Pro Ethik

BERLIN. (hpd) Kirchen und CDU kämpfen weiter gegen das Berliner Ethikfach.  

Seit mehr als 17 Jahren

kämpfen sie in Berlin um die Einführung eines Wahlpflichtbereiches Ethik/Religion. Die bisherige Regelung, nach der Religions- und Weltanschauungsunterricht Sache der Bekenntnisgemeinschaften und nicht des Staates ist, und der 2006 eingeführte gemeinsame Ethikunterricht sollen abgeschafft, die Trennung von Kirchen und Schule aufgehoben werden. Nachdem 2007 das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die Pflicht zur Teilnahme am Fach Ethik als unbegründet abgewiesen hatte, soll nun ein Volksbegehren bzw. Volksentscheid Abhilfe schaffen. Dagegen formiert sich der Widerstand derjenigen, die dieses Fach politisch erstritten haben. Sie verdienen bundesweite Solidarität.

Ethik als integratives Pflichtfach in Berlin seit 2006

Nach jahrelanger Debatte hatte die Berliner SPD, welche die stärkste Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus stellt, beschlossen, dass an der Berliner Schule für alle Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 7 – 10 ein integratives Pflichtfach Ethik (Flyer Wertefach.pdf und gem. Wertefach.pdf im Anhang) eingeführt werden soll. Die Einführung begann im Schuljahr 2006/2007. Zum Ziel des Faches heißt es im § 12, Absatz 6 des Berliner Schulgesetzes: „Ziel des Ethikunterrichts ist es, die Bereitschaft und Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer kulturellen, ethnischen, religiösen und weltanschaulichen Herkunft zu fördern, sich gemeinsam mit grundlegenden kulturellen und ethischen Problemen des individuellen Lebens, des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie mit unterschiedlichen Wert- und Sinnangeboten konstruktiv auseinander zu setzen. Dadurch sollen die Schülerinnen und Schüler Grundlagen für ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Leben gewinnen und soziale Kompetenz, interkulturelle Dialogfähigkeit und ethische Urteilsfähigkeit erwerben. Zu diesem Zweck werden Kenntnisse der Philosophie sowie weltanschaulicher und religiöser Ethik sowie über verschiedene Kulturen, Lebensweisen, die großen Weltreligionen und zu Fragen der Lebensgestaltung vermittelt. Das Fach Ethik orientiert sich an den allgemeinen ethischen Grundsätzen, wie sie im Grundgesetz, in der Verfassung von Berlin und im Bildungs- und Erziehungsauftrag der §§ 1 und 3 niedergelegt sind. Es wird weltanschaulich und religiös neutral unterrichtet.“ (Weitere Informationen in einer Broschüre der Senatsverwaltung, kurzinfo_ethik 2006-1.pdf im Anhang).

Bundesverfassungsgericht weist Beschwerde zurück

Von kirchlichen Kräften organisierte Verwaltungsklagen und schließlich einer Verfassungsbeschwerde von Eltern und Schülern, die eine Abmeldemöglichkeit vom Ethikunterricht wegen Teilnahme am Religionsunterricht durchsetzen wollten, schlugen fehl. Das Bundesverfassungsgericht weist die Beschwerde am 15. März 2007 als unbegründet zurück. Ein Pflichtfach Ethik verletze die Beschwerdeführer weder in ihrem Recht auf Religionsfreiheit noch Eltern in ihrem Erziehungsrecht. (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts)
In der höchstrichterlichen Entscheidung werden im Übrigen die durch den Berliner Gesetzgeber vorgetragenen Gründe für die Einrichtung eines integrativen Faches für alle Schülerinnen und Schüler deutlich gestützt: „Der Ethikunterricht in seiner konkreten Ausgestaltung zielt hier auf die Ausbildung einer dialogischen Gesprächskultur, in der Konsens angestrebt und Dissens akzeptiert und ausgehalten wird (vgl. Abschnitt 2.2 des Rahmenlehrplans für das Fach Ethik). Dabei erfahren die Gesichtspunkte des Perspektivenwechsels, der unterschiedlichen Erfahrungswelten und der Empathie besondere Betonung (vgl. Abschnitt 2.2 des Rahmenlehrplans). Angestrebt wird mithin, dass sich Schüler auch unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und Weltanschauung untereinander über Wertfragen austauschen. Angesichts dieser Unterrichtsziele durfte der Berliner Landesgesetzgeber im Ergebnis davon ausgehen, bei einer Separierung der Schüler nach der jeweiligen Glaubensrichtung und einem getrennt erteilten Religionsunterricht sowie einer Aufspaltung der Unterrichtsgegenstände auf verschiedene andere Fächer oder der Möglichkeit der Abmeldung von einem Ethikunterricht. könne den verfolgten Anliegen im Lande Berlin möglicherweise nicht in gleicher Weise Rechnung getragen werden wie durch einen gemeinsamen Pflicht-Ethikunterricht." (Absatz 42).

