"Alternativheilverfahren" sind keine Alternative

ASCHAFFENBURG. (hpd) Der heutige 7. April ist der Weltgesundheitstag. Mit diesem Tag erinnert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an

ihre Gründung. Jedes Jahr steht ein Thema von globaler Bedeutung in Vordergrund, anhand dessen Gesundheitsprobleme ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt werden sollen.

Auch wenn das diesjährige Thema „Klimawandel" heißt, setzt der Humanistische Pressedienst aus gegebenem Anlass einen anderen Schwerpunkt. Denn soeben ist ein neues Buch von Colin Goldner erschienen, das sich kritisch mit alternativmedizinischen Diagnose- und Heilverfahren auseinandersetzt. Und so sprachen wir mit dem Autor über Wirkung und Nebenwirkungen der sogenannten ganzheitlichen Medizin.

 

hpd: Colin Goldner, in Ihrem neuen Buch stellen Sie mit der Alternativmedizin ein ganzes Segment des Gesundheitsmarktes unter ein Verdikt. Was spricht denn dagegen, nicht sofort zu Medikamenten zu greifen, sondern zunächst ein natürliches Verfahren einzusetzen?

Colin Goldner: Es spricht überhaupt nichts dagegen, bei kleineren Beschwerden und Missbefindlichkeiten, auch zur Vor- und Nachsorge, natürliche Verfahren einzusetzen. Dazu zählen Luft- und Lichttherapie, Wasseranwendungen, Entspannungs- und Bewegungsübungen, bewusste Ernährung und allgemein „gesündere Lebensführung". Die große Mehrzahl der „Alternativheilverfahren", von Aderlass, Akupunktur und Ayurveda hin zu Homöopathie, Schüßlersalzen und Zelltherapie, hat mit Naturheilkunde überhaupt nichts zu tun.

hpd: Wenn „sanft" und „natürlich" keine Merkmale sind, die Alternativmethoden korrekt beschreiben, was haben sie denn dann gemeinsam?

Colin Goldner: Durch derlei Begriffe - auch „unkonventionelle", „komplementäre" oder „ganzheitliche" Heilkunde ist oft zu hören - soll der Eindruck erweckt werden, es handle sich um Verfahren, die der Schulmedizin weit überlegen oder zumindest ebenbürtig und jedenfalls nebenwirkungsfrei sind. Tatsächlich wird damit nur verschleiert, dass sie durch nichts belegt sind, ansonsten wären sie längst Teil der Schulmedizin.

hpd: Nun finden sich unter den 30 von Ihnen beschriebenen Verfahren auch die Homöopathie und die Anthroposophische Medizin, die beide sogar im Sozialgesetzbuch angeführt werden...

Colin Goldner: Die Mittel der Homöopathie und der anthroposophischen Heilkunde unterliegen einer gesetzlichen Ausnahmeregelung: Die Wirkung der jeweiligen Präparate muss nicht anhand der wissenschaftlichen Kriterien nachgewiesen werden, die Maßstab der Zulassung jedes anderen Medikaments sind. Eine klinisch-kontrollierte Arzneimittelprüfung außerhalb des jeweiligen sogenannten Binnenkontexts findet nicht statt. Homöopathen prüfen Homöopathika, Anthroposophen prüfen Anthroposophika.

hpd: Die Befürworter der Homöopathie verweisen auf Studien, mit denen die Wirksamkeit der Mittel belegt worden sei. Warum halten Sie deren Ergebnisse für nicht stichhaltig?

