Staatsverständnis - nicht nur Religionsverfassung

BERLIN. (hpd) Wenn es um die Politik säkularer Verbände geht und um ihre

Repräsentanz im Gefüge politisch agierender Kräfte ist meist von einer nötigen Änderung der Religionsverfassung in Deutschland die Rede, die derzeit im Gange ist. Historisch gewachsene, zunehmend als unzeitgemäß empfundene Privilegien der beiden großen christlichen Kirchen werden in Frage gestellt und gleiche Rechte für islamische Religionsgemeinschaften sowie weltanschauliche Verbände eingefordert.

 

„Böckenförde-Diktum"

Das ist aber nur die halbe Miete – auch wenn deren volle Zahlung schon ein zivilisatorischer und kultureller Fortschritt für Deutschland wäre: von der Verwirklichung pluraler „Glaubensverhältnisse“ in den rechtlichen und finanziellen Wirklichkeiten einmal ganz abgesehen. Tatsächlich geht es übergreifend darum, nicht nur Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften gleich zu behandeln, wie die Verfassung (z.B. Artikel 137 WRV, vorletzter Satz, inkorporiert in Art. 140 Grundgesetz) verlangt – sondern das Staatsverständnis insgesamt – wie ebenfalls verfassungsmäßig gefordert (Art. 3 und 4 GG) – als ein pluralistisches in den Institutionen wie im öffentlichen Bewusstsein allgemein wie im juristischen besonders zu verankern.

Ein Hindernis auf diesem Weg – wenn auch historisch in Ursachen und Wirkungen plausibel begründbar – ist der Glauben (anders ist dies wohl nicht treffender zu kennzeichnen) an das „Böckenförde-Diktum“: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt, mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren versuchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“ (Ernst-Wolfgang Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation. In: Ders., Recht, Staat, Freiheit. Frankfurt a.M. 1991 [zuerst 1976] S.112.)

Dieses „Diktum“ gewinnt seine Brisanz nicht aus den sicher richtigen Feststellungen des namhaften Autors, des Bundesverfassungsrichters a.D., dass an den säkularisierten Staat irgendwie von seinen Bürgerinnen und Bürgern „geglaubt“ werden muss, um ihn stark und instand zu halten. Wesentlich für die Kritiker dieses Diktums ist, dass die „moralische Instanz“, die den Staat zusammenhält, seinen „Kitt“ ausmacht, nur in der Religion gesehen wird, mehr noch, nur bzw. vor allem in der christlichen. Das hat die Konsequenz, dass, wenn Säkularisierung voranschreitet, der „Kitt“ bröckelt.

Positiv formuliert folgt aus der Kritik an diesem Diktum, ob nicht der „Glauben“ an den Staat (Stichwort: Verfassungspatriotismus) auch außerreligiös begründbar ist bzw. gar humanistisch – gänzlich bzw. als Bestandteil der „moralischen“ Garantien – gesehen werden kann. Zu diesem brisanten und hochpolitischen Thema (siehe die Debatten über eine christliche bzw. humanistische Leitkultur – um nur beiden Extreme im Diskurs zu benennen), veranstalten die Akademie der Politischen Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung und die Humanistische Akademie Deutschland (am zweiten Tag die Humanistische Akademie Berlin) am 17. und 18. November 2007 in Berlin eine Konferenz zum Thema „Säkularisation und Freiheitsgarantien des Staates – Humanismus und „Böckenförde-Diktum“ (Anlagen: Einladung, Programm, Antwortschreiben im Anhang).

