(Wider)natürlich?!

IMG_3637_2.JPG

Thomas Junker. Foto: Fiona Lorenz

TRIER. (hpd) Thomas Junker, Professor für Geschichte der Biowissenschaften an der Universität Tübingen, referierte an der Trierer Universität über „Homosexualität im Lichte der Evolution“ und widmete sich den Fragen, ob Homosexualität widernatürlich oder natürlich ist, in welchem Zusammenhang Fortpflanzung und Sexualität stehen sowie welche Relevanz der Naturbegriff überhaupt in diesem Zusammenhang hat.

Das Schwulenreferat des Asta hatte im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe Homosella das GBS-Beiratsmitglied zum Vortrag geladen – mit großem Erfolg, denn der Seminarraum war gefüllt bis in die hinterste Ecke, das Publikum lauschte gebannt den Ausführungen Junkers.
 

Unterschiedliche Einstellungen je nach Epoche

Homosexualität aus der Biologie heraus erklären zu wollen, sei noch vor einiger Zeit als Biologismus verschrien worden, begann Junker seinen Vortrag. Die Idee, dass Homosexualität nicht natürlich sei, sei auch heute noch extrem weit verbreitet. Er habe während der Vorbereitung auf den Vortrag darüber nachgedacht, ob ihm neben den Politikern Wowereit und Westerwelle auch ein bekennend schwuler Wirtschaftsboss einfalle, doch sei ihm dies nicht geglückt.

Zurückzuführen sei diese Zurückhaltung vermutlich auf christliche Traditionen und Junker verweist auf den Katechismus der katholischen Kirche, nach dem homosexuelle Handlungen angeblich gegen das Gesetz verstießen, da Sexualität allein der Weitergabe des Lebens beim Geschlechtsakt dienen solle. Diese Haltung habe sich zum Teil auch in der Verhaltensforschung niedergeschlagen. Irenäus Eibl-Eibesfeldt zum Beispiel sah Homosexualität als „Perversion“, die das Geschlechtsleben betrifft. Anders bewertete dies jedoch Marquis de Sade, der 1795 den Standpunkt vertrat, jede Neigung sei von der Natur eingegeben. Deshalb ein unglückliches Individuum zum Tode zu verurteilen, sah de Sade als „Barbarei, ein Wahnsinn“.

Immer wieder zeigte Junker in seiner Präsentation Bilder bekannter homosexueller Männer, wie Achilles und Patroklos, Alexander den Großen, Leonard Bernstein oder Klaus Mann und verwies darauf, dass sich der Umgang mit Homosexualität grundlegend geändert habe: In der Antike seien Homosexuelle stolze Angehörige der Krieger-Kaste gewesen, heute müssten sich ebendiese verstecken.

Evolutionsbiologische Perspektiven

Biologische Thesen zur Entstehung von Homosexualität sehen vorgeburtliche hormonelle Einflüsse, Lernerfahrungen oder Prägungen – die berüchtigte „Verführungstheorie“ –, wie auch genetische Dispositionen als Ursachen. So scheinen tatsächlich genetische Effekte die sexuelle Orientierung bei Männern zu 34-39 Prozent zu erklären (bei Frauen sind dies nur 18-19 Prozent), der Rest ließe sich auf Umwelteinflüsse zurückführen.

Um die evolutionsbiologische Forschung auf den Punkt zu bringen, stellte Thomas Junker drei Fragen:

  1. Wie eng ist die Verbindung von Sexualität und Fortpflanzung, d.h. gibt es
    a) Fortpflanzung ohne Sexualität (ja: bei Pflanzen und Bettwanzen) und
    b) warum gibt es Sexualität ohne Fortpflanzung?
  2. Unter welchen Bedingungen ist Homosexualität eine biologische Anpassung?
  3. Ist natürliches Verhalten notwendigerweise gut und erstrebenswert?

Der „Darwinsche Imperativ“ besagt, dass der Zweck der Lebewesen in der Fortpflanzung besteht, da es ohne Fortpflanzung kein Leben gäbe. Daneben stellte Junker Darwins „Nützlichkeitstheorie“ vor, nach der jede Einzelheit in der Struktur eines Lebewesens für einen Vorfahren einen besonderen Nutzen hatte. Worin besteht also der biologische Nutzen von Homosexualität? Sie könnte, so Junker, ein (nachteiliger) Nebeneffekt eines nützlichen Merkmals sein oder aber selbst nützlich sein, das heißt, Homosexualität könnte den Fortpflanzungserfolg der Individuen erhöhen.

