Der Papst und HIV/AIDS in Afrika: eine Nachlese

AFRIKA. (hpd) Während seiner Afrikareise im vergangenen März hat sich der Papst gegen Kondome als AIDS-Schutz ausgesprochen und es wurde die Meldung verbreitet, dass Staaten mit höherem Katholikenanteil geringere AIDS-Infektionen aufweisen. Andreas Dietz hat das überprüft.

Im südlichen Afrika sind ca. 25 Millionen Menschen mit HIV infiziert. Etwa 2,4 Millionen Menschen sind dort allein im Jahr 2005 an AIDS gestorben. Als der Papst im März den Kontinent bereiste, sprach er sich - wie man erwarten konnte - für die katholische Sexualmoral und gegen Kondome aus: "Die Immunschwächekrankheit AIDS ist nicht mit Kondomen zu überwinden, im Gegenteil, das verschlimmert nur das Problem" (fr-online).

Die Reaktionen waren heftig. Auch das konnte man erwarten. Alarm geschlagen hat zum Beispiel das Kinderhilfswerk UNICEF. "Erwachsene und Jugendliche müssen über die Ansteckungswege Bescheid wissen - und darüber, wie man sich vor AIDS schützen kann", sagte UNICEF-Geschäftsführerin Regine Stachelhaus dem Kölner Stadt-Anzeiger. Kondome sind nach dem ABC-Ansatz (A meint „Abstinenz“, B „Bleib treu" und C „Condoms") Teil der Aufklärungskampagnen.

Einen Tag nach der Äußerung des Papstes hat die spanische Regierung unter Ministerpräsident Zapatero beschlossen, eine Million Kondome nach Afrika zu schicken. Die Zahl dürfte für den Kontinent nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Aber die Botschaft der Aktion war klar: "Seine Heiligkeit war sehr schlecht beraten. Der Papst müsste ihnen ein Mea Culpa folgen lassen, weil er eine Botschaft wider alle wissenschaftliche Erkenntnis verkündet hat", hieß es aus dem Gesundheitsministerium. Während die Spanier den Papst ärgerten, diagnostizierte der frühere französische Premierminister Alain Juppé: "Der Papst lebt anscheinend in einem totalen Autismus". (FAZ.net)

Während sich die Welt also (nicht zum ersten Mal in diesem Jahr) über den Papst empörte, ging dieser seinen Geschäften in Afrika nach und rief zur weiteren Missionierung auf: "Auch fünf Jahrhunderte nach dem Beginn der Evangelisierung Angolas seien viele Menschen orientierungslos oder glaubten sich von unheilvollen Geistern und Mächten bedroht" (fr-online).
 

Nun ist Aberglaube in Afrika in der Tat ein Problem. Der Glaube, dass Sex mit einer Jungfrau AIDS heilt, ist gefährlich. Aber in der Breitenwirkung vermögen eine die Natur des Menschen ignorierende Sexualmoral und das Verbot von Kondomen das Problem ebenso zu verschärfen. Zumindest untergräbt die Katholische Kirche die Aufklärungskampagnen der Hilfsorganisationen.

Afrika: Viele Katholiken – wenig AIDS?

Schließlich kursierte eine doch recht außergewöhnliche Behauptung durchs Internet. Unter anderem der katholische Nachrichtendienst kath.net, aber auch der Informationsdienst der Evangelischen Allianz (idea), verbreiteten, dass in afrikanischen Ländern mit hohem katholischen Bevölkerungsanteil die Ansteckungsrate mit HIV am geringsten sei. Man beruft sich auf die katholische Zeitschrift "Komma" (Aachen).

Es werden erstaunliche Zahlen genannt, die die Behauptung zu untermauern scheinen: "Aus den Angaben von 2006 geht hervor, dass im Land mit der höchsten AIDS-Rate, Swaziland (43 Prozent Infizierte), fünf Prozent der Einwohner katholisch sind. In Uganda hingegen, wo 36 Prozent der Bevölkerung der katholischen Kirche angehört, beträgt die Infektionsrate vier Prozent. Ruanda habe 47 Prozent Katholiken und fünf Prozent AIDS-Infizierte."

