbal aufeinander einzuprügeln, hätten sich die Protagonisten der Debatte besser über die gemeinten Ebenen und spezifischen Gesichtspunkte austauschen sollen. So ist dem modernen Toleranzverständnis eine ein- und eine ausschließende Dimension eigen. Welche Werte sollen nun über die Bestimmung dieser Grenze entscheiden? Und ein anderer Aspekt: Angesichts der Debatte über den Bau von islamischen Krankenhäusern und repräsentativen Moscheen: Kann man alle sozial bedenklichen Entwicklungen untersagen und verbieten, ohne mit den eigenen Rechtsprinzipien in Konflikt zu kommen?

Armin Pfahl-Traugher

Thierry Chervel/Anja Seeliger (Hrsg.), Islam in Europa. Eine internationale Debatte, Frankfurt/M. 2007 (Suhrkamp-Verlag), 227 S., 10,00 €