Es gibt nichts Richtiges im Falschen

Wyoming, 1963: Die beiden Cowboys Ennis del Mar und Jack Twist heuern zeitgleich zur Arbeit als Schafhirten auf dem Brokeback Mountain an.

Aus der Freundschaft der Beiden wird bald unter dem Einfluss der Einsamkeit der Berge mehr, als beide vorher zu ahnen im Stande waren.

 

Der taiwanesische Regisseur Ang Lee, der schon für sein bildgewaltiges Film-Kampfkunst-Drama "Tiger & Dragon" und sein gesellschaftskritisches Drama "Der Eissturm" viel Lob erfuhr, liefert mit diesem Film, der auf einer Kurzgeschichte von Annie Proulx ("Das grüne Akkordeon") basiert, ein Meisterwerk des einfühlsamen Melodrams ab.

Gefühlvoll und zurückhaltend erzählt er die Geschichte einer unglücklichen Liebe. In Bildern, die stellenweise an Wim Wenders "Don't come knocking“ erinnern, und vor einer großartigen Naturkulisse zeigt er, mit welcher Sehnsucht sich die beiden Protagonisten nach der wahren Liebe verzehren, sich aber dennoch den gesellschaftlichen Zwängen unterordnen müssen. Dabei bleibt Lees Film in seiner Stellungnahme offensiv und ist emotional, verliert sich aber nie in moralingesäuerten Predigten, sondern vertraut der Urteilsfähigkeit seines Publikums.

Zwar zeigt der Film in seinen emotionalen Szenen durchaus leichte Anflüge einer Kitschigkeit, doch ist diese eher selten, zaghaft, und so dominiert eine unaufdringliche Inszenierung, in der sogar das schwere Thema der "Hate Crimes" (Verbrechen aus Hass, im Englischen oftmals als Bezeichnung für Verbrechen mit xeno- und/oder homophobem Hintergrund ) mit einer unbeschwerten Ernsthaftigkeit angefasst wurde. Erstaunlich sind auch die Liebesszenen, die zwar mit Nachdruck dem Sujet um die Schwierigkeiten der Akzeptanz einer homosexuellen Liebe in einer konservativen Gesellschaft Ausdruck verleihen, aber an sich harmlos und unprovokant erscheinen. Grund dafür ist allerdings nicht eine Prüderie auf Seiten des Regisseurs Ang Lees, sondern eine behutsame und rücksichtsvolle Inszenierung, die zwar explizit wird, aber auch in diesen Szenen auf die Emotionen und Charakterzeichnungen ihrer Protagonisten setzt und nicht auf reißerische Provokation oder Exploitation ihres Sujets. Das ist vor allem der große Vorteil, den "Brokeback Mountain" gegenüber anderen Schwulen-Filmen oder Serien hat: die Zurückhaltung nicht aus falscher Scham, sondern aus Rücksicht um die Protagonisten.

Diese Rücksicht führt zu einer weiteren Konsequenz und letztendlich auch zu dem Grund, warum der Film ein so großes Publikum anspricht: Ang Lees Film besticht durch die Reduktion auf die Dramatik um die Negation der einen wahren, großen Liebe. Das ist zentrales Thema des Films: Eine meditative Beschwörung der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Liebe in einer von Ablehnung geprägten Welt und die daraus resultierende Reflektion der Innenwelt seiner Protagonisten. Dies bewirkt er weniger durch Dialoge, als vielmehr durch die Konzentration auf Gestik und Mimik. Die Beobachtung ist so detailverliebt, das Spiel aller Beteiligten so ausgereift, dass der Film auch ohne Dialoge ausgekommen wäre. Seiner Geschichte nutzt diese Tatsache ungemein, sie wird dadurch universell: Die Geschichte ist nicht mehr auf Worte und Beziehungsmuster fixiert, sondern konzentriert sich auf die genaue Beobachtung der Menschen und ihrer Gefühle und lässt sich, durch die Zentrierung des Blickwinkels auf die Innenwelt seiner Protagonisten, leicht auch auf heterosexuelle Beziehungen übertragen.

