Wege aus dem Labyrinth (1)

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Kaiserthermen Trier. Foto: Udo Ungar

(hpd) Kritik ist bekanntlich ein Geschenk – und zwar nicht nur, weil sie uns hilft, Denkirrtümer zu überwinden, sondern auch weil sie uns zeigt, wo wir uns möglicherweise unklar ausgedrückt haben. Andreas Müllers Kritik an meinem Buch „Jenseits von Gut und Böse“ ist ein Geschenk dieser zweiten Kategorie. Dafür bin ich ihm dankbar, denn so bietet sich mir die Gelegenheit, einige Aspekte des Themas genauer zu beleuchten. Eine Replik von Michael Schmidt-Salomon

Vorausschicken möchte ich, dass ich mich vor dem Abfassen dieser Replik intensiv darum bemüht habe, in AMs Ausführungen zur Willensfreiheitsdebatte Argumente zu finden, die ich in meinen Darlegungen irrtümlich übersehen haben könnte. Nun habe ich in der dreiteiligen Serie zwar einige treffliche Formulierungen und Beispiele entdeckt, aber leider (und dieses „leider“ ist hier nicht bloß eine rhetorische Floskel!) kein einziges weiterführendes Argument, das meine Überlegungen entkräften oder gar neue Perspektiven eröffnen könnte! Teilweise entsprechen AMs Argumente exakt jenen, die ich im Buch vorgebracht habe (obwohl Andreas Müller mitunter meint, dass sie im Widerspruch zu meiner Argumentation stehen würden), teilweise bringt er Argumente, die ich entweder als falsch verworfen oder bewusst ausgeblendet habe, da sie für die Lösung der anstehenden Probleme irrelevant sind.

Beginnen wir zunächst mit den offensichtlichen Gemeinsamkeiten: Andreas Müller geht wie ich von der naturalistischen Grundüberzeugung aus, dass es im Universum „mit rechten Dingen zugeht“, da sämtliche Wirkungen, die wir im Kosmos beobachten, auf natürliche Ursachen zurückgeführt werden können. Eine „Wirkung ohne Ursache“ wäre ein „Wunder“. Dergleichen soll es zwar „immer wieder“ geben – allerdings nur im Schlager oder in den Dokumenten der katholischen Heiligsprechungskommission, nicht jedoch in einer Weltsicht, die Wert darauf legt, wissenschaftliche Erkenntnisse angemessen zu berücksichtigen.

Da auch der menschliche Wille „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ kein „Wunder“ ist, sondern wie jedes andere natürliche Phänomen Ursachen unterliegt, kann es folglich auch keinen akausalen, d.h. ursachenfreien Willen geben. Die klassische (libertarische) Vorstellung des freien Willens ist bei genauerer Betrachtung sogar eine Denkunmöglichkeit, schließlich bedeutet Denken nicht zuletzt, Ursache-Wirkungsverhältnisse zu eruieren, was im Falle der klassischen Willensfreiheitsidee kategorisch ausgeschlossen wird. Auch in dieser Einschätzung sind AM und ich einer Meinung.

Die Freiheit, die wir meinen

Andreas Müller folgt sogar – und das ist angesichts des allgemeinen Stands der Debatte keine Selbstverständlichkeit! – der von mir vorgeschlagenen erweiterten Unterscheidung von Willensfreiheit und Handlungsfreiheit. Davon ausgehend hat er auch Recht, wenn er anmerkt, dass die bisherigen empirischen Untersuchungen zu den Folgen der Akzeptanz bzw. Nichtakzeptanz der Willensfreiheitsidee im Grunde etwas völlig anderes messen, nämlich die Folgen der Akzeptanz bzw. Nichtakzeptanz von Fatalismus (siehe hierzu auch den entsprechenden Hinweis in JvGuB, S. 338). Allerdings sollte man sich über dieses Faktum nicht sonderlich wundern und sich schon gar nicht über die vermeintlich uninformierten, empirischen Forscher mokieren, wie Andreas Müller dies tut. Denn ein nicht-fatalistischer Abschied von der Willensfreiheit ist nur unter der Voraussetzung möglich, dass man zwischen Willensfreiheit und interner/externer Handlungsfreiheit in etwa der Weise unterscheidet, wie ich es in „Jenseits von Gut und Böse“ vorgeschlagen habe. Allerdings ist diese spezielle Konzeption – anders als AM offenbar annimmt – keineswegs allgemein bekannt, geschweige denn allgemein akzeptiert! Insofern kann man es den empirischen Forschern überhaupt nicht verübeln, dass sie den Abschied von der Willensfreiheit auf eine Weise operationalisieren, die letztlich auf Fatalismus hinausläuft.

Um den sehr verbreiteten Fehlschluss „Abschied von der Willensfreiheit = Akzeptanz des Fatalismus“ zu vermeiden, habe ich in meinem Buch den Begriff der „internen Handlungsfreiheit“ eingeführt. Mit seiner Hilfe versuche ich, die realen, wertvollen Bestandteile der ansonsten irrealen und, wie ich meine, sogar schädlichen Idee der Willensfreiheