Presserat spricht Missbilligung aus

BONN. (hpd) Der Deutsche Presserat hat sich in seiner letzten Sitzung mit einer Beschwerde des Alibri Verlags gegen einen in der

Neue Ruhr Zeitung (NRZ) erschienenen Artikel des Journalisten Ulrich W. Sahm befasst und einstimmig seine Missbilligung ausgesprochen. Damit erging ein klares Zeichen, dass auch in engagiert geführten Debatten die Berichterstattung in einer fairen Weise erfolgen muss.

 

Am 11. Februar, auf dem Höhepunkt des Ferkelbuch-Streits, hatte Sahm unter der Überschrift „Der diskrete Charme der Diffamierung" einen Beitrag im Feuilleton der Neue Ruhr Zeitung veröffentlicht, der sich mit dem religionskritischen Kinderbuch „Wo bitte geht's zu Gott?", fragte das kleine Ferkel auseinandersetzte. Im Abschnitt, in dem ein jüdischer Rabbi die Sintflut-Erzählung wiedergibt, sah Sahm aufgrund der „Formulierung ‘Menschen vernichten'" eine „vielleicht sogar latent anitsemitische Darstellung", da die Begrifflichkeit „der Nazisprache" entlehnt sei. In einem kurz zuvor erschienenen Text bei ntv hatte er sogar von einer „vielleicht gar antisemitisch angehauchten Darstellung" gesprochen.

Der Alibri Verlag sah darin eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht und reichte eine Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Ohne jede sachliche Grundlage werde der Autor Michael Schmidt-Salomon in einen Zusammenhang mit Antisemitismus gebracht; dies sei als Verstoß gegen den Pressekodex zu werten.

Zitat aus Kinderbibeln

In seiner Begründung verwies Verleger Gunnar Schedel darauf, dass die Formulierung, Gott habe sich entschlossen, „alles Leben auf der Erde zu vernichten" (insofern hatte Sahm also nicht einmal richtig zitiert), keineswegs dem Sprachschatz der Nationalsozialisten entnommen sei. Diese hätten ihre Verbrechen vielmehr mit euphemisierenden Begriffen beschrieben; die Vernichtung der europäischen Juden wurde als „Endlösung der Judenfrage" kommuniziert (und eben nicht als Vernichtung von Mitmenschen).

Mit geringem Rechercheaufwand, so Schedel weiter, hätte Sahm herausfinden können, was tatsächlich die Quellen waren, aus denen Schmidt-Salomon seine Formulierungen entlehnt hat: Kinderbibeln. Die in der Anlage mit eingereichten Kopien und weitere Quellenangaben belegen tatsächlich, dass die erschreckende Darstellung der Sintflut, in deren Zuge fast alles Leben auf der Erde durch Gottes Wille ausgelöscht wird, sich bis in die Wortwahl hinein in diversen für Kinder ab acht Jahren empfohlenen Bibeln findet (in einigen Fällen sogar mit exakt der Formulierung, die Sahm als „Nazisprache" erkannt haben wollte).

Die Neue Ruhr Zeitung betonte in ihrer Entgegnung, dass es sich um persönliche Meinungsäußerungen des Autors handele. Zudem sei zu berücksichtigen, dass Sahm als Israel-Korrespondent sich „sicherlich auch ein stückweit die Sensibilität seines Gastlandes in Bezug auf vermeintliche oder reale antisemitische Äußerungen zu eigen gemacht" habe. Einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht konnte die NRZ nicht erkennen, es müsse jedem Journalisten freistehen, die Quellen seiner Meinungsbildung selbst zu wählen. Eine antisemitische Einstellung jedoch habe man weder Buchautor noch Verlag zuschreiben wollen; sofern dieser Eindruck entstanden sei, bedauere man dies.

Keine zulässige Sachkritik

Der Beschwerdeausschuss des Presserates entschied nach längerer Diskussion einstimmig, dass durch den Artikel der in Ziffer 9 des Pressekodex festgehaltene Schutz der Ehre verletzt sei. Die Behauptung, die Formulierung „Menschen vernichten" sei der Nazisprache entlehnt, gehe über eine zulässige Sachkritik hinaus. Die Aussage, es liege eine „latent antisemitische Darstellung" vor, entbehre jeglicher Grundlage, folglich sei es „ehrverletzend", Buchautor und Verlag in die Nähe nationalsozialistischer Haltungen zu rücken. Es erging eine „Missbilligung" (diese muss von der betroffenen Zeitung nicht abgedruckt werden, der Presserat empfiehlt dies jedoch als „Ausdruck fairer Berichterstattung").

Im Alibri Verlag wurde die Entscheidung mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. „Wir freuen uns über diese Entscheidung, in der wir eine Stärkung der Streitkultur sehen", schreibt das Verlagskollektiv in seinem Newsletter. Denn damit werde unterstrichen, dass auch in hart geführten Debatten, das Argument im Vordergrund stehen müsse und alle Vorwürfe einer sachlichen Grundlage bedürfen.

Martin Bauer