Aus biologischer Sicht ist die persönliche Fortpflanzung weniger wichtig als es die effektive Verbreitung der Gene ist. Eine Alternative besteht in der reproduktiven Arbeitsteilung, wie man sie bei Bienen und Ameisen findet – letztere stellen eine der größten lebenden Biomassen. Bei diesen Insekten reproduziert sich eine Königin, Hunderttausende bis Millionen der mit ihr verwandten Arbeiterinnen sind steril. Dabei spiele die „kin selection“, die Verwandtenselektion, eine wichtige Rolle, da die eigenen Gene auch in den Verwandten Nichten, Neffen und Enkelkindern anteilig vorhanden und daher unterstützenswert sind. So dass sich, so Junker, zwei unterschiedliche Strategien entwickelt hätten: die direkte Fortpflanzung und die indirekte Fortpflanzung. Bei Säugetieren findet sich die indirekte Fortpflanzung etwa bei den Nacktmullen – und bei den Menschen.

Sexuelle Handlungen als sozialer Kitt

Seit ca. zwei Millionen Jahren, während der Phase als Jäger und Sammler, haben sich die meisten charakteristischen Eigenschaften des Menschen herausgebildet, denn erst vor ca. 10.000 Jahren entstanden größere Ansiedlungen und Zivilisation. Die kleine, bewegliche Gruppe von 30-150 Personen war überwiegend miteinander verwandt. Nun sind Menschen ambivalente soziale Wesen, die sowohl miteinander um Nahrung, Sexualpartner und den sozialen Rang konkurrieren, zugleich aber aufeinander angewiesen sind.

Um also die (sexuelle) Konkurrenz abzuschwächen, müssen positive soziale Beziehungen unter den Männern und unter den Frauen möglich werden. Dieser soziale Kitt schlägt sich in explizitem (homosexuellem) Sex sowie latentem (homo-) erotischem Verhalten nieder. Damit gewinnt Sexualität – neben der Fortpflanzung – eine zusätzliche, wichtige Funktion. Junker schließt daraus auch, es sei zu erwarten, dass die Mehrzahl der Menschen eine bisexuelle Anlage habe.

Darüber hinaus haben Menschen weitaus häufiger Geschlechtsverkehr als es nachvollziehbar ausschließlich der Fortpflanzung dienen könnte. Zudem haben Frauen einen versteckten Eisprung, so dass niemals klar ist, ob sie während des Geschlechtsverkehrs schwanger werden können. Der häufige Sex dient laut Junker der Paarbindung und diese wiederum sei wegen der bei Menschen extrem aufwändigen Sorge um den Nachwuchs notwendig. Auch sei der Geschlechtsverkehr selbst, der bei Menschen in der Regel mehr als zehn Sekunden (wie bei manch anderen Primaten wie Schimpansen und Gorillas) dauere, sondern vielmehr einige Zeit beanspruche, eine biologisch sinnvolle Erweiterung des Werbeverhaltens. Denn der Geschlechtsverkehr stelle somit nicht das Ende, sondern eine weitere, besonders intensive Phase des Werbeverhaltens dar.

Ist natürlich gleich gut?

Die Gleichsetzung von natürlich mit „gut“ sei eine religiöse Überzeugung, keine wissenschaftliche Ansicht, meint Junker. Laut Darwin existiere keine Identität von natürlich und gut, ganz im Gegenteil. Als Beispiele führt der Referent Aggressionen gegenüber Fremden, sexuelle Gewalt, die Vernachlässigung von Stiefkindern an und gibt zu bedenken, dass diese Handlungen biologische Anpassungen darstellten, die durchaus erklärbar seien. Aber „gut“ seien sie deshalb nicht, sondern unethisch.

Religion sieht Thomas Junker grundsätzlich als einen Haupthemmschuh für das Ausleben und das "Verteufeln" von Sexualität. Wer sich der Produktion von (religiösen) Untertanen entziehe, werde verfolgt: Homophobie als machtpolitisches Kalkül.

Zum Abschluss des Vortrags, der eine angeregte Diskussion folgte, zieht Junker das Fazit: „Die Behauptung, Homosexualität sei widernatürlich, widerspricht biologischen Erkenntnissen.“

Fiona Lorenz

Den Vortrag kann man hier hören inklusive interessanter Informationen über "Paarungsknäuel" bei Fußballern