BADEN-BADEN (hpd) Am 10. Februar erhält der Dalai Lama den Deutschen Medienpreis. Wer sich fragt, warum ausgerechnet einem ehemaligen Feudalherrscher jene Auszeichnung verliehen wird, die einer „herausragende Persönlichkeit der Zeitgeschichte" zugedacht ist, muss sich zunächst an die Geschehnisse im März 2008 erinnern. Und sich dann vor Augen führen, wer den Preisträger ausgesucht hat.
Ein Kommentar von Colin Goldner
Die Begeisterung für Tibet hat in Deutschland eine lange Tradition. Bereits während der NS-Zeit stießen Filme über das „Dach der Welt" auf reges Interesse. Als 1949 die chinesische Volksbefreiungsarmee in Tibet einmarschierte, vermischte sich diese Schwärmerei für ein fernes, exotisch anmutendes Land mit antikommunistischen Ressentiments. Was in Tibet genau passierte, wollten schon damals nur die wenigsten wissen, die Region und die dort lebenden Menschen gerieten zur Projektionsfläche für die verschiedensten Wünsche und Träume. In den 1980er Jahren erhielt der Mythos dann ein Gesicht: Nachdem er bereits mehr als 20 Jahre im Exil gelebt hatte, begann der Dalai Lama, tatkräftig unterstützt von Grünen-Mitbegründerin Petra Kelly, in Europa für seine Sache zu werben. Spätestens mit der Verleihung des Friedensnobelpreises 1989 hatte er eine Popularität erreicht, die ihm nicht nur in Deutschland nahezu alle Türen öffnete. Wenige Jahre später war er zum weltweit beliebten Superstar der Medien aufgestiegen, dem alle möglichen positiven Eigenschaften zugeschrieben wurden.
Freilich war auch der Dalai Lama in erster Linie Projektionsfigur. Welche Positionen er in seinen zahlreichen Reden, Vorträgen und Büchern tatsächlich vertrat, wurde nur selten recherchiert. So ins Detail zu gehen, erschien offenbar überflüssig bei einem Religionsführer dieses Kalibers, einem Friedensnobelpreisträger, einem „Ozean der Weisheit". Alles, was dieser Mann sagte, konnte nur gescheit, gerecht, freundlich und friedlich sein.
Für Medienkonsumenten mag dies eine Haltung sein, die zwar nicht sonderlich clever, aber menschlich immerhin nachvollziehbar erscheint: Wenn endlich unter all den unfähigen Politikern und gierigen Wirtschaftsbossen, weltfremden Bischöfen, dopenden Spitzensportlern und dummschwätzenden TV-Promis ein Idol auftaucht, eine Person, zu der man guten Gewissens aufschauen kann, darf deren Bild nicht beschädigt werden - und sei es um den Preis partieller Realitätsausblendung. Wenn hingegen Medienproduzenten die kritische Distanz zu ihrem Gegenstand verlieren, vergessen sie den Auftrag der „vierten Gewalt".
Randale in Lhasa, Applaus in Deutschland
So gehört es zu den peinlichsten Kapiteln der jüngeren Mediengeschichte, wie in Deutschland über die gewalttätigen Ausschreitungen in Tibet im März des vergangenen Jahres berichtet wurde. Ohne die sonst übliche Vorsicht, wenn Informationen nur aus der Propagandazentrale einer der Konfliktparteien vorliegen, übernahmen zahlreiche Medien die Verlautbarungen des Dalai Lama und seiner Einrichtungen.
Auch als sich abzeichnete, dass die Berichte über hunderte von Toten, auf friedliche Demonstranten schießende chinesische Soldaten oder massenhafte Festnahmen sich aus unabhängigen Quellen nicht bestätigen ließen, änderte sich der Tenor der Berichterstattung nicht. Um das Bild des gewaltfreien Protestes und der brutalen Repression durch das chinesische Militär aufrechtzuerhalten, griffen einige renommierte Medien gar zu äußerst fragwürdigen Mitteln. „Die Zeit" schnitt von einem Foto, das eine anrollende Militärkolonne zeigt, einfach die rechte Hälfte ab, auf der eine Gruppe Steine werfender Jugendlicher zu sehen gewesen wäre. Die „Berliner Morgenpost" präsentierte ihrer Leserschaft gar ein Bild eines „Aufständischen", der „während der Revolte ... von Sicherheitsbehörden abgeführt" worden sei. Tatsächlich jedoch zeigt die über die Nachrichtenagentur Reuters verbreitete Aufnahme einen verletzten Chinesen, der von einem Sanitäter und einer weiteren Person in Zivil in Sicherheit gebracht wird.
