...wer ist der Kirchenfreundlichste im ganzen Land?
HAMBURG: Geständnisse aus dem Kultusressort.
Über Jahre gab es eine feste Tradition
des Wochenmagazins DER SPIEGEL, dass Ende November, zum Beginn der christlichen „Adventszeit“, ein Artikel über die Kirchen erschien, über den die Kirchen sich nicht gerade freuten.
Oh tempora, oh mores: Augstein ist nun schon lange tot und die Abteilungsleiter regieren. Immer wieder ist in Berichterstattung und Tonlage des Magazins über einen immer dichter werdenden Schulterschluss mit den Kirchen zu lesen.
Ein prägnantes Beispiel mag das illustrieren: Im Spiegel-Gespräch mit Bischof Huber (Nr. 18/2006 vom 29,04.2006, S. 48-50) sagen die beiden Redakteure des Spiegels tatsächlich: „Niemand zweifelt daran, dass unsere Verfassung in christlichen Werten wurzelt. Die sind allerdings schon lange von der Politik adaptiert: ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit’.“
Die Leitsätze und Parolen der Aufklärung und der französischen Revolution haben also christliche Wurzeln? Ach ja, man darf nicht vergessen, dass Jesus ein <Sozialrevolutionär> war.
Und was ist jetzt zu Beginn der „Adventszeit“ 2006 erschienen? Nicht nur ein Artikel, sondern gleich ein ganzes Sonderheft: Spiegel special 9/2006 <„Weltmacht Religion“>.
In einer „Hausmitteilung“ schreibt der Verlag über den Inhalt: „In diesem Heft beschreiben SPIEGEL-Redakteure und renommierte Wissenschaftler den wachsenden Einfluss der großen Religionen auf Kultur, Politik und die gesellschaftlichen Werte. Alexander Smoltczyk, SPIEGEL-Korrespondent in Rom, begleitete Papst Benedikt XVI. auf drei seiner vier Flugreisen und beschreibt, warum der einstmals als stockkonservativ geschmähte Kirchenmann inzwischen auch viele aufgeklärte Intellektuelle begeistert.“
Diese und weitere Tatsachenaussagen bleiben ohne Beleg: es sind also Behauptungen ohne Realitätsgehalt.
Nach einem recht beliebigen Streifzug durch Orte aller Welt, u.a. „(...) einem Besuch in der Saddleback-Kirche südlich von Los Angeles, (...) oder „buddhistische Klöster in Thailand", schließlich ein Artikel „Und woran glaubt, wer Religion ablehnt? SPIEGEL-Redakteur Johannes Saltzwedel beschreibt die Sinnsuche aufgeklärter Skeptiker“.
Der Artikel beginnt:: „Zweifel in der Seelendrogerie. Woran glaubt, wer Religion ablehnt? Inmitten zahlloser Sinnversprechen versuchen aufgeklärte Skeptiker, humanistisch-säkulare Moral zu bewahren. Aber die Versuchung wächst: Schon halten selbst fromme Katholiken eine Wiedergeburt für möglich.“
Schon dieser Anfang – in einem Atemzug aufgeklärte Skeptikern, eine humanistisch-säkulare Moral und fromme Katholiken, die eher Buddhisten sind –, bereitet auf das eigenartige Gemisch vor, was folgt.
Das Ganze ist dann – in einem Heft über die aktuelle Bedeutung von Religionen – ein Parforceritt von Bunuel ausgehend, über das Entschwinden des politischen Marxismus, zu einem heutigen Grübeln und Achselzucken, „dabei hätten vehemente Gottesleugner wenigstens in Mitteleuropa weiterhin Grund zum Frohlocken“ – mit einer zutreffenden Beschreibung der inhaltlichen Beliebigkeit des Glaubens vieler eingeschriebener Christen. Daraufhin erfolgt ein weiterer historischer Schwenk rückwärts zu den „Religionsgegnern früherer Zeiten“, der französischen Revolution – wir sind inzwischen im 18. Jahrhundert – und flugs den Faden gesponnen von Schleiermacher über Schelling, La Place und Feuerbach bis Marx.
