Werte, Neue Armut und soziale Gerechtigkeit

BERLIN. (hpd) Überlegungen zu einem „Humanistischen Sozialwort“ sind nötig.

Diese Anforderung zu diskutieren ist die Absicht einer wissenschaftlichen Tagung, die am 2. Februar 2008 in Berlin von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLSt), der Humanistischen Akademie Deutschland (HAD) und in Kooperation mit der „Gesellschaft für radikale Philosophie“ veranstaltet wird.

Die Tagung setzt Veranstaltungen der Stiftung selbst und des Humanistischen Verbandes (HVD) fort, die im vorigen Jahr in Berlin und Nürnberg stattfanden.

Anliegen der Tagung

Neu an der nun konzipierten Tagung ist nicht nur die Partnerschaft des Nachdenkens (RLSt und HAD), sondern die Vorlage von Papieren, die der Debatte zugrunde liegen und über die mit renommierten Wissenschaftlern, erfahrenden Praktikern und hoffentlich vielen Gästen geredet werden soll mit dem Ziel, zu Kriterien für ein „Humanistisches Sozialwort“ zu kommen, das in der Zukunft das Sozialwort der beiden christlichen Kirchen zumindest ergänzt, aber sicher in einigen Aussagen auch kritisieren bzw. andere Aussagen treffen wird.

Um die nichtreligiösen Voraussetzungen eines Humanistischen Sozialworts überhaupt formulieren zu können, wird über Menschenbilder zu reden sein. Menschenbilder sind Aussagen über Ursprung, Sinn, Zweck, Zukunft und Beschaffenheit des Menschen und über die Gesellschaft, in der Menschen leben. Sie äußern sich nicht allein in sinnlich wahrnehmbaren Bildern, wie häufig vereinfachend angenommen wird, sondern vorwiegend in Theorien, Meinungen, Programmen – und v.a. in sozialen Handlungen und politischen Entscheidungen. In diesen Kontexten spiegeln sich weltanschauliche und religiöse Positionen auf oft verdeckte Weise.

Humanistische – bewusst von Menschen ausgehende und auf sie sich direkt beziehende – Menschenbilder sind heute in säkularen Gesellschaften weiter verbreitet als kirchlich intendierte Analysen glauben machen. Sie sind aber oft nicht als solche kenntlich, schon wegen des Mangels akademischer Institutionen, die sich ihrer annehmen. Oftmals setzen sie selbst fehl deutende Zeichen, als seien sie in erster Linie gewonnen aus Abgrenzungen zu christlichen, die zweifellos und wesentlich die „abendländische“ Kultur ebenfalls prägen.
Diese oft aus freidenkerisch-kirchenkämpferischer Vergangenheit ererbten Annahmen verdecken ihre vielfältigen Quellen und ihren wahren Kern. Sie sind nämlich vor allem Ergebnisse nachdenkenden Bezugs auf „alle Verhältnisse ..., in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtetes Wesen ist" (Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie). Zwar ist dieser „kategorische Imperativ“ säkular, aber nicht jeder Blick und jede Antwort auf solche Verhältnisse ist dies ebenfalls – und schon gar nicht notwendig für ein auf Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit gerichtetes Handeln.

Aktuelle und ideologisch stark aufgeladene Diskurse werfen derzeit Fragen nach den Menschenbildern auf. Sie sind Teil eines politisch-strategischen Zusammenhangs, der in der Öffentlichkeit ungenügend als solcher verstanden wird, obwohl gerade hier – stellvertretend für das Ganze – Grundsatzhaltungen artikuliert werden.

An erster Stelle ist hier die Werte-Debatte zu nennen, die auch als Debatte über Tugenden geführt wird und sich aktuell auf Folgen für Jugendstrafrecht zuspitzt, ganz in der konservativen Tradition: Wegsperren, was die Folgen sind, aber die Ursache so belassen, die zu diesen Folgen geführt haben.

Der Kontakt dieses Diskurses zur Sozialpolitik wird immer wieder verdeckt – bewusst aus politischem Kalkül oder der Sensationen wegen, die Nachrichten besser verkaufen lässt. Sozialpolitik wiederum ist Umsetzung von Menschenbildern in haushaltspolitische Konsequenzen und bürokratisches wie verwalterisches Handeln. In Wahlkämpfen in weniger als in ruhigeren Zeiten die Rede von „Sozialschmarotzern“ in den „Unterschichten“ (im „Prekariat“ durch „Hartz-IV-Missbrauch“). Den Höhepunkt markierte hier Ende Juni 2006 der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck: „Das Menschenbild, das wir hatten, war vielleicht zu positiv“, sagte er. Nach seiner Schätzung – vor zwei Jahren – nutzen fünf Prozent aller Hartz-IV-Empfänger die Leistungen aus. Was ist daran negativ?

Welche Bilder von Menschen kommen in den Werte-Debatten um „Neue Armut und soziale Gerechtigkeit“ zum Ausdruck und sagen wem, wie sie leben oder leben sollen? Welche Menschenbilder bewegen Linke, ob sie der so genannten Partei angehören oder sich linksliberal verstehen? Solchen Fragen will die Tagung nachgehen.