Dass Lee sich dennoch für eine homosexuelle Beziehung entschieden hat liegt zum einen an der literarischen Vorlage, die das Sujet vorgibt und definiert, und zum anderen an der weit weniger konstruiert wirkenden Dramaturgie der gesellschaftlichen Ablehnung. So ist zum Beispiel die Konstellation in Shakespeares "Romeo & Julia" - mit zwei bis aufs Blut miteinander verfehdeten Familien gleichen Standes in einer Stadt -, gesellschaftlicher Ausnahmezustand, während eine homosexuelle Liebe innerhalb eines restriktiven Gesellschaftssystems schlichte Realität ist. Das regelmäßig auftretende Phänomen gesellschaftlicher Ablehnung des scheinbar Andersartigen ist Motivation für Lee und Proulx, ihre Protagonisten als gewöhnliche, schwule Arbeiter darzustellen und sie in eine Zeit zu versetzen, in der Schwule noch von einer Mehrheit der Gesellschaft geächtet wurden und als nicht normal galten.

Deshalb ist dieser Film auch eine Kritik an einer xenophoben Gesellschaft, die Lee gekonnt mit seiner Meditation über die unerträgliche Unmöglichkeit der Liebe zu verbinden weiß. Lees Vorhaben ist nicht die Kontroverse durch die Demontage des Western-Genres, die z.B. bereits Wenders in "Don't come knocking" beginnt, sondern die Darstellung einer homosexuellen Beziehung als ebenso gleichwertig, wie eine heterosexuelle Beziehung und eben das Problem, dass eine konservative Gesellschaft mit einer solchen Gleichstellung zu haben scheint. Und Lee scheut auch nicht davor zurück, die weitreichenden Folgen der gesellschaftlichen Inakzeptanz zu zeigen. So werden die Frauen des Films Opfer ihrer eigenen Ehemänner: Weil Jack und Ennis nicht im Stande sind, ihre Liebe, Gefühle und Wünsche frei leben zu können, sondern sich dem gesellschaftlichen System unterordnen müssen, reißen sie ihre eigenen Frauen und Familien in ein emotionales Vakuum, in dem die Frauen nur noch mit Ablehnung reagieren können.

Auch in der Darstellung der Frau bleibt Ang Lee erfrischend wertfrei. Bei oberflächlicher Betrachtung scheinen die beiden Ehefrauen als kühl und distanziert, wenn nicht sogar schon negativ konnotiert. Aber der Eindruck täuscht. Lee beobachtet bloß, wie die Frauen auf die emotionale Ablehnung ihrer Ehemänner reagieren, und schafft es so, Sympathien für die Ehefrauen hervorzurufen. Keiner der Beteiligten trägt eine Schuld daran, dass die Tragödie so verläuft, wie sie verläuft. Selbst Enis, der als ein sehr wortkarger, nahezu emotionsloser Mensch gezeichnet wird und sich nur dann ein bisschen öffnen kann, wenn er und Jack alleine sind, trägt letztendlich keine Schuld, sondern ist durch Eindrücke aus seiner Kindheit so geworden, wie er ist. Lee zeigt sehr drastisch, dass der eigentliche Übeltäter eine konservative und eingeengte Weltsicht ist, die keinen Platz zulässt für Menschen wie Ennis und Jack, sondern auf Menschen wie sie mit Ablehnung, Hass und letztendlich Gewalt reagiert. Dabei macht sie auch nicht davor Halt, bereits Kinder dieses restriktive Weltbild aufzuzwingen, dass eine Liebe nach dem Wesen des Menschen verbietet und stattdessen nur das gutheißt, was den gesellschaftlichen Konventionen und Normen entspricht. Gerade deshalb sind beide gezwungen, sich ihr Leben lang für etwas auszugeben, was sie nicht sind und dadurch nicht nur sich, ihr eigenes Leben und ihre Emotionalität zerstören, sondern auch das Leben ihrer Frauen und Familien.

