(hpd) Acht Beiträge eines Sammelbandes beschäftigen sich mit Fragen der ‚Naturalisierung' der Ethik und daraus resultierenden Konsequenzen
Lange Zeit dominierte in ethischen Diskussionen die Annahme, naturwissenschaftliche Erkenntnisse seien für die Begründung von Positionen zu Kultur und Moral von geringer Bedeutung. Aufgrund der Erkenntnisse der Evolutionstheorie und Genforschung, der Hirnforschung und Soziobiologie deutet sich in dieser Hinsicht eine Wende an: Der Naturalismus mit seiner Orientierung am biologischen Erbe des Menschen gewinnt zunehmend an Bedeutung und tritt als Konkurrent zu den davon abstrahierenden Auffassungen über Ethik, Gesellschaft und Kultur auf. Der Philosoph Franz Josef Wetz spricht gar von der Möglichkeit eines „naturalistic turn". In dem von ihm herausgegebenen Sammelband „Ethik zwischen Kultur- und Naturwissenschaft", der als erster Band einer neuen Reihe „Kolleg Praktische Philosophie" erschien, finden sich acht Beiträge. Sie thematisieren die Naturalisierung der Ethik, des Geistes und der Kultur und fragen nach den Konsequenzen für Gesellschaft, Menschenbild und Moral:
Bettina Walde thematisiert die ethischen und praktischen Folgen einer Naturalisierung von Ich- und Selbstkonzepten. Eine Theoriegeschichte des Bösen bezogen auf die unterschiedlichsten Deutungen von der Antike bis zur Gegenwart liefert Friedrich Hermanni. Michael Schmidt-Salomon und Eckhart Voland nehmen eine naturalistische Dekonstruktion von religiösen und säkularen Konzepten des Bösen vor. Eine evolutionäre Ethik wird von Gerhard Vollmer mit Verweis auf die Möglichkeit der Ausweitung kooperativen Verhaltens entwickelt. Bernulf Kanitscheider plädiert für eine naturalistische Ethik mit einer Orientierung an der Universalisierbarkeit des Hedonismus. Auf die Grenzen einer Naturalisierung der Ethik angesichts der Eigenständigkeit von Kultur verweist Franz Josef Wetz. Volker Steenblock betont die weitere Notwendigkeit der Kulturbildung auch unter den Bedingungen des Naturalismus. Und für die Beibehaltung eines Verständnisses von Kultur als Ausdruck eines produktiven Prozesses menschlicher Möglichkeiten plädiert Birgit Recki.
Alle Autoren erweisen sich als ausgezeichnete Kenner und argumentieren auf hohem Niveau. Mitunter versteigen sie sich aber zu abstrahierenden Ausdifferenzierungen bei Verlust der Bodenhaftung zur praktischen Philosophie. Alle Autoren anerkennen auch die Bedeutung der naturalistischen Perspektive für die Diskussion ethischer Fragen. Dabei bestehen aber Differenzen hinsichtlich des Stellenwertes: Während Einige dezidiert auf die Eigenständigkeit des kulturellen Gesichtspunktes verweisen, neigen Andere hinsichtlich der Bedeutung biologischer Faktoren zur Monokausalität. So sehr die Kultur auch Ausdruck der Natur des Menschen sein mag, so problematisch ist ein darauf fußender Determinismus. Volmer zeigt etwa anhand der Ausweitung von Empathieempfindungen über die eigene Gruppe hinaus, wie biologische Prägungen menschlichen Verhaltens durch Kultur und Vernunft verändert werden können. Diese Perspektive sollte auch ein aufgeklärter und selbstkritischer Naturalismus - um der Vermeidung biologistischer Irrwege willen - nicht aus dem Auge verlieren.
Armin Pfahl-Traughber
Franz Josef Wetz (Hrsg.) Ethik zwischen Kultur- und Naturwissenschaft (Kolleg Praktische Philosophie. Band 1), Stuttgart 2008 (Reclam-Verlag), 299 S., 7,80 €.