„...und irgendetwas gab es immer nicht.“

HausfrontWolken.jpg

Hausfront / Fotos (c) Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Ein Weg durch die Jahre: 20 Jahre Mauerfall – ein Grund, Menschen zu treffen, mit ihnen zu sprechen. Hier das vierte Gespräch: Über Alltag, Selbstbewusstsein und das Zuhause. Berlin Mitte, Leipziger Straße. Wir treffen Dieter Schumann. Seit 1978 arbeitet er hier erst als Elektriker, 1989 wurde er Hausmeister, ist es auch heute noch.

Damit ist er der dienstälteste Hausmeister in diesem Gebäudekomplex aus sechs Häusern. Von dem Wandel, den er in diesen 31 Jahren erlebt hat, berichtet er. Die Häuser hier waren damals im Besitz des "Dienstleistungsamtes für ausländische Diplomaten" der DDR und die Wohnungen waren reserviert für Diplomaten, ausländische Journalisten, Handelsvertretungen und frei für nur einige DDR-Bürger. Man kann von hier aus direkt auf die Häuser der Kochstraße und das Springer-Hochhaus gegenüber sehen. Wenige hundert Meter entfernt trennte die parallel verlaufende Mauer die beiden deutschen Staaten und drei bis vier Gehminuten entfernt befand sich der ehemalige Grenzübergang ‚Checkpoint Charly’.

hpd: „Herr Schumann, hier, an der Leipziger Strasse in Sichtweite der ehemaligen Grenze haben Sie gearbeitet. Konnte jeder Mensch hierher kommen oder bedurfte es einer Sondererlaubnis?“

Dieter Schumann: „Die Leipziger Straße war hier vor dem Mauerfall offen, für jeden zugänglich und kein gesperrtes Gebiet. Im Gegenteil, es war ein beliebter Anziehungspunkt. Gegenüber gab es einen Feinkostladen mit speziellem Warenangebot: Es wurden Südfrüchte angeboten, spezielle Wurst, Kaviar, Marmelade, Käse, Artikel eben, die es in der Republik so nicht zu kaufen gab. Und so kam es, dass Leute aus Halle, Magdeburg und so weiter hier ankamen, um dann in kleineren Mengen auch für ihre Freunde einzukaufen. Ein Stück weiter Richtung Potsdamer Platz gab es den „Dacia“, ein Geschäft für PKW-Ersatzteile. Berlin wurde generell bei der Warenlieferung bevorzugt bedient. Der Gendarmenmarkt ist nur zwei Minuten entfernt und war immer belebt.“

Beispielbild
Gendarmenmarkt, 1986 und 2009

 

Hinein geborgen wurde Dieter Schumann 1952 in den Arbeiter- und Bauernstaat. Eine glückliche Kindheit, die der mit seinen Eltern in Altglienicke erlebte, eher am ländlichen Rand von Berlin. Auch 1961, also der Mauerbau, war nicht weiter erschütternd. „Man konnte dann eben einfach nicht mehr mal so ’rüberfahren’“. Dafür gab es andere Pflichten. FDJ- und Pionier-Treffen störten offensichtlich eher seine individuelle Entwicklung.
Unruhe, Unzufriedenheit? Das Leben war gut. Schwierig war es, Wohnungen zu bekommen, die waren eher Ehepaaren vorbehalten. Die DDR hatte ihre Wohnungsbauprogramme an den Stadtrand verlegt, zum Beispiel nach Marzahn und Hohenschönhausen.

„Meine Frau und ich haben nicht wegen der Wohnung geheiratet, sondern weil wir uns lieb hatten und so ist es immer noch; eine Wohnung haben wir dann eben auch noch bekommen. Allerdings nach einigen Jahren Wartezeit. Wir haben dafür gearbeitet und Geld bezahlt, aber dann hatten wir eine 2-Raum Wohnung. Die war nicht so glücklich vom Architekten geplant, aber wir hatten alles – uns, eine Wohnung und Arbeit.“

Reisen? – Ja, als Jugendlicher war Dieter Schumann schon in Polen. Einfach war es nicht, die DDR ließ 30 Mark pro Tag als Reisegeld und Umtausch zu. Das war mit Benzin, Übernachtung und Essen sehr wenig. So war Reisen für ihn, damals Mitte 20, und seine junge Frau erst einmal abgetan.