Ebenso wie Annie Proux dies bereits in ihrer Kurzgeschichte tat, zeigt auch Lee in seinem Film die zerstörerischen und menschenfeindlichen Folgen einer unaufgeklärten Gesellschaft, die sich durch engstirnige Vorstellungen von Normalität, Moral und Sittlichkeit sowohl über die sexuelle, als auch die allgemeine Selbstbestimmung des Individuums erheben will. Es ist überraschend, dass der Film für diesen Zustand der Unaufgeklärtheit keinen direkten Verantwortlichen nennt, sondern nur indirekt eine Schuldzuweisung vornimmt: Während der Priester, der Enis und Alma verheiratet, durch eine lakonische Bemerkung sein Interesse an Alma zum Ausdruck bringt und sich damit bereits außerhalb der im Film dargestellten restriktiven und konservativen Gesellschaft positioniert, wird eine Überschreitung der Norm-Grenzen durch Menschen wie Enis und Jack, zwei gewöhnliche Arbeiter aus eher unteren Schichten, nicht geduldet und brutal bekämpft. Während also der Normen und Konventionen bestimmende Teil der Gesellschaft sich über die von ihr definierten Normen erheben kann, verharrt der normierte Teil der Gesellschaft in einer scheinbaren Denkstarre, die vor allem aus der Autoritätshörigkeit resultiert: unreflektiert werden die Positionen der meinungsbildenden Elite, hier repräsentiert durch den Priester, übernommen, bis sich schließlich die Gesellschaft über die Vorstellung von Norm einiger Weniger definiert. Wer diesem Gehorsam nicht nachfolgt oder gegen die Normen verstößt, wird als Außenseiter stigmatisiert. Das es in einer solchen Gesellschaft keine Selbstbestimmung geben kann, liegt auf der Hand. Stattdessen wird das Leben der Menschen entindividualisiert und durch eine übergeordnete Moral fremdbestimmt. Jeder Ausbruch aus diesem System, jeder Versuch sich der aufgezwängten Rolle zu widersetzen und seine eigene Persönlichkeit zu leben ist fast immer zum Scheitern verurteilt und wer oft genug gescheitert ist, der resigniert, passt sich dem System an und hilft, es am Leben zu erhalten.

Gerade weil Film und Buch dieses unausweichliche Scheitern bis zum Ende konsequent darstellen, aber auch immer wieder Möglichkeiten zur Veränderung dieser gesellschaftlichen Starre aufzeigen, kann man beiden Werken ein hohes Niveau attestieren: Statt sich in einem kitschigen und vor allem unwahrscheinlichen Happy End zu ergehen, lässt die Geschichte einen letzten Blick auf eine unangenehme Realität zu, die leider noch viel zu häufig anzutreffen ist: der Unwille zu mehr persönlichem Engagement und dem Hinterfragen der vorherrschenden Meinungen. Fremdbestimmung kann nur durch Selbstbestimmung überwunden werden, auch wenn das selbstbestimmte Handeln unangenehme Folgen hat: Alles, auch die Ausgrenzung, ist besser als die Resignation und sein Leiden fatalistisch hinzunehmen, so die eindeutige Botschaft des Films. Und so entlässt der Film, mag man der Stimmungslage in einigen Filmforen Glauben schenken, überraschend viele Zuschauer engagierter, politisierter und bereit, die Gesellschaft zum Positiven hin zu verändern.

Die Darsteller Heath Ledger und Jake Gyllenhaal sind in ihren bisher erwachsensten Rollen überzeugend und auch der übrige Cast weiß zu begeistern, allen voran Anne Hathaway, die eindringlich die oberflächlich kühle Geschäftsfrau spielt, aber ständig in feinen Gesten, Worten und Details nach den emotionalen Zuwendungen schreit, die ihr von ihrem Ehemann verwehrt bleiben. Die Kamera von Rodrigo Prieto schafft einen gelungenen und visuell beeindruckend gefilmten Kontrast zwischen der Weite der Natur und der Enge der Kleinstädte, dass dieser Gegensatz beinahe körperlich greifbar erscheint. Auch der Schnitt ist sehr gelungen und beide Aspekte, Schnitt und Kamera, sorgen dafür, dass die Handlung fast ausschließlich von Bildern, Bildkomposition und dem Spiel der Beteiligten getragen wird und machen so den ohnehin schon spärlichen Dialog nahezu überflüssig.

Lange haben Annie Proulx und die beiden Drehbuchautoren Larry McMurtry und Diana Ossana nach einem geeigneten Regisseur gesucht. Mit Ang Lee haben sie den bestmöglichen Regisseur bekommen, der die zu Grunde liegende Geschichte mit soviel Herzblut wie möglich umsetzt. Doch neben dem persönlichen Engagement, mit dem Lee an seine Filme herangeht, ist es auch die cineastische Brillanz, sein filmisches Können und die technische Expertise seiner übrigen Mitarbeiter, die "Brokeback Mountain" zu dem Filmereignis machen, das es ist: ein gefühlvolles, sowohl trauriges, als auch unterhaltendes, aber auch offensives und dramatisches Epos um eine schwule Liebe unter Cowboys und über die Probleme, auf die eine solche Liebe in einer konservativen Gesellschaft stößt.

Die DVD zum Film ist als Einzel-, bzw. Doppel-DVD bei Universum Film erschienen.

Die Kurzgeschichte von Annie Proulx ist in der Kurzgeschichten-Sammlung „Weit draußen: Geschichten aus Wyoming“ bei Luchterhand erschienen.

Benjamin Hahn