MASTERSHAUSEN. (hpd) Zum Ende der Antike gingen der Menschheit Bildung, Wissenschaft und Kunst verloren und warf sie etwa anderthalb Tausend Jahre zurück. Was war die Ursache? Dieser Frage ging der Historiker Rolf Bergmeier im 39. Postmatinee im Haus am See nach.
Es sollen die barbarischen Germanen gewesen sein, die die Bücher der Römer verwendeten, um darauf ihre Wildschweine zu braten. Außerdem sollen die Dekadenz, der Römer, mangelnde Fortpflanzung, der allgemeine Sittenverfall und die Überfremdung das Aussterben der antiken Kultur verursacht haben. „Die Antike“ bezeichnet dabei einen Zeitraum von etwa 500 vor bis etwa 500 nach unserer Zeitrechnung.
Da zum Glück die antike Kultur nicht völlig unterging, sondern uns einige Reste erhalten blieben (die wiederum seit der Renaissance über Asien und Afrika zurücktransportiert werden konnten), lassen sich heute einige Ereignisse rekonstruieren.
Quer zur hergebrachten Auffassung über Konstantin den Großen und die „wilden Jahre“ des Christentums, belegte Bergmeier in seinem Vortrag pointiert seine Thesen und überzeugte mit einem breiten Wissen und seiner beeindruckenden Kompetenz.
In der Spätantike ließ sich Konstantin der Große (306-337 u. Z.), gemeinhin als Gründer des Christentums bezeichnet, als Arianer taufen. Die Arianer sahen Jesus allerdings nicht als gottgleich, sondern lediglich als gottähnlich an. Sie bildeten über lange Zeit die Mehrheit in den 18 Konzilen zwischen 318 und 380 u. Z., in denen die Frage geklärt werden sollte: Wie ist eigentlich Gott? Konstantin berief 325 u. Z. das Konzil von Nicäa ein, in dem Ordnung geschaffen werden sollte – diese Absicht misslang. Zuvor, im Jahre 313, hatte Konstantin ein Toleranzedikt erlassen, wonach das Christentum gleichberechtigt mit anderen Religionen anzusehen sei. Dies war Konstantins einziger Beitrag zur Christianisierung: der eines Steigbügelhalters.
Forum der GBS / Foto: Evelin Frerk Es war Theodosius der Große (379-395 u. Z.), der tatsächlich das Christentum einführte. Theodosius war im Jahre 380 schwer erkrankt und daraufhin „erleuchtet“. Eigentlich ein „abgetakelter spanisch-römischer Feldherr“, so Bergmeier, setzte er mit 65 Erlassen die trinitatische Version des Christentums durch. Darüber hinaus vereinte er Staat und Monotheismus zu einer Allianz. Der wesentliche, eigenmächtige Erlass des Theodosius, Cunctos Populos, im Jahre 380, verkündigte:
„... das bedeutet, dass wir gemäß apostolischer Weisung und evangelischer Lehre eine Gottheit des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes in gleicher Majestät und heiliger Dreifaltigkeit glauben. Nur diejenigen, die diesem Gesetz folgen, sollen, so gebieten wir, katholische Christen heißen dürfen; die übrigen, die wir für wahrhaft toll und wahnsinnig erklären, haben die Schande ketzerischer Lehre zu tragen. Auch dürfen ihre Versammlungsstätten nicht als Kirchen bezeichnet werden. Endlich soll sie vorab die göttliche Vergeltung, dann aber auch unsere Strafgerechtigkeit ereilen, die uns durch himmlisches Urteil übertragen worden ist.“
In den anderen 64 Erlassen sorgte Theodosius dafür, dass unter anderem Tempel und alle Bibliotheken geschlossen, alle heidnischen Bilder und Skulpturen sowie Bücher, Schul- und Lehrmaterial vernichtet, nicht christliche Lehrer und Juristen verfolgt wurden.
Was ging der Menschheit durch diesen massiven Eingriff in ihre Entwicklung verloren?
Am Beispiel des Untergangs der Literatur lässt sich das nachvollziehen. Papyrus sowie auch Pergament waren wenig haltbare Materialien, auf denen Schriften festgehalten wurden. Diese Schriften mussten mithilfe eines (öffentlichen, Sklaven-) Kopierdienstes alle 50-80 Jahre kopiert werden.
Der Bücherverlust betrug 1 : 1000
Von 350 bis 500 u. Z. – folglich binnen 150 Jahren – veränderte sich die Welt drastisch: aus zahlreichen öffentlichen Bibliotheken in jeder Stadt (28 allein in Rom), die mit unzähligen, zu 95 % säkularen Themen gefüllt waren und jeweils bis zu 500.000 Büchern enthielten, wurden nicht öffentliche Bibliotheken in Klöstern und Bischofsresidenzen, die jeweils ca. 100-500 Bücher mit fast ausschließlich Bibelexegesen und theologischer Literatur aufwiesen. Das Schrifttum der Medizin, des Rechts, der Ethik, Poesie, Astronomie, Agrarwissenschaft und Philosophie verschwand. Der Bücherverlust betrug 1:1000, d.h. jeder erhaltenen Schrift stehen 1.000 vernichtete und verlorene Schriften gegenüber.
Das antike Schulsystem war öffentlich und prinzipiell für „alle“ Stadtkinder ab Handwerker aufwärts offen – für die Landbevölkerung gestaltete sich der Zugang schwierig, da die Schulen lediglich in den Städten situiert waren. In den Schulen bestand keine weltanschauliche Bindung, die Schüler konnten weiterführende Schulen für Medizin, Recht oder Philosophie besuchen. In den Grammatikschulen wurde auf Latein und Griechisch unterrichtet. Nach der christlichen Wende existierten nur noch wenige, klerikale Schulen. Nach eintausend Jahren Schriftlichkeit war somit innerhalb relativ kurzer Zeit die Schriftlichkeit weitgehend erloschen und Analphabetismus war weit verbreitet.
Eine Religion braucht 400 Jahre, bis sie ihren Gott gefunden hat!
Gegenbewegungen der „Heiden“ existierten zwar, Aufstände oder Revolutionen gab es jedoch nicht. Die Bevölkerung hatte sich über die Jahrhunderte daran gewöhnt, dass ihr jeweiliger Pontifex Maximus ihnen sagte, an was sie glauben sollten, und die Cäsaren waren als Führer akzeptiert.
Das Christentum entwickelte sich also prozesshaft und „ruckelig“. Bergmeier schloss seine Ausführungen nach der angeregten Diskussion mit den Worten: „Man muss sich das mal vorstellen: Eine Religion braucht 400 Jahre, bis sie ihren Gott gefunden hat!“ Und dieser Fund ging auf unser aller Kosten!
Fiona Lorenz
Nachtrag
Dazu gibt es jetzt einen Audio-Mitschnitt
sowie eine fünfteilige Aufzeichnung mit den Grafiken auf dem hpd-Kanal von Youtube:
Teil 1
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Teil 3
Teil 4
Teil 5