Der „Darwin-Code"

(hpd) Der Evolutionshistoriker Thomas Junker und die Molekularbiologin Sabine Paul wollen in ihrem neuen Buch „Der Darwin Code. Die Evolution erklärt unser Leben" die typischen Verhaltensweisen des Menschen - von Essgewohnheiten über die Kunst bis zur Partnerwahl - im Lichte der Darwinschen Evolutionstheorie interpretieren. Damit bereichern sie die Deutungsmöglichkeiten für die Erklärung menschlichen Sozialverhaltens, neigen aber auch zur einseitigen Fixierung auf ihre biologischen Grundlagen.

 

Charles Darwins Evolutionstheorie beeinflusste nicht nur grundlegend die Biowissenschaften. Auch in den Sozialwissenschaften wird der Mensch zunehmend im Lichte seiner evolutionären Entwicklung gesehen. Gleichzeitig besteht eine mehr gefühlsmäßig denn intellektuell begründete Ablehnung gegen diese Perspektive: Sie unterstellt fälschlich, das menschliche Verhalten ergebe sich nach der Evolutionstheorie direkt aus den ererbten Anlagen. Diese Auffassung vertrat auch Darwin nicht, plädierte er doch für moralische Entscheidungen gegen die direkten Vorgaben der Natur. Was seine Evolutionstheorie aber durchaus für die Erklärung des menschlichen Sozialverhaltens zu leisten vermag, wollen der Biowissenschaftler Thomas Junker und die Evolutionsbiologin Sabine Paul in ihrem Buch „Der Darwin Code. Die Evolution erklärt unser Leben" aufzeigen. Mit dem Titel spielen sie darauf an, dass Darwins Theorie als Code der geheime Schlüssel sei, „der das Verständnis vieler rätselhafter Verhaltensweisen der Menschen erst ermöglicht" (S. 16).

Und genau dies thematisieren die sieben Kapitel des Werks: Zunächst geht es um eine Erklärung dafür, warum wir spezifische Speisen wie Hamburger, Pommes und Schokolade besonders gern essen. Danach widmen sich die Autoren den Strategien der Partnerwahl, wobei nach den Gründen für die Bedeutung besonderer Kriterien für Frau und Mann gefragt wird. Die evolutionäre Logik der Selbstmordattentate steht dem folgend im Zentrum des Interesses. Anschließend widmet man sich den Gründen für das Aussterben der Neandertaler und für das Überleben der modernen Menschen. Neben der überlegenen Intelligenz wird danach insbesondere in der Fähigkeit zur Speicherung von Erfahrungen über Generationen hinweg ein wichtiger Grund für die herausragende Rolle des Homo sapiens unter den Lebewesen gesehen. Dem folgend geht es den Autoren noch um die evolutionären Vorteile der Kunst und der Religion bei der Entwicklung des Menschen. Und abschließend fragt man nach der Bedeutung und Macht der Gene in der modernen Zivilisation.

Bilanzierend betrachtet wollen Junker und Paul anhand der unterschiedlichsten Beispiele verdeutlichen, in welch hohem Maße nicht-biologische Phänomene des menschlichen Sozialverhaltens letztendlich doch durch den Evolutionsverlauf bedingt sind. Danach „war es für Menschen in der Zeit der Jäger und Sammler überlebensförderlich, dass sie zur Energieversorgung Präferenzen für fettreiche, süße, gekochte und fleischhaltige Speisen entwickelten. Dieses evolutionäre Erbe prägt unseren Geschmack noch heute" (S. 33). Andere Besonderheiten des menschlichen Lebens erklärten sich durch deren vorteilhaften Charakter im Rahmen der Evolution, etwa durch die Bildung von sozialen Einheiten: „Kunst und Religion lassen sich als unterschiedliche Strategien verstehen, mit deren Hilfe - abhängig von den jeweiligen Umweltbedingungen - ein übereinstimmendes Ziel verfolgt wird: Gemeinschaftsbildung" (S. 178). Mit diesen Ausführungen wollen die Autoren die „Deutungsmacht einer neuen, evolutionären Kulturwissenschaft dokumentieren" (S. 10).

Durchaus anschaulich und überzeugend gelingt es ihnen dabei aufzuzeigen, dass man viele für den Menschen typische Eigenschaften besser verstehen kann, wenn sie aus der Perspektive von Darwins Evolutionstheorie gesehen werden. Dabei scheuen Junker und Paul selbst vor schwierigen Fallbeispielen wie den Selbstmordattentaten nicht zurück. Auch mit Hilfe einer vergleichenden historischen Betrachtung gelingt es ihnen, hier wichtige Grundkonstanten heraus zu arbeiten. Viele Ausführungen sind für die Kenner der soziobiologischen Fachliteratur nicht neu. Zum Thema Religion gab es darüber hinaus schon weitaus differenziertere Analysen von Darwin selbst. Gleichwohl findet man in „Der Darwin Code" noch darüber hinausgehende Anregungen und Reflexionen. In ihrer Kritik an der Einseitigkeit einer „kulturalistischen Auffassung", welche die biologische Prägung des Menschen weitgehend ausblendet, geraten die Autoren aber mitunter in die gegenteilige Einseitigkeit, die allzu sehr menschliches Verhalten vorrangig biologisch erklärt.

Armin Pfahl-Traughber

 

Thomas Junker/Sabine Paul, Der Darwin Code. Die Evolution erklärt unser Leben, München 2009 (C. H. Beck-Verlag), 224 S., 19,90 €

 

 

Das Buch ist auch im denkladen erhaltlich.