Wahn oder Trug?

MARBURG. (hpd) Kahl und Schauer diskutierten über Dawkins. "Das ist plumper Krawall-Atheismus." In diesem Satz fasste Dr. Dr. Joachim Kahl seine Kritik an Richard Dawkins zusammen. Prof. Dr. Hans Schauer hingegen hält den britischen Biologen und Religionskritiker für "redlich" und "straight forward".

 

Auf Einladung der Humanistischen Union (HU) setzten sich die beiden säkularen Humanisten aus Marburg am Dienstag (28. Oktober) bei einem Streitgespräch im Stadtverordneten-Sitzungssaal mit dem "internationalen Bestseller der Religionskritik" auseinander Gut 40 Interessierte beteiligten sich zum Teil sehr lebhaft an der Debatte.

Schon im Titel sieht Kahl eine ungerechtfertigte Herabwürdigung religiöser Mitmenschen. Zwar gebe es durchaus religiös geprägte Wahnvorstellungen, doch dürfe man nicht allein schon die Religiosität eines Menschen als Wahn bezeichnen. Schließlich sei gerade auch Toleranz eine wesentliche Errungenschaft der Aufklärung.

Im Quellen- und Autorenverzeichnis vermisst Kahl Namen bedeutender Religionskritiker wie Epikur, Ludwig Feuerbach oder Sigmund Freud. Ebenso fehle Gotthold Ephraim Lessing und ein Verweis auf dessen "Ring-Parabel". Dawkins erhebe zwar den Anspruch einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Religion, liefere aber nur ein oberflächliches und auf weite Strecken durch Eitelkeit und Schwatzhaftigkeit geprägtes Pamphlet ab.

Sich selbst bezeichnete Kahl als säkularen Atheisten. Den von Dawkins verkündeten "atheistischen Stolz" könne er jedoch nicht empfinden, da Atheismus eher eine Hypothese als eine letzte Gewissheit sei, erläuterte der promovierte Philosoph und Theologe. Keinesfalls wolle er - wie Dawkins - jemandem zum Atheismus "bekehren".

Schauer: Ungerechtfertigte Kritik

Diese Kritik wiederum kritisierte Schauer heftig. Schon die Übersetzung des Titels aus dem Englischen hält der pensionierte Psychologe für unglücklich. "The God Delusion" übersetze er selbst eher mit "Der Gottestrug" analog zum alten Kampfbegriff "Pfaffentrug".

Um das Buch zu verstehen, müsse man sich zunächst dem Autor zuwenden. Der 1946 im kenianischen Nairobi geborene Brite ist ein international renommierter Evolutionsbiologe. Die von ihm erkannten Gesetzmäßigkeiten der biologischen Evolution von Genen und genetischen Eigenschaften habe er auf geistige Konstrukte und Ideen übertragen. Auch sie verbreiteten sich nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Auch hier gebe es "nützliche" und "schädliche" Vorstellungen.

Alleinvertretungsanspruch von Religionen

Die gefährlichste Eigenschaft vieler Religionen sei ihr Alleinvertretungsanspruch. Das "Erste Verbot" in der Bibel beispielsweise fordert: "Du sollst keine fremden Götter neben mir haben!" Diese Forderung stachele zum Hass gegen andere Religionen und ihre Anhänger an, stellte Schauer fest. Dagegen habe sich Dawkins mit seinem Buch gewandt. Ausdrücklich wende sich der Autor aber nicht gegen religiöse Menschen und ihr Recht auf Religionsfreiheit.

Kahl sei zudem der feinsinnige Humor des Buches und die Selbstironie seines Autors entgangen, bedauerte Schauer. Dawkins habe mit seinem Werk eine Schrift vorgelegt, die seine Religionskritik auf ihre wichtigsten Stränge zuspitze. Damit wolle er der Übermacht religiöser Prägungen in der Gesellschaft ein selbstbewusstes Auftreten religionskritischer Positionen entgegensetzen.

Kahls Kritik verglich Schauer mit ideologischen Auseinandersetzungen unter "Linken": Geringste Unterschiede würden unter Menschen ähnlicher Grundposition oft wesentlich deutlicher herausgearbeitet als die riesigen Differenzen zu Personen mit vollkommen anderen Vorstellungen.

Kahl: Dawkins sei „unredlich"

Kahl wiederum wollte Schauers Aussage nicht gelten lassen, dass Dawkins "redlich" argumentiere. Er bezeichnete es als unredlich, dass der Autor ausgerechnet Albert Einstein als angeblich atheistischen Kronzeugen missbrauche. Dabei sei Einstein Spinozist und säkularer Polytheist gewesen.

Kahl berichtete, Dawkins habe sich den "Brights" angeschlossen. Schon die Selbstbetitelung als "erleuchtete" betrachte er als arrogant. Schauer hingegen übersetzte diesen Nahmen einfach mit "helle".

Diskussion und Fragen

Ein Besucher der Veranstaltung erklärte, für ihn habe das Buch vor allem den Charakter einer Erleichterung gehabt. Endlich habe dort jemand all das aufgeschrieben, was für ihn selbst schon lange selbstverständlich gewesen sei, aber in der Öffentlichkeit mit einem Tabu belegt war.

Andere Diskutanten erläuterten Dawkins Positionen anhand neuerer Äußerungen des Autors auf seiner Homepage im Internet sowie eines abgeänderten Vorworts der neuesten Ausgabe seiner Schrift im englischen Original. Dawkins habe seine Aussagen bewusst zugespitzt, um damit möglichst viele Menschen zu erreichen.

Sich selbst bezeichne der Autor als "Agnostiker". Die Existenz Gottes sei nur "mit ziemlich großer Sicherheit" anzuzweifeln.

Einen Fragesteller beunruhigte die Vorstellung, dass mit einem Rückgang der klassischen Religionen verstärkt neue Sekten aufkommen könnten. Schauer erwiderte, ihm sei "ein aufgeklärtes Christentum lieber" als irgendwelche abstrusen Hirngespinste.

In einem Punkt waren sich die beiden Referenten mit Dawkins einig: Auf Dauer werden säkulare Ideen sich gegen religiöse Vorstellungen durchsetzen. Religionen sind auch immer Ausdruck eines gesellschaftlichen Umfelds, das ein Leben mit Gottesglauben vielen leichter erscheinen lässt als ohne.

Keiner der Anwesenden wollte gläubigen Menschen ihre Überzeugungen verbieten oder streitig machen. Umstritten war letztlich nur der Stil, wie Atheisten oder Agnostiker für ihre Vorstellungen eintreten sollten. Wichtig war dabei aber auch die Erkenntnis, dass es auch unter säkular geprägten Menschen durchaus unterschiedliche Positionen gibt.

Franz-Josef Hanke