Die Tschechoslowakei mit Prag war dann doch wieder einmal ein Reiseland. Politisch ist ihm zu der Zeit nichts Besonderes aufgefallen. Alle paar Jahre gab es eine Reise vom FDGB. „Da war ich sehr enttäuscht und hatte es mir doch anders vorgestellt.“ Als er gefragt wurde, ob er Genosse werden wolle, wusste er nicht, wozu das gut sein sollte. Erarbeitet hatte er sich alles selber und brauchte niemandem für irgendetwas danke schön zu sagen.

„Wann kam bei Ihnen erstmals an, dass andere politische Veränderungen suchten?“

„So richtig ist mir das aufgefallen, als Künstler ausgereist sind. Manfred Krug zum Beispiel. Da habe ich mir schon überlegt, warum will der denn weg? Der hat hier doch eine gute Anerkennung und Einbindung, hat gut Geld verdient…“

„Wer hat Ausreiseanträge gestellt und sind auch Menschen ausgereist, die Sie kannten?“

„Ein Schulfreund hat den Antrag gestellt, sein Vater war in West-Berlin. Ich hatte den Eindruck, viele sind rüber gegangen, um besser zu leben, vielleicht auch um zu Reisen und eben die Meinung frei zu sagen. Hier konnte man ja nur der staatlichen Vorgabe zunicken oder gar nichts sagen.

„Gab es Gründe für die DDR-Bürger auch stolz zu sein?“

„Na, ja, natürlich konnte man zum Beispiel auf die Erfolge bei der Olympiade stolz sein. Es ist ja erst später festgestellt worden, dass gedopt wurde. Wir hatten den Eindruck, die trainieren fleißig, die arbeiten fleißig, es waren ja freigestellte Sportler. Der Sport war ihre Arbeit. Sie waren meist der Polizei oder der Armee zugestellt. Wie später die Erkenntnis mit den Dopingmitteln herauskam, war es eben nicht mehr so schön.“

„Hätten Sie gerne etwas an der DDR geändert? Wären Sie beispielsweise einem der Politiker als Freund zu Hause begegnet, hätten Sie ihm sagen können, Du hör mal, ich …“

„Klar, hätte ich das …“


„ ... und was hätten Sie ihm gesagt?“

„Reisefreiheit, wär’s gewesen, die hätte ich mir gewünscht. Die meisten Menschen sind aus der DDR nicht raus gekommen oder doch nur in bestimmte sozialistische Länder. Nur ganz wenig Menschen durften nach Jugoslawien oder Cuba. Bulgarien, da war die Reise sehr teuer, da musste man erst mal 5.000 Ost-Mark haben, um 14 Tage ans Schwarze Meer zu fahren und das ist schon eine ganze Menge.“

Beispielbild
Verlauf der Mauer in Berlin-Mitte

 

„Sind Sie der Ansicht, dass die fehlende Reisefreiheit einen Schritt zur Auflösung des Staat darstellte?“

„Ich denke ja. In den späteren Jahren vor der Wende durften die Ungarn alle zwei Jahre ins westliche Ausland fahren und haben von ihrem Staat begrenzte Devisen bekommen. Die Polen durften fahren, die Jugoslawen sowie so. Ja, ich denke schon, dass in der Reise-Unfreiheit ein wesentlicher Grund zu suchen war.“

„Wann ging es Ihres Erachtens los, dass die Bürger deutlich gemacht haben, dass sie so nicht mehr wollten und die Regierung dieses auch erkannte? Ist ihnen eine Zäsur in Erinnerung?“

„1968. Der Einmarsch der DDR in die Tschechoslowakei. Das haben die Tschechen nicht so gern gesehen und waren schon sauer auf die DDR und uns Bürgern war das verständlich.“