Die Verteidiger der Willensfreiheit
Die Idee der Willensunfreiheit, in geringerem Maße auch die des Kompatibilismus, ist provokativ, oder wird jedenfalls gemeinhin so aufgefasst. Richard Dawkins einzige ausführlichere Stellungnahme zum Thema, Let's all stop beating Basil's car, wurde zwar auf Edge.org veröffentlicht, aber nicht in den zugehörigen Sammelband aufgenommen. Wenn sogar die provokativsten Intellektuellen der Welt eine Idee für dermaßen gefährlich halten, sie nicht abzudrucken, dann riecht es wirklich nach Schwefel. Was also ist der nicht-kausale (wirklich freie) freie Wille überhaupt, den Gläubige und einige Geisteswissenschaftler so eifrig verteidigen?
Ich unterteile die Position der Libertarier in zwei Variationen:
Religiöser Libertarianismus:
Ein allmächtiger Diktator, der außerhalb der Welt existiert, befiehlt uns, freie Entscheidungen zu treffen.
Weichen unsere freien Entscheidungen von den Vorstellungen dieses Diktators ab, wirft er uns nach unserem Tod in die Hölle, wo wir auf ewig gebrutzelt werden.
Philosophischer Libertarianismus:
Unser Gehirn ermöglicht uns, freie Entscheidungen zu treffen.
Beide Positionen haben gemein, dass man sie gar nicht verstehen kann. Um die Worte des Philosophen Richard Carrier zu gebrauchen, ist die Idee des freien Willens nach Libertarier-Art "logisch inkonsistent und somit logisch unmöglich".
Hier die gemeinsame Definition des nicht-kausalen freien Willens, den christliche und philosophische Libertarier verteidigen:
Einen freien Willen zu besitzen, bedeutet, dass wir uns unter identischen Bedingungen anders entscheiden könnten, als wir es tun. Die exakt gleichen Ursachen können also ganz unterschiedliche, unvorhersehbare Folgen haben, falls Ereignisse überhaupt von Ursachen abhängen.
Ye good olde free will
Wie John Locke und David Hume bin ich Kompatibilist. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den Positionen von klassischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten ziemlich unklar, weshalb ich sie im Folgenden neu mit Inhalt füllen werde. Die kompatibilistische Version des freien Willens ist praktisch das, was Michael Schmidt-Salomon "Handlungsfreiheit" nennt (wir sind frei, das zu tun, was wir wollen, aber nicht frei, das zu wollen, was wir wollen).
Da er und Clark ausufernde Schlussfolgerungen aus der Nichtexistenz des freien Willens ziehen und die psychologischen Konsequenzen ihres Konzeptes falsch einschätzen, was Kompatibilisten nicht mittragen (behaupte ich jetzt einfach), trenne ich im folgenden die Handlungsfreiheit (meiner Auffassung nach ist die Handlungsfreiheit identisch mit dem, was die meisten Menschen in der Regel "Willensfreiheit" nennen) von ihren Interpretationen und Konsequenzen laut MSS und Clark ab. Der Unterschied zwischen dem Kompatibilismus und dem Inkompatibilismus besteht demnach in den Schlussfolgerungen, die aus der Nichtexistenz der libertarischen Willensfreiheit und aus dem Determinismus gezogen werden.
In unserer Zeit vertritt zum Beispiel der naturalistische Philosoph Daniel Dennett die Position des Kompatibilismus, so auch Richard Carrier, Autor von "Sense and Goodness without God".
Hat ein roter Hering einen freien Willen?
Ein roter Hering ist ein Ablenkungsmanöver oder eine falsche Schlussfolgerung. Was so scheint, wie ein logischer Zusammenhang, ist tatsächlich keiner. Die angeblichen Folgen der inkompatibilistischen Willensunfreiheit, sowie die zugrundeliegenden Behauptungen von Hirnforschern über die angebliche Nichtexistenz eines "Ich", der Persönlichkeit und so weiter – sind genau das, ein roter Hering (gewiss kann man "Persönlichkeit" so definieren, dass sie nicht existiert, aber was gemeinhin unter "Persönlichkeit" verstanden wird, erscheint mir durchaus existent).
Zum Beispiel meinen Clark und MSS, dass eine Bestrafung von Tätern aus Rache nicht legitimiert werden könne, wenn man bedenkt, dass sie keine andere Wahl hatten. Schmidt-Salomon spricht etwa vom "blinden Instinkt der Rache" (siehe dazu auch S. 282 ff. in seinem Buch). Die Täter konnten nichts anderes tun, als das, was sie unter den gegebenen Bedingungen getan haben. Das sagen die Kompatibilisten zwar auch, aber:
Eine Bestrafung von Tätern aus bloßer Rache kann sowieso nicht legitimiert werden – gleichgültig, wie man zur Willensfreiheit steht. Rache hat gar nichts zu tun mit der Frage nach der Willensfreiheit. Hier wurden zwei voneinander unabhängige Fragen zu einer Einheit vermengt.
Das Gleiche gilt für die angeblichen Konsequenzen der Willensunfreiheit für die Bestrafung von Kriminellen. Wolf Singer sagt dazu:
"Und wenn sie zu gefährlich sind, werden wir sie weiterhin ihrer Freiheit berauben, um uns vor ihnen zu schützen. Aber ich denke, wir werden etwas nachsichtiger werden und in vielen Verbrechern das Opfer einer ungünstigen Konstellation von Genen, Entwicklungsfehlern, frühen Prägungen und so weiter sehen."
Inwiefern sollte aus der Willensfreiheit folgen, dass wir Kriminelle hart bestrafen müssen? Nehmen wir an, dass Menschen das wollen können, was sie wollen. Warum sollten wir sie nun härter bestrafen, als wenn dem nicht so wäre? Diese Logik ist doch von Anfang an schon fehlerhaft.
Der wirkliche Grund, warum Menschen die Bestrafung eines Täters aus Rache befürworten, oder eine unverhältnismäßig harte Bestrafung fordern, ist nicht ihr Glaube an den freien Willen des Täters, ihre Meinung, er hätte auch anders handeln können. Ihr tatsächlicher Grund lautet einfach, dass sie sich gut dabei fühlen, wenn ein Täter hart bestraft wird. Das tun sie, weil sich Vergeltung zur Regulierung des Sozialverhaltens von Tieren evolutionär durchgesetzt hat und sie damit zu unserer Programmierung gehört. Vergeltung diente der Abwehr unerwünschten Verhaltens und ein vages Verlangen danach gehört zu unseren ererbten Verhaltenstendenzen. Der freie Wille ist den Leuten im Grunde egal, er dient nur zur Legitimierung eines primitiven Instinktes, was eine neue Studie erwartungsgemäß bestätigt. Gewiss: Unser Rache-Instinkt ist viel zu grobschlächtig und muss durch die Vernunft gezähmt werden. Aber, wie schon gesagt, hat dieser Umstand rein gar nichts mit der Willensfreiheit zu tun.