Colin Goldner: Homöopathika, jedenfalls solche in höheren Verdünnungsgraden (über D12), haben keinerlei nachweisbare Wirkung. Keine der von Homöopathen bislang vorgelegten Studien konnte überzeugen. Letztlich erwies sich auch die in den Medien hochgelobte „Leipziger Studie" von 2003, die die Wirkung eines D100-Präparates nachgewiesen haben wollte, als nicht haltbar: Zwei Jahre später mussten die Leipziger Forscher erhebliche Fehler in ihrer Versuchsanordnung einräumen, ihre Ergebnisse waren unbrauchbar. Auch in der Ende 2007 publizierten „Goldacre-Studie", einer Zusammenschau von fünf Meta-Analysen, die eine große Bandbreite an Einsatzgebieten abdeckte, konnte keinerlei überplaceboider Wert homöopathischer Mittel entdeckt werden.

hpd: Im Fall der Akupunktur waren es die Krankenkassen, die entschieden haben, sie in den Leistungskatalog aufzunehmen., weil sich in Untersuchungen eine Wirkung nachweisen ließ...

Colin Goldner: Die bislang durchgeführten Modellversuche, mit deren Hilfe Wirksamkeitsnachweise erzeugt werden sollten, waren - bis auf zwei nennenswerte Ausnahmen - durch die Bank mangelhaft konzipiert oder mit eklatanten methodischen Fehlern behaftet. Die mit großem Aufwand publizierten positiven Ergebnisse wurden entweder nie einer unabhängigen Überprüfung unterzogen oder konnten solcher nicht standhalten. Besagte Ausnahmen sind die Ende 2004 vorgestellten Studien zweier Zweckgemeinschaften deutscher Krankenkassen, in denen die Auswirkung von Akupunktur auf Schmerzpatienten und auf Patienten mit Kniegelenks- und Rückenbeschwerden untersucht wurde. Übereinstimmendes Ergebnis beider Studien war, dass 1. gezieltes Setzen der Nadeln nach Atlas oder Punktsuchgerät und beliebiges Setzen der Nadeln an irgendwelchen „falschen" Stellen des Körpers absolut gleichwertige Resultate zeitigten; und dass 2. die genadelten Gruppen deutlich besser abschnitten als „konventionell" behandelte Kontrollgruppen.

Letzteres Resultat wurde als durchschlagender Beweis der Wirksamkeit von Akupunktur gefeiert. Tatsächlich muss es jedoch unter großem Vorbehalt gesehen werden, da hier ein methodisches Problem vorliegt: Da der Behandler im Fall der Akupunktur immer weiß und wissen muss, was genau er tut, können suggestive Wirkfaktoren nicht ausgeschlossen werden. Das heißt: die für solche Studien so wichtige Doppelverblindung ist bei Akupunktur prinzipiell nicht möglich. Hinzu kommt, dass durch das Einstechen der Nadeln die Freisetzung stimmungsaufhellender Serotonine und schmerzlindernder opioider Peptide ausgelöst werden kann, die die überlegene Wirkung der Nadelung erklären könnten. In keinem Fall jedoch hat diese gänzlich unspezifische Wirkung mit irgendwelchen Meridianen oder Akupunkten zu tun, vielmehr ist es völlig gleichgültig, an welcher Stelle die Nadeln eingestochen werden.

hpd: Immerhin erscheinen mir Akupunktur und Homöopathie weitestgehend nebenwirkungsfrei. Gibt es Verfahren, deren Anwendung gefährlich werden kann?

Colin Goldner: Nur wirkungslose Verfahren sind auch nebenwirkungsfrei. Insofern hat die Mehrzahl der Alternativheilverfahren tatsächlich kein Nebenwirkungsrisiko. Einige der Alternativheilpraktiken können aber durchaus auch Schaden anrichten. Beispielsweise kann es bei niedrigverdünnten Homöopathika (unter D12), in denen noch Wirkstoffanteile enthalten sind, durchaus zu Problemen kommen. Auch die Akupunktur birgt ungeahnte Risiken: so sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen die Einstichstellen sich durch mangelhaft sterilisierte Nadeln oder Dauernadeln infizierten. Nicht selten ist es auch vorgekommen, dass die haarfeinen Nadeln abbrachen und in der Haut verbliebene Spitzen chirurgisch entfernt werden mussten. Darüber hinaus sind Verletzungen von Herz, Lunge, Rückenmark und Gefäßen durch zu tiefes Anstechen dokumentiert. Auch andere Verfahren wie etwa die Aromatherapie sind nicht ohne Risiko: Bestimmte Öle können zu allergischen Reaktionen führen, bei exzessivem Gebrauch gar zu schleichender Leber- und Nierenschädigung.

