Freigeistige Betrachtungen

Eine Sendung des Bundes für Geistesfreiheit Bayern im Bayerischen Rundfunk, Programm Bayern II, am Sonntag, den 03.09.2006 um 7.05 Uhr

Sprecher:

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

wir begrüßen Sie zu dieser Sendung des Bundes für Geistesfreiheit Bayern, kurz bfg. Wenn Sie mehr über den bfg, seine Grundsätze und Aktivitäten wissen wollen, wenden Sie sich bitte an die Anschrift, die wir Ihnen am Ende dieser Sendung mitteilen.

 

Sprecherin:

„GANZ BAYERN IM PAPSTFIEBER! GANZ BAYERN FREUT SICH!"
So lesen wir seit Wochen in den Zeitungen. Auch Rundfunk und bayerisches Fernsehen überfluten uns mit Vorfreude und Vor-informationen, mit Reportagen und Rückblicken früherer Papstbesuche.
Nach der großen öffentlichen Anteilnahme an der Fußball-WM fragt man sich, ob dieses nächste Event hier in Bayern wirklich soviel Freude und Begeisterung auslösen wird, wie die Medien uns jetzt schon erzählen. Zwar ist die Mehrheit der Bayern noch formell katholisch, aber davon sieht der Pfarrer im Gottesdienst bestenfalls 10%. Zum Papstbesuch werden einige 100.000 nach München und Regensburg pilgern, um mit dem Papst zu feiern bzw. in der Hoffnung, ihn live zu sehen. Tausende Busse und Sonderzüge werden die Pilger heranschaffen. Ob das aber bayernweit wirklich die große Anteilnahme und Freude ist? Wir vom Bund für Geistesfreiheit Bayern kennen jedenfalls viele, die diese große Freude, über die uns berichtet wird, nicht verspüren.
Der starke Eventcharakter, der sich schon jetzt in den aufwändigen Vorbereitungen zeigt, gefällt nicht allen katholischen Kirchenverantwortlichen. Manche befürchten, dass dieser übertriebene Personenkult auch eine abschreckende Wirkung haben könnte. „Mehr Bescheidenheit!" so las man schon mehrfach in Kommentaren und Überschriften.

 

Sprecher:

Ganz Bayern freut sich?
Wenn der katholische Papst in sein katholisches Heimatland kommt, herrscht bei den dortigen Katholiken nicht nur große Freude. Viele von Rom geforderte Entwicklungen sind nicht auf Zustimmung im Kirchenvolk gestoßen. Für die katholisch orientierte Schwangerschaftsberatung „Donum Vitae" ist auf Weisung aus Rom kürzlich von der Deutschen Bischofskonferenz verfügt worden:

  • sie sei ein privater Verein außerhalb der katholischen Kirche,
  • sie dürfe weder räumlich im gleichen Haus noch personell mit der Sozialarbeit der Caritas in Verbindung stehen,
  • die „Gläubigen" sollen auf die Mitwirkung bei „Donum Vitae" verzichten
  • und Personen, die im kirchlichen Dienst stehen, ist die Mitwirkung ausdrücklich verboten.

Diese strikte Distanz der katholischen Bischöfe erfolgte auf ausdrückliche Weisung aus Rom und so ist die Freude über den römischen Besuch bei den Mitarbeitern und besonders bei den verhinderten Mitarbeiterinnen durchaus gedämpft.

Da ist zum Beispiel auch noch die ganz beachtliche Kirchenvolksbewegung. Das sind Reform orientierte Gläubige in verschiedenen Organisationen wie: „Wir sind Kirche" oder „Kirche von unten". Sie haben Vorschläge und viele Fragen an ihr Kirchenoberhaupt. Sie fordern nachdrücklich einen offenen und ernsthaften Dialog. Sie sehen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den versäumten Reformen und den immer noch sehr hohen Kirchenaustrittszahlen. Zu einem Dialog haben sie überhaupt keine Chance, sie werden nicht in die Nähe ihres Heiligen Vaters gelangen können.