Anstrengung eines Volksbegehrens gegen das Ethikfach

Im Zusammenhang mit dem Scheitern der Versuche, gerichtlich gegen den integrativen Ethikunterricht vorzugehen, wurde in Berlin der Verein Pro-Reli e.V. gegründet, der sich die Aufgabe stellt, einen Wahlpflichtbereich Ethik/Religion nunmehr durch ein Volksbegehren bzw. Volksentscheid durchzusetzen. Dazu wurde der Entwurf einer Schulgesetzänderung formuliert, durch welche der integrative Ethikunterricht abgeschafft und zu einem Wahlpflichtfach heruntergestuft werden soll. Die in der ersten Stufe erforderliche Zahl der Unterschriften wurde mit 34.472 Befürwortern des Volksbegehrens erreicht, welches voraussichtlich ab Juni 2008 durchgeführt wird. Werden im Zeitraum von vier Monaten dann mindestens 170.000 Unterschriften gesammelt, würde sich – falls das Abgeordnetenhaus dem Begehren zur Schulgesetzänderung nicht folgt – ein Volksentscheid anschließen können. Für die Durchsetzung des Pro-Reli-Gesetzentwurfs wären dann mindestens 610.000 Ja-Stimmen erforderlich.

Konfessionalistische Argumentation

In der Argumentation von Pro-Reli e.V. werden der integrative Anspruch des Ethikunterrichts ignoriert und allein konfessionelle und kirchliche Interessen artikuliert. Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union hat sich ausführlich mit folgenden, z.T. absurden Behauptungen der Befürworter eines Wahlpflichtbereiches Ethik/Religion auseinandergesetzt:

  • „Ethik/Religion schafft Wahlfreiheit“
  • „Ethik/Religion nimmt den unterschiedlichen Erfahrungshorizont ernst“
  • „Ethik/Religion fördert Toleranz“
  • „Ethik/Religion bietet authentische Lehrer“
  • „Ethik/Religion löst das momentane Dilemma des Pflichtfachs Ethik“
  • „Ethik/Religion sichert staatliche Neutralität“
  • „Ethik/Religion vermindert die Fundamentalismusgefahr“

Kampf der Kirchen mit Lügen und Diffamierungen

Nachdem die öffentliche Debatte in Berlin bereits Ende der 1990er Jahre an Intensität zugenommen hatte, steigerten sich die Attacken kirchlicher Kräfte gegen die Planung eines gemeinsamen Ethikunterrichts bis hin zu Diffamierungen, bei denen die Politik der Berliner Regierungsparteien und des Senats mit der Politik der Nationalsozialisten verglichen wurden.
In einer Analyse von Peter Kriesel (Analysen Berliner Ethikdebatte 2005.pdf im Anhang)aus dem Jahre 2005 heißt es dazu: „Wenn man den Meldungen vieler Medien, der Kirchen und der CDU zwischen Mitte März bis Mitte Juni 2005 Glauben schenken will, dann hat mit dem Beschluss der Berliner SPD auf ihrem Bildungsparteitag Anfang April in der Hauptstadt ein Kulturkampf begonnen. Dort hatte sich eine Dreiviertelmehrheit der Delegierten für ein integratives Ethikpflichtfach für alle Schüler ohne Abmeldemöglichkeit ausgesprochen. Bereits im unmittelbaren Vorfeld des SPD-Parteitages wurde eine Kampagne seitens der Kirchen, der CDU, CSU und FDP gestartet, die mit Unwahrheiten, Unterstellungen und Diffamierungen operierte. Dabei wurden sogar die Zeiten der NS-Diktatur und der DDR beschworen und der Koalition aus SPD und PDS die Absicht unterstellt, die Religionsfreiheit in Berlin abschaffen zu wollen und angeblich solle der Religionsunterricht nach ihrem Willen ‘ein für alle mal aus der Schule verbannt werden’.
Was ist da in der neuen deutschen Hauptstadt passiert? Welche Ungeheuerlichkeiten werden in der Bildungslandschaft des Bundeslandes Berlin geplant, dass sogar ein ‘Notbund für den Evangelischen Religionsunterricht’ von Reymar von Wedel gegründet wird? Wörtlich sagt dieser dazu: ‘Viele, die unseren Aufruf zur Bewahrung des Religionsunterrichts begrüßt haben, stellen die Frage, warum dieser Vergleich: so schlimm wie 1934, als Niemöller den Pfarrernotbund gründete, ist es doch heute nicht. Das ist richtig, aber es kann so werden und manches ist schon heute vergleichbar.’“ Einige Titel von Presseveröffentlichungen aus dem Jahre 2005 kennzeichnen die damaligen Hasstiraden: „Senat entblößt Atheistenfratze“ (taz 16.3. 05), „Berlin erhebt einen weltanschaulichen Herrschaftsanspruch“ (FAZ 19.3. 05), „Berliner Religionskrieg“ (Berliner Morgenpost 7.04.02) und Kardinal Sterzinsky wird in der Süddeutschen Zeitung vom 4.4.05 mit dem Ausspruch zitiert: „Zustände wie in der Nazizeit“.