Im Übrigen besteht das Hauptrisiko der alternativen Heilverfahren darin, dass der rechte Zeitpunkt zum Einsatz einer verfüglichen und sinnvollen Therapie womöglich verzögert oder verhindert wird, wodurch das jeweilige Problem sich massiv verschärfen kann.

hpd: Nun gibt es kritische Stimmen zur Alternativmedizin ja nicht erst seit gestern. Sogar die Stiftung Warentest hatte in den 1990er Jahren einen umfangreichen Ratgeber herausgebracht, der ebenfalls viele der Methoden sehr kritisch bewertete. Warum findet die „Andere Medizin" nach Ihrer Einschätzung so großen Zuspruch?

Colin Goldner: Weil ihre Anbieter sich dem jeweiligen Patienten und seinen Problemen in der Regel sehr viel intensiver zuwenden. Es ist ein erhebliches Manko des schulmedizinischen Versorgungssystems, dass viel zu wenig Zeit aufgewandt werden kann, dem Patienten wirklich zuzuhören und persönlich auf ihn einzugehen. Ebendeshalb wenden sich rat- und hilfesuchende Menschen gerne an Heilpraktiker und Homöopathen, bei denen sie sich alleine schon des diagnostischen Zeitaufwandes wegen ernstgenommen fühlen. Die Alternativheilverfahren selbst erscheinen attraktiv, da sie - auch wenn dies nicht zutrifft - als „natürlich wirksam" und damit „nebenwirkungsfrei" angepriesen werden.

hpd: Am Ende Ihres Buches fordern Sie die Leserinnen und Leser auf, wachsam zu bleiben. Was wären denn ein paar typische Eigenschaften, die ein wirkungsloses und unseriöses Verfahren erkennbar machen?

Colin Goldner: Skepsis ist allemal geboten, wenn von "Schwingungen" oder "Lebensenergien" die Rede ist, die da "gemessen", "gesteigert" oder "harmonisiert" werden sollen; desgleichen, wenn das jeweilige Verfahren als "unkonventionelle", "komplementäre" oder gar "spirituelle" Heilkunde vorgestellt wird. Insbesondere der häufig anzutreffende Begriff der "Ganzheitlichkeit", meist verbunden mit "...von Körper, Geist und Seele", der ein umfassenderes Herangehen suggeriert, als dies die wissenschaftlich abgesicherten Ansätze zu bieten haben, ist reine Phrase.

Grundsätzlich ist von Verfahren abzuraten, die sich bislang einer ernsthaften Wirksamkeitsüberprüfung entzogen haben beziehungsweise keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis vorlegen können. Verdächtig ist insofern, wenn Anbieter nur mit Anekdoten wundersamer Heilungsverläufe aufwarten oder Heilsbekundungen begeisterter Patienten zitieren, anstatt auf seriöse und nachprüfbare Untersuchungen verweisen zu können. Besondere Vorsicht sollte man walten lassen bei Anbietern, die über kein abgeschlossenes akademisches Fachstudium verfügen: das Risiko, eine falsche oder irreführende Diagnose zu erhalten bzw. mit einer unbrauchbaren Methode behandelt zu werden, ist zu groß. Jedenfalls Abstand zu halten ist von Anbietern, die ihre diagnostischen oder heilerischen Fähigkeiten von „höherer Warteg - von Engeln, Jesus, Gott oder aus dem Kosmos - bekommen haben wollen oder die Praktiken verwenden, die die Gesetze von Physik, Chemie oder des „gesunden Menschenverstandesg außer Kraft setzen.

hpd: Ich danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Colin Goldner: Alternative Diagnose- und Therapieverfahren. Eine kritische Bestandsaufnahme. Aschaffenburg 2008. Alibri Verlag, 149 Seiten, kartoniert, Euro 12.-, ISBN 978-3-86569-043-2