In diesem Panoptikum dürfen dann natürlich auch Comte und Nietzsche nicht fehlen – und der irritierte Leser fragt sich, was das alles mit den Agnostikern und Atheisten der Gegenwart zu tun hat.
Egal, „Nietzsches Hammerworte“ wirken fort bis hin zu den einflussreichen Soziologen Durckheim, Weber und Simmel, so dass alles in der „ruppigen Internationale“ kulminiert.
Nach einem Schwenk über Heidegger und Jung, folgt schließlich eine Betrachtung über den (so nicht benannten aber christlichen) „Flohmarkt individueller ‚Patchwork-Religiosität’. Heilkräuter aus der ‚göttlichen Apotheke" der Hildegard von Bingen oder schamanistische Schwitzhütten hat diese Seelendrogerie ebenso parat wie Psycho-Tools, Edelsteinkräfte, Schutzengel, Feng Shui oder Tantra-Methoden.“
Der Leser fragt sich immer stärker, wann der gelehrte Autor denn nun zu den Agnostikern und Atheisten der Gegenwart findet und muss sich noch etwas gedulden.
Aber dann kommt der Autor endlich zum Thema:
„In Frankreich, wo Kirchen- und Glaubenskritiker gern verbal auftrumpfen, regen Atheisten wie Luc Ferry ("Von der Göttlichkeit des Menschen") oder Michel Onfray ("Wir brauchen keinen Gott") immerhin bisweilen noch Debatten an. In Deutschland hingegen werden Kampf-Ketzer wie der Augsburger Gerhard Rampp oder der greise Kulturhistoriker Karlheinz Deschner ("Kriminalgeschichte des Christentums") fast nur noch milde belächelt.
Organisierte Ungläubige wiederum scheuen verständlicherweise das Missionieren. "Deutscher Freidenker-Verband", "Humanistischer Verband Deutschlands", "Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften" oder "Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten".
So stattlich die Namen auch klingen, mehr als zahme Kirchenkritik, wohlfeile Konsensmoral und Hilfe bei Trauungen oder Beerdigungen ohne Pfarrer braucht von den Zweckbünden niemand zu fürchten.
Gruppen solcher Art, die der Berliner Experte Andreas Fincke möglichst neutral als "Konfessionslose" bezeichnet, gehen ungern aufs Ganze; lieber debattieren sie aktuelle ethische Fragen wie Umweltschutz, Friedenssicherung, Gleichstellung der Geschlechter, Sterbehilfe oder Gentechnik. Aber braucht man dafür besondere Vereine? Ist nicht ein Hauptmerkmal säkularer Religionsferne gerade, dass die heiklen Fragen nach Jenseits und Lebenssinn möglichst tief ins Private verbannt werden?“
Das war’s dann. Bösartige Verunglimpfungen - „Kampf-Hetzer“ und „greiser Kulturhistoriker“ - herablassende Unkenntnis über die gemeinsamen Ziele der „organisierten Ungläubigen“ und unvollständige Zitierung eines „Berliner Experten“ - der realiter evangelischer Pastor und Mitarbeiter der „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW)“ ist. Eine konfessionelle Einrichtung, die in ihren Publikationen allerdings korrekt über <„Lebens- und Weltbilder von Freidenkern und Atheisten“> berichtet und ebenfalls einen insgesamt korrekten <Überblick über ihre Organisationen> vermittelt.
Im Schlussgalopp mit Zitaten von Rilke, Luhmann und Habermas geht es zum Finale mit Friedrich II., dem kaiserlichen Rom, Gottheit Jupiter samt Anhang, die ägyptische Mondgöttin Isis und den vorderasiatischen Baal bis zum geheimnisumwitterten Stiertöter-Heiland Mithras, schließlich Kaiser Alexander Severus.
Der Autor verspricht zwar im Untertitel, die Frage "Woran glaubt, wer nicht glaubt?" zu beantworten. Jedoch scheint er in der Materie nicht recht zuhause zu sein. Der Artikel ist in der Sachkenntnis auf dem Stand von vor fünfzehn Jahren geschrieben – aber warum muss dann mangelnde Sachkenntnis durch Gehässigkeit und ignorante Spöttelei zugetüncht werden? Immer wieder schweift er in Esoterik und Religionen ab, ohne die Positionen der Agnostiker und Atheisten auch nur ansatzweise qualifiziert zu beschreiben.