Propagandistische Schaustücke

Einer der Schöpfer der in den Medien dann vervielfachten Lügen und Diffamierungen ist der evangelische Landesbischof von Berlin Wolfgang Huber. Im von ihm verfassten Begleitbrief zu einem Aufruf gegen den gemeinsamen Werteunterricht in Berlin vom April 2005 werden Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Diffamierungen bis hin zu Vergleichen mit dem Nationalsozialismus mit propagandistischem Geschick hintereinander gereiht, wohl immer mit der Ahnungslosigkeit und Vertrauensseligkeit der Adressaten rechnend. Nachzulesen in der Analyse von Peter Kriesel.
Dieser Stil der Auseinandersetzung um 2005 lebt in jüngster Zeit wieder auf. So schreibt der Politikredakteur Ulrich Clauss der Zeitung „Die Welt“ in der Ausgabe vom 11. Februar 2008: „Die Bürgerinitiative ‘ProReli’ streitet für die Wiedereinführung des Fachs Religion an Berliner Schulen. Der rot-rote Senat hatte dieses abgeschafft – eine viel kritisierte Entkirchlichungspolitik – und ein Einheitsfach Ethik stattdessen verordnet.“ Und: „Es dürfe ‘kein staatliches Monopol auf die Vermittlung von Werten geben’“, wird der evangelische Landesbischof Huber zustimmend zitiert.

Wertepluralismus an der Berliner Schule

Wahr ist dagegen, dass es seit 1948 an Berliner Schulen ununterbrochen Religionsunterricht gibt (seit Mitte der 1980er Jahre übrigens auch das weltanschauliche Fach „Humanistische Lebenskunde“) für welchen die Kirchen bis zu 90 Prozent der Personalkosten sowie die Mittel zur Qualifizierung von Lehrkräften erhalten. Jede Schülerin und jeder Schüler kann seitdem und auch in der Zukunft frei entscheiden, ob sie bzw. er Religions- oder Weltanschauungsunterricht besuchen wollen oder nicht; und das auf jeder Jahrgangstufe, auch in den Klassen, wo es gemeinsamen Ethikunterricht gibt. Und finanziert aus Steuergeldern der mehrheitlich konfessionsfreien Bevölkerung Berlins. Im letzten Jahr wurde darüber hinaus vom Senat ein Vertrag mit der evangelischen Kirche unterzeichnet, der ihr großzügige Zuwendungen und die Finanzierung einer Reihe von Lehrstühlen an der Berliner Humboldt-Universität sichert. Alles dies ist angesichts dessen, dass Berlin nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Februar 2000 (BVerwG 6 C 5.99) von Verfassungs wegen (Artikel 141 des Grundgesetzes) überhaupt nicht verpflichtet ist, Religionsunterricht anzubieten, eine sehr wohlwollende Förderung der Kirchen in Berlin.
Und dass das Land Berlin außer dem gemeinsamen Ethikunterricht unterschiedlichen Anbietern von Religions- bzw. Weltanschauungsunterricht ermöglicht, ihre Wertvorstellungen und Anschauungen in der öffentlichen Schule jenen Schülerinnen und Schülerinnen nahezubringen, die bzw. deren Eltern dies wünschen, ist nicht Ausdruck eines angeblichen staatlichen Monopolanspruchs zur Wertevermittlung, sondern eine aktive Unterstützung des Wertepluralismus.

Bündnis für gemeinsamen Ethikunterricht erwartet

Der Berliner Senat hat am 22. Januar 2008 dem Abgeordnetenhaus seine Stellungnahme zum Volksbegehren für einen Wahlpflichtbereich Ethik/Religion vorgelegt. (Senat zu Volksbegehren 1-08.pdfim Anhang; vollständig hier) Darin lehnt der Senat die geforderte Gesetzesänderung ab und stellt klar: „Es entspricht nach wie vor der Auffassung des Senats, dass die durch das Fach Ethik beabsichtigte Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I auf das Zusammenleben in einer säkularen Gesellschaft, in der viele Religionen und Weltanschauungen Formen eines friedlichen und fruchtbaren Zusammenlebens praktizieren müssen, in besonderer Weise dadurch begünstigt wird, das alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam an diesem Fach teilnehmen.“ Unwahre Behauptungen der Initiative Pro Reli, etwa dass der Senat für sich „das Monopol für die Wertevermittlung an der Schule“ beanspruche, werden widerlegt.

Für die nächsten Monate bis Anfang 2009 ist ein Wiederaufflammen der heftigen öffentlichen Debatte zum Ethik- und Religionsunterricht in Berlin zu erwarten. Dies wird möglicherweise auch zu einem Bündnis der Kräfte führen, die sich über die Jahre mit Überzeugung und tragfähigen Argumenten für ein gemeinsames Wertefach in Berlin eingesetzt haben. Dazu gehören die Berliner SPD, die Linkspartei, Bündnis 90/Die Grünen, die GEW, die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, der Fachverband Ethik (Bundesverband) sowie der Humanistische Verband, der in Berlin das freiwillige Fach "Humanistische Lebenskunde" neben dem Religionsunterricht anbietet.

Gerd Eggers