Außergewöhnliche Behauptungen werden für gewöhnlich von Skeptikern überprüft. Und in der Tat hat es dazu in der Mailingliste der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), einen Austausch gegeben. Ergebnis: Die genannten Länderbeispiele wurden passend zur Behauptung selektiert, um den gewünschten Zusammenhang möglichst eindeutig und einfach aussehen zu lassen. Betrachtet man jedoch alle afrikanischen Länder, ist der dargestellte Trend nicht mehr zu erkennen. Der Autor hat dazu die Daten zum katholischen Bevölkerungsanteil und die HIV/AIDS-Prävalenz in einer Grafik aufgetragen (Original im Anhang) und die Länder nach ansteigendem Katholikenanteil sortiert. (Datenquelle1 und Datenquelle 2)

Zwar gibt es Länder mit relativ hohem Anteil an Katholiken und relativ geringer HIV/AIDS-Prävalenz (Angola, Kongo, Burundi, Uganda) sowie Beispiele für einen relativ geringen Katholikenanteil bei relativ hoher HIV/AIDS-Prävalenz (Simbabwe, Swasiland, Botswana). Allerdings erkennt man auch Länder mit einem geringen Katholikenanteil und einer eher geringen HIV/AIDS-Prävalenz (Liberia, Senegal, Sudan) sowie solche mit einem höheren Katholikenanteil und einer höheren HIV/AIDS-Prävalenz (Namibia, Sambia, Lesotho).

Im Gesamtbild betrachtet scheinen die Angaben zu HIV/AIDS unabhängig von der Verbreitung des Katholizismus zu schwanken. Mit böser Zunge könnte man lediglich behaupten, dass man nur dort wirklich sicher sein kann, vor einer Ansteckung mit dem HI-Virus geschützt zu sein, wo es auch keine Katholiken gibt: nämlich in den islamisch geprägten nordafrikanischen Staaten. Aber was sagt das aus? Dass die islamische Sexualmoral besser vor AIDS bewahrt als die katholische?

Sicher nicht. Will man alle Faktoren berücksichtigen, die speziell im südlichen Afrika zu einer derartigen Verbreitung des Virus geführt haben, muss man einiges mehr im Blick haben als die Religionszugehörigkeit. Zu nennen seien hier ausgeprägte Wanderungsbewegungen z.T. in Verbindung mit Prostitution (Wanderarbeiter, Flüchtlinge, Soldaten in Konflikten), sexuelle und körperliche Gewalt gegen Frauen, Gleichgültigkeit und Tabuisierung, eine vergleichsweise frühe sexuelle Aktivität unter Jugendlichen sowie kulturell bedingte Polygamie bei fehlendem Zugang zu Kondomen, aber auch die unzureichende Bildungs- und Gesundheitspolitik der betroffenen meist armen Staaten mit Folgen für den Bildungsstand, die gesundheitliche Aufklärung, die hygienischen Zustände und die Ausstattung mit Krankenhäusern. Schließlich geraten solche Regionen in einen Teufelskreis, weil die durch AIDS verursachten Todesfälle gerade die junge, arbeitsfähige Bevölkerung betreffen.

Natürlich ist die Grafik hemdsärmlig. Es ist nicht unproblematisch, Quoten (Prozentzahlen) verschieden großer Stichproben auf einer absoluten Skala zu vergleichen. Um aber die Behauptung "Viele Katholiken – wenig AIDS" in ihrer plakativen Plumpheit zu widerlegen, genügt sie allemal.

Österreich: Weniger Katholiken - mehr AIDS!

Weitere Beispiele für selektives Vorgehen, wenn statistische Daten für beliebige Behauptungen in Anspruch genommen werden, kann sich jeder selbst stricken. So wurden Ende März die Daten zur HIV-Neuinfektion in Österreich im Jahr 2008 bekannt gegeben. Recherchiert man dazu die Entwicklung des Katholikenanteils der Bevölkerung, erkennt man einen Zusammenhang: Während die Zahl der Katholiken sinkt, nehmen die HIV-Neuinfektionen zu.

Anteil Katholiken in Österreich

1991 78,0 %
2001 73,6 %
2008 67,0 %

Anzahl der HIV-Neuinfektionen in Österreich

1997 297
2000 428
2004 470
2007 515
2008 505

Afrika braucht Entwicklung, nicht Gott

Doch die Afrikaner haben mehr verdient als eine spitzfindige Auseinandersetzung um die Wirkung religiöser Moralvorstellungen. Will sich der Kontinent entwickeln, will man Armut und Elend durch menschenwürdige Bedingungen ablösen, hilft es vermutlich wenig, wenn ein Glaube dem anderen folgt. Leo Igwe (Nigerian Humanist Movement) hat betont, wie wichtig es ist, dass die Afrikaner ihre Menschlichkeit und ihre menschlichen Möglichkeiten erkennen:

"Was Afrika benötigt, ist Freiheit. Das schließt einen freien Geist, eine freie Gesellschaft, Redefreiheit, Willensfreiheit, den freien Ausdruck der Intelligenz und Wahlfreiheit ein. Afrika braucht keine Religion, die den Verstand fesselt und die Intelligenz ankettet." (Atheist Alliance International)