Derlei manipulative Eingriffe in vorliegendes Bildmaterial waren keine Einzelfälle, wie im Internet dokumentiert. Sie deuten auf eine Voreingenommenheit hin, die sich auch von Fakten nicht erschüttern lässt. So hielten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die deutschen Medien bis zuletzt an ihrer einseitigen Darstellung fest, selbst als zunehmend deutlich wurde, dass die Gewaltwelle von den Anhängern des Dalai Lama, insbesondere den Mönchen der Klöster des Lhasatales, ausgelöst worden war. Sie rechtfertigten deren militantes Vorgehen häufig mit Hinweis auf die Unterdrückung durch die chinesischen Militärmachthaber, die sich dergestalt Luft verschaffe.
Vor allem aber stellte kaum jemand die Frage, welche Rolle der Dalai Lama bei der Entstehung des Aufruhrs gespielt hatte. Präsentiert wurde er als besonnener „Mann des Friedens", der seine Landsleute Mitte März aufforderte, in ihrem Protest gegen die chinesische Besatzung nicht zum Mittel der Gewalt zu greifen und sogar mit seinem Rücktritt drohte. Dass er wenige Tage zuvor anlässlich des 49. Jahrestages des chinesischen Einmarsches in Tibet eine Brandrede gehalten hatte, die als zentraler Auslöser für die Ausschreitungen am 11. März gesehen werden muss, wurde ebensowenig berichtet wie über seine Kontakte zum exiltibetischen Kampfverband „Tibetan People's Uprising Movement", der sich Anfang Januar im nordindischen Dharamsala konstituiert und den zielgerichteten Einsatz von Gewalt auf seine Fahnen geschrieben hatte.
Erfahren im Umgang mit westlichen Medien wusste der Dalai Lama, was er diesen bieten musste: einen engagierten und konsequenten Einsatz für Gewaltfreiheit. Er bediente das Bild des Friedensnobelpreisträgers und weisen Religionsführers und konnte sich darauf verlassen, dass widersprüchliche Informationen nicht wahrgenommen würden.
Persilschein für miserable Berichterstattung
Am 10. Februar wird dem Dalai Lama in Baden-Baden der Deutsche Medienpreis verliehen. Er erhält ihn, weil seine „eindringliche Botschaft ... zu einer Kraft des Guten jenseits kultureller oder religiöser Differenzen in der Weltpolitik" geworden sei. Weil er sich für „Versöhnung, Toleranz, Bescheidenheit und Respekt" einsetze und für eine globale Ethik stehe, die von „Selbstlosigkeit, Werteorientierung und Solidarität" geprägt werde. Und damit schließt sich der Kreis. Denn verliehen wird der Deutsche Medienpreis durch die Firma Media Control, ein Marktforschungsunternehmen im Medienbereich. Ausgewählt wird der Preisträger jedoch von den „Chefredakteuren der reichweitenstärksten und einflussreichsten Medien in Deutschland".
So ernennen ausgerechnet diejenigen, die durch ihre unzureichende Berichterstattung den Heiligenschein des Dalai Lama polierten, ihn zur Persönlichkeit von „herausragender Bedeutung" für die Zeitgeschichte. Ihrer eigenen einseitigen und manipulativen Darstellung der Situation in Tibet, insbesondere während der Unruhen im März 2008, stellen die deutschen Medien so nachträglich einen Persilschein aus. Die lange Aufzählung der herausragenden Qualitäten des Dalai Lama soll offenbar die eigenen Lobgesänge, die oft genug journalistische Qualitätsmaßstäbe vermissen lassen, plausibel machen.
Dabei müssten die Medien nur tun, was eigentlich ihr Job ist: hinschauen. Dann würden sie zwangsläufig auf Ausführungen stoßen, die von einem für „Selbstlosigkeit, Werteorientierung und Solidarität" gelobten Medienpreisträger, ganz zu schweigen von einem „Mann des Friedens", ein wenig verwundern. Jenseits aller Friedensrhetorik betont der Dalai Lama immer wieder Gewalt als prinzipielle Option. Bei einem öffentlichen Auftritt an der Stanford University beispielsweise unterstrich er, es sei nicht nur erlaubt, Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten, vielmehr sei dies manchmal das genau richtige.