Auch der „Bund der Katholischen Jugend", die offizielle Jugendvertretung, wird keine echte Möglichkeit zum Dialog mit dem Papst bekommen. Beim letzten Papstbesuch sind unvorhergesehen kritische Fragen gestellt worden, auf die man den Papst nicht vorbereitet hatte. Diesmal wird so eine Panne dadurch vermieden, dass man die Wortführer der Jugend auf Abstand hält.

Deutlich zu kurz kommt auch das Thema der Ökumene. Die Begegnung mit der Evangelischen Kirche findet fast nicht statt, obwohl es drängende Probleme zwischen den beiden Konfessionen gibt, zum Beispiel der geplante ökumenische, das heißt gemeinsame Kirchentag. Da erinnert man sich an den Herrn Jesus oder besser lateinisch „Dominus Jesus", ein päpstliches Lehrschreiben, das deutlich die Handschrift Ratzingers trägt. Da wurde den reformierten Amtsbrüdern klar gemacht, dass sie seit Luther gar nicht mehr so richtig eine Kirche sind nach römisch-katholischem Kirchenrecht. Das schlägt sich natürlich auch im Programm nieder, wo es eine bescheidene Begegnung mit evangelischen Bischöfen geben wird, die sich aber vermutlich in diplomatischer Höflichkeit erschöpfen wird.

Und dann gibt es da noch eine Gruppe über allen Konfessionen, die aber auch ein Bekenntnis habt, nämlich das Bekenntnis zu ihrer gleichgeschlechtlichen Lebensweise. Die sind nun gar nicht begeistert über die päpstlichen Vorschriften und Bewertungen ihres privaten Lebens. Homosexualität - sagt der Papst im Jahr 2006 - ist zuftiefst amoralisch und eine schwere Verirrung. Das empfinden die Schwulen und Lesben als Diskriminierung. Kürzlich beim Christopher-Street-Day in München haben sie dagegen demonstriert. Ihre Papstdarstellung, die mit der Anti-Aids-Solidaritäts-Schleife und mit Kondomen garniert war, wurde von der Polizei beschlagnahmt. So ist also auch in dieser Bevölkerungsgruppe die Freude und das Interesse am Papst nicht sehr groß.

 

Sprecherin:

Ganz Bayern freut sich?, fragen wir noch mal.
Vielen wird Freude und Spaß vergehen, wenn ihnen der große Aufwand und die damit verbundenen Kosten bewusst werden. Für die drei beteiligten Bistümer werden die Kosten etwa bei 30 Mio. Euro liegen, zahlbar aus Kirchensteuern und Kirchenvermögen. Für den bayerischen Steuerzahler werden es auch zirka 30 Mio. Euro sein, wir werden es genauer nach dem Besuch erfahren. Übrigens: diese Kosten tragen gläubige und ungläubige Steuerzahler gleichermaßen.

In diese Bilanz werden nicht mit einfließen die umfangreichen ehrenamtlichen Arbeiten; aber auch viele andere Beiträge der Kommunen und halbstaatlichen Organisationen wird man nicht berechnen können: Verkehrsumleitungen, Absperrungen, Ambulanzen, Feuerwehrdienste, gewerbliche und private Verdienstausfälle und vieles mehr. Nicht bilanzierbar sind auch die vielen persönlichen Einschränkungen, die durch Straßensperrungen und Umleitungen erforderlich werden, wie das nun mal bei so einem Großereignis notwendig ist.

München und Regensburg im Ausnahmezustand, das wird nicht alle Betroffenen erfreuen. Seit Wochen berichten die lokalen Zeitungen über diese Problemzonen und das gipfelt dann in dem Ratschlag: am besten daheim bleiben!

Der Bund für Geistesfreiheit sieht das einerseits gelassen; er ist aber nicht einverstanden mit dem großen Aufwand, mit den vielen Einschränkungen für die unbeteiligten Bürger und den enormen finanziellen Belastungen der öffentlichen Kassen für einen Kirchenfürsten. Das widerspricht unserem Verfassungsgrundsatz der Trennung von Staat und Kirche. Religion ist Privatsache und muss auch privat finanziert werden. Wir sind der Meinung, hier leistet der bayerische Staat ein unangemessenes Übersoll.