Texte zur Tagung

Den Tagungsteilnehmern und der Öffentlichkeit liegen, wie oben angedeutet, mit dieser Ankündigung im hpd drei Texte vor (s. PDF's Brangsch, Groschopp, Wolf im Anhang). Dr. Lutz Brangsch, Bereichsleiter Politische Bildung der RLSt, stellt seine Thesen unter die Überschrift „Nicht an Armut und Ausgrenzung gewöhnen ... Hartz IV und Wertedebatte: Menschenbilder in der Sozialpolitik“. Er vertritt die These, dass der „Akzeptanzverlust einer Politik brutalen Sozialabbaus“ derzeit eine große Rolle spielt, weil einerseits versucht werde, „tradierten Wertevorstellungen (wieder) gerecht zu werden, gleichzeitig aber auch, eigene Wertvorstellungen in der Gesellschaft zu verankern.
Vor dem Hintergrund der relativ guten Konjunktur könnte eine Situation entstehen, in der der Wertewandel in der Gesellschaft, der sich gerade im Verhältnis zu Armut, Gerechtigkeit und Solidarität darstellt, aus der Aufmerksamkeit gerät.“ Es geht ihm sozusagen um die ständige Erinnerung (und Maßnahmen dazu) das Thema Armut und soziale Gerechtigkeit und mit ihm diejenigen, die davon betroffen sind, nicht abzukoppeln.

Mein Text, der dem noch nicht erschienenen dritten Band der Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Bayern bei alibri entlehnt ist, versucht die Frage zu beantworten, was dazu geführt hat und was es bedeutet, dass der organisierte Humanismus in der Gegenwart die „soziale Frage“ neu entdeckt, was auch eine Antwort auf die Frage ist, ob sie schon vorher in seinen Reihen und wann und durch wen entdeckt war mit welchen Folgen. Eine Rolle spielt dabei das komplizierte Verhältnis der Freidenker zu diesem Thema und der „Humanistengemeinden“ zur sozialistischen Arbeiterbewegung und umgekehrt – hier setzte August Bebels Verdikt gegen die ethischen Humanisten und deren „Humanitätsduselei“ sicher eine Zäsur, deren Folgen heute noch nachwirken.

Prof. Frieder Otto Wolf wiederum unternimmt den ganz praktischen Versuch, Überlegungen zu Leitlinien einer humanistischen sozialen Praxis und Politik des Humanistischen Verbandes anzubieten. „Weltweit, auch in Deutschland hat die Armut in den letzten Jahrzehnten zugenommen – während gleichzeitig einige Reiche immer reicher wurden. Es ist ein Skandal, zu dem wir Stellung nehmen müssen – oder zugeben, dass wir zu zentralen Fragen unserer Zeit einfach nichts zu sagen haben. Die Formulierung eines Humanistischen Sozialwortes könnte ein Anfang sein.“

Das Programm und die Referenten

Das Programm, (s. PDF Flyer im Anhang), ist so konzipiert, dass ausgehend von den Thesen Frieder Otto Wolfs verschiedene Zugänge diskutiert werden können, die diejenigen schlauer machen, die sich an ein solches Sozialwort wagen. Da bot es sich v.a. an, an Referenten zu denken, die historisch und kulturwissenschaftlich argumentieren, um herauszufinden, ob nicht auf die Neue Armut mit alten Menschenbildern reagiert wird und wie die kulturellen Werturteile zu qualifizieren sind, die über Prekarität, Unterschicht und Ausgrenzung getroffen werden. Prof. Dr. Dieter Kramer (Wien) hat gerade maßgeblich an der Kultur-Enquete des Deutschen Bundestages mitgearbeitet und sitzt an einer Studie über Ausschließung von Kultur durch Armut. Prof. Dr. Dietrich Mühlberg (Berlin) hat zur historischen Arbeiterkultur geforscht und kann aus diesen Stoffen heraus Grundsätzliches sagen.

In einem zweiten Abschnitt geht es um „Erfahrungen im Umgang mit Armut und praktischen Hinweise an 'Sozialworte'“. Andrea Käthner leitet den inzwischen großen Bereich Gesundheit und Soziales des HVD Berlin und Dr. Viola Schubert-Lehnhart (Halle/Sa.) hat über soziale und genderspezifische Fragen gearbeitet. Leider musste Dr. Bettina Musiolek von der Evangelischen Akademie Sachsen kurzfristig aus wichtigen familiären Gründen absagen. Die Veranstalter bemühen sich um eine/n anderen Referenten aus dem kirchlichen Umfeld.

Abgeschlossen werden soll die Veranstaltung mit einem Diskurs über „Humanismus und politische Gesellschaftsmodelle“ – und zwar mit einem kritischen Rekurs auf Staats- wie Alternativmodelle durch Christian Brütt (HU Berlin), Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des „Netzwerks Grundeinkommen“ und Prof. Christa Luft, ihr Buch „Wendeland“ löste jüngst einige Diskussionen aus, die sicher auch auf der Tagung angemessen reflektiert werden.

Anmeldung

Die Anmeldung kann direkt hier über die Rosa-Luxemburg-Stiftung oder die Humanistische Akademie Deutschland erfolgen oder mit Hilfe des angehängten Flyers (s. PDF im Anhang). Über beide Adressen sind auch Nachfragen möglich.
Zudem besteht die Absicht, einen Tagungsband mit den Beiträgen und weiteren Texten zum Thema herauszugeben.

Horst Groschopp