Der Bereich des naturwissenschaftlich begründeten Atheismus scheint ihm völlig unbekannt zu sein. Zwar nennt er die wichtigsten Konfessionslosen-Verbände DFW, HVD, IBKA und DFV. Jedoch nennt er noch nicht einmal deren gemeinsames politisches Ziel: Die Trennung von Staat und Kirche.
Es gibt genug Kenner der agnostisch-atheistischen Philosophie. Muss man da ausgerechnet solch einen Ignoranten als Autoren auswählen?
Auf der zweiten Doppelseite rechts neben diesem Artikel, gleichsam als Abschluss und Wand, ist eine Spalte Werbung für die christliche Wochenzeitung „Rheinischen Merkur“ zu sehen. Unter einem Frauengesicht mit Fernglas steht die Überschrift: „Mehr Orientierung“. Was auf den ersten Blick wie ein ironischer Spaß der Redaktion aussieht, hat Sinn.
Dass es sich dabei nicht um einen Zufall handelt, und auch keine Ignoranz ist, zeigt aktuell „Matusseks Kulturtipp“. Matthias Matussek ist der „Kulturchef“ des SPIEGEL und „blogt“ seit dem 16. Oktober wöchentlich jeweils am Montag in einem Video mit Kulturtipps.
Die Peinlichkeit des Blogs <„Der Rockzipfel Gottes“> vom 27.11.06 ist kaum zu überbieten. Nach einer gefühlvollen Einleitung mit Bild und Musik von Mozart „Mozarts Kyrie ist sein Statement zur Religion“ folgt eine längere Anpreisung des SPIEGEL-Sonderheftes, „Die Religion ist eine Weltmacht, die ohne Panzerkreuzer, ohne Divisionen, ohne Flugzeugträger auskommt und auch wirkungsmächtiger ist, denn sie beherrscht die Köpfe und Herzen der Menschen, entzündet ihre Phantasie.“ Einfache Erklärung: „Die Menschen suchen Halt in haltloser Zeit, die Menschen sind infantil, sie suchen die Rockzipfel Gottes.“
Dann folgt die Lobpreisung des „glänzenden Essays“ des „sehr geschätzten Kollegen“ über den Papst und „die unglaubliche Popularität, die dieser intellektuelle Papst auch bei uns hat. In diesem wundervollen Essay gelingt ihm eine Wendung, die von wahrhaft göttlicher Ironie ist. Er (Smoltczyk) schreibt: ‚Das Land, das Luther, Nietzsche und Marx hervorgebracht hat, hat den Glauben an die Gottlosigkeit verloren’. Das ist natürlich eine traumhafte dialektische Pointe, die sagt, im Grund genommen, die Materialisten sind die Gläubigen. Sie sagt auch, wir haben im letzten Jahrhundert die Ratio vergöttert und ein Schlachthaus angerichtet und wir erleben zusehends, wie der diesseitige Hedonismus auch nicht gerade das Gelbe vom Ei ist. Wir sind gefangen, in einer, wie Smoltczyk schreibt, ‚traurigen Moderne’.“
Dann erinnert sich Kulturchef Matussek „plötzlich an eine Melodie, die wir, zumindest in Deutschland, schon längst verloren glaubten:( ...) Ich selber, ich muss gestehen, ich bin Katholik.“
Das Bestreiten und die Verunglimpfung eines wissenschaftlichen Menschenbildes (der Mensch ist keine „seelenlose Bio-Maschine“) ist dann nur folgerichtig. Das sei ihm „zu armselig und zu unsinnig, um wirklich daran zu glauben“. Ihm fehle auch die „biologische Notwendigkeit von Mozarts Missa Solemnis“. Fürwahr.
Wann werden wir den Artikel lesen können, der dann heißt: „Weltmacht Religion. Wie der christliche Glaube das Kulturressort des SPIEGEL beeinflusst.“?
Passender wäre es entsprechend gewesen, das SPIEGEL-special 9/2006 gleich mit „Lobet den Herrn“ zu betiteln.
Fritz Kummer