 

Sprecher:

Ganz Bayern freut sich? Nein!
Denn es gibt da noch die ganz Unfrommen, die Atheisten, Agnostiker und Konfessionsfreien; das sind im katholischen Bayern immerhin zirka 25 % aller Mitbürger. Zwar ist nur ein kleiner Teil dieser kirchenfernen Menschen in Vereinen oder öffentlich-rechtlichen Körperschaften organisiert. Sie werden sich aber anläßlich des Papstbesuches zu Wort melden. Ganz unterschiedliche Organisationen finden sich da zusammen.

Sie wollen zeigen, dass sie einen anderen Lebensentwurf haben als den des christlichen Glaubens. Sie folgen einem aufgeklärten humanistischen Weltbild.
Da die katholische Kirche diese Gruppierungen bewusst nicht zur Kenntnis nehmen will, möchten diese aus Anlass des Papstbesuches auf sich aufmerksam machen. Sie tun dies vor allem in den Hauptstationen der Besuchsreise, in Regensburg und München.

In Regensburg ist am Sonntag, den 10. September auf dem Haidplatz ab 14.00 Uhr ein buntes Bühnenspektakel mit Musik, Theater und Kabarett unter dem Motto „Heidenspaß statt Höllenqual".

In München werden während des „Ausnahmezustandes" religionsfreie Zonen eingerichtet. Im Kulturhaus „Gasteig" läuft vom 10. - 12. September ein umfangreiches Vortrags-, Informations- und Kabarett-Programm. Die Vorträge sind jeweils um 17.45 Uhr und das Bühnenprogramm um 20.00 Uhr. Die Veranstaltungen werden begleitet von einem Presse- und Informationsstand. In den Tagen vom 13. - 15. September folgt eine Filmserie im Maxim-Kino, Landshuter Allee. Das Programm endet dann am Samstag, den 16. September mit einer „Heidenspaß-Party" im Wirtshaus an der Isar.

Nach dem Besuchsmotto des Papstes: „Wer glaubt, ist nicht allein" haben die Ungläubigen den Spruch geprägt: „Wer nicht glaubt, befindet sich in guter Gesellschaft". Gehen Sie mal in diese religionsfreien Zonen und schauen Sie sich in dieser Gesellschaft um! Sie sind herzlich eingeladen.

Am 15. 9. ist alles vorbei und dann wird's in Bayern und in München wieder ganz normal. Nach so viel himmlischem Spektakel folgt unmittelbar das ganz irdische Oktoberfest. Da kommen dann einige Millionen Besucher, damit kennt man sich in München aus. Und die Bayern sind dann wieder ganz selig in ihrem bayerischen Wies‘n-Himmel.

 

Sprecherin:

Die Kirchen genießen in der Öffentlichkeit hohes Ansehen, weil sie umfangreiche Sozialarbeit betreiben. Uns Konfessionsfreien wird hingegen oftmals vorgehalten, wir würden uns nicht annähernd so gemeinnützig verhalten. Diese Behauptung zeugt von Unkenntnis. Gemessen an der Mitgliederzahl engagieren wir uns sogar stärker als die Kirchen im sozialen Bereich.
Zur Zeit unterstützt der bfg das weltliche Nesin-Kinderheim in Istanbul, das von dem türkischen Schriftsteller und Atheisten Aziz Nesin gegründet wurde. Das Heim ermöglicht ca. 45 Kindern und Jugendlichen den Besuch staatlicher Schulen oder Universitäten. In einem liebevollem Umfeld werden die Kinder zu kreativen und kritischen Menschen erzogen.

Seit langen Jahren unterstützt der bfg das Atheistische Zentrum in Vijayawada in Indien. Dieses wurde von Mahatma Gandhis Mitstreiter Gora gegründet. Dieses Zentrum bietet Mitgliedern der untersten Kaste der Unberührbaren die Möglichkeit, qualifizierte Berufe zu erlernen. Paare, die Kasten übergreifend heiraten wollen und damit gegen die religiöse Tradition verstoßen, bekommen hier Unterstützung. Das Atheistische Zentrum bietet Armen auch medizinische Hilfe. So werden kostenlos Operationen an Kindern durchgeführt, die an Kinderlähmung erkrankt sind.

Der Bund für Geistesfreiheit betätigt sich aber nicht nur in fernen Ländern, sondern auch hier gewissermaßen vor der Haustür. In Neubiberg bei München gibt es das Senioren- und Pflegeheim Ludwig Feuerbach. Betreiber ist ein Trägerverein, dem der Bund für Geistesfreiheit Bayern und einige befreundete Verbände wie die Freidenker angehören. Das Heim wurde benannt nach dem wohl bedeutendsten atheistischen Philosophen Deutschlands Ludwig Feuerbach, der in Bayern geboren wurde, lebte und starb. Von Feuerbach stammt der Ausspruch: „Willst Du Gutes tun, dann tu es für den Menschen." Dieser Satz wurde als Leitspruch für das Feuerbach-Heim gewählt. Denn es soll der Mensch, und nicht ein höheres Wesen, sein, der im Mittelpunkt unseres Denkens und Strebens steht. Das bedeutet, dass der Selbstbestimmtheit gerade von Pflegebedürftigen so weit wie möglich entsprochen wird. Hilfeleistungen werden als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden mit dem Ziel, Fähigkeiten der Hilfsbedürftigen zu erhalten oder wieder herzustellen. Durch eine ganzheitliche Betreuung soll einem drohenden altersbedingten Sinnverlust und einer Perspektivlosigkeit entgegen gewirkt werden.

Aber das Ludwig-Feuerbach-Heim ist nicht nur ein Zuhause für seine ca. 140 Bewohner. Es bietet auch rund 60 Mitarbeitern einen Arbeitsplatz zu üblichen Standards eines mitbestimmten Betriebes. Das ist im Sozialbereich keineswegs selbstverständlich. Denn die meisten sozialen Einrichtungen in Bayern werden von den Kirchen betrieben.

Und diese haben jegliche Mitbestimmung durch die Mitarbeiter mit Berufung auf den Tendenzschutz unterbunden. Es gibt in kirchlichen Sozialeinrichtungen keinen Betriebsrat, sondern allenfalls einen Personalrat, der nur als Bittsteller auftreten kann. Gewerkschaften, Tarifverträge oder gar Streiks gibt es dort ebenfalls nicht. Im Ludwig-Feuerbach-Heim hingegen haben wir einen echten Betriebsrat und einen Haustarifvertrag, der mit der Gewerkschaft ver.di ausgehandelt wurde. Weltanschauungsgemeinschaften wie der Bund für Geistesfreiheit oder die Freidenker könnten ebenso wie die Kirchen den Tendenzschutz anwenden. Darauf wird jedoch bewusst verzichtet, denn es soll ja der Mensch im Mittelpunkt stehen, und damit sind sowohl die Bewohner als auch die Mitarbeiter gemeint.

 

Sprecher:

Und dazu passend ein Veranstaltungshinweis:
Vom 21.-22 Oktober findet an der TU Berlin die offene Tagung "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! - Praktischer Humanismus in Deutschland" statt. Die zweitägige Tagung wird ergründen, was den "praktischen Humanismus" gegenüber etwa den sozialen Angeboten der Kirchen auszeichnet, und dabei zugleich einen Überblick über die vielfältigen sozialen Aktivitäten von Humanistinnen und Humanisten in Deutschland geben.
Informationen zur Tagung finden sich im Internet unter www.praktischer-humanismus.de/

 

Sprecherin:

Unsere nächste Sendung wird am 15. Oktober ausgestrahlt.
Die Texte dieser Sendung können Sie gegen Erstattung des Portos erhalten bei: bfg Bayern, Postfach, 90730 Fürth.
Im Internet sind wir erreichbar unter der Adresse: www.bfg-bayern.de.

Wir lassen uns in keinen Rahmen pressen!

Texte: Rainer Statz, Dietmar Michalke, Monika Hendlmeier
SprecherInnen: Dr. Kerstin Pschibl, Kurt Raster