Am ersten Tag

geht es um „Das 'Böckenförde-Diktum' und die humanistische Begründung der Menschenwürde“, und der zweite Tag behandelt die Frage, ob der organisierte Humanismus eine Antwort auf das „Böckenförde-Diktum“ hat und ob bzw. in welchen Anfängen er in der Lage ist, eine eigene Rechtspolitik in Deutschland zu entwickeln.
Unter „organisiertem Humanismus“ wird dabei bewusst nicht nur der Humanistische Verband (HVD) verstanden (was eine dumme Anmaßung wäre), obwohl dieser im Wesentlichen die Humanistische Akademie Deutschland trägt. Wird die internationale wie die europäische „humanistische Szene“ betrachtet, so unterscheidet sie sich von der deutschen auch dadurch, dass in ihren Organisationen meist diejenigen atheistischen, laizistischen, freidenkerischen, weltanschaulichen, bürgerrechtlichen usw. Gruppen vereint sind, die hierzulande (bisher?) nicht zu einer Art „Zentralrat der Humanisten“ zusammengefunden haben, sondern in der Humanistischen Union (HU), im HVD, in der GBS und anderen Verbänden ein mehr oder weniger separates Dasein führen.

Spannend dürfte demzufolge der Diskurs sein, der Sonja Eggerickx (Brüssel; Präsidentin der IHEU), Prof. Dr. Rosemarie Will (Berlin, Juristin, Landesverfassungsrichterin, Vorsitzende „Humanistische Union“) und Prof. Dr. Frieder Otto Wolf (Berlin, Philosoph, Präsident „Humanistische Akademie Deutschland“ und stellv. Bundesvorsitzender des HVD) zusammenführt mit ausgewiesenen Experten zum Thema, die über jeden Verdacht erhaben sind, in irgendeiner Weise „Fürsprecher“ der organisierten Szene zu sein: Prof. Dr. Hartmut Kreß (Theologe u. Ethiker; Professor für Systematische Theologie, Bonn) spricht über „Das Böckenförde-Diktum – tragfähig im modernen Pluralismus?“. Prof. Dr. Hubert Cancik (Tübingen, Berlin, (Religions- und Altertumswissenschaftler) hält ein Referat zu „Freiheit und Menschenwürde im ethischen und politischen Diskurs der Antike“. Prof. Dr. Tatjana Hörnle (Bochum, Juristin, Strafrechtlerin und Rechtsphilosophin) spricht zu „Begründungen der 'Menschenwürde' in der aktuellen Rechtsphilosophie“.

Am zweiten Tag

wird die inzwischen vorliegende 50seitige Studie des Rechtsanwalts und Philosophen Dr. Thomas Heinrichs (Berlin, Mitglied des Präsidiums der HAD) vorgestellt (am ersten Tag verteilt) „Die rechtspolitischen Grundvorstellungen und Kernforderungen der säkularen Verbände, mit einer Betonung auf den HVD“. In ihr geht es um die Entwicklung des Verhältnisses von Kirche und Staat, besonders um die Entwicklung des Rechtsstatus der Religions- und säkularen Weltanschauungsgemeinschaften, um Systematische Überlegungen zum Zusammenhang von Recht und Weltanschauung sowie umfänglich um die rechtlichen Positionen der säkularen Verbände, deren Status, Vertragsverhältnisse, Finanzierungen und rechtlichen Positionen zum Staat, zum Bildungswesen, zu Sozialleistungen, zur „Seelsorge“ in staatlichen Einrichtungen Armee, BGS und Polizei, zu den Feiertagen, zum Personenstandsrecht, zu Jugendfeiern (Jugendweihen), zum Familienstand (Ehe), zu Trauerfeiern, zu Patientenverfügungen und zur Abtreibung.

Nach einer Kritik der vorliegende Studie durch Prof. Dr. Johannes Neumann (Staatskirchenrechtler, Tübingen; Mitglied der HAD) – und sicher weitere Anwesende – und deren Diskussion wird vom Humanistischen Verband zu überlegen sein, wie er damit weiter politisch umgeht. Die Tagung jedenfalls wird in humanismus aktuell bis Sommer 2008 dokumentiert.

Anzumerken ist, dass der erste Tag des Projektes gefördert wird durch Mittel der DKLB-Stiftung und der zweite Tag mit Mitteln des Staatssekretariats für Kulturelle Angelegenheiten beim Regierenden Bürgermeister von Berlin, Referat Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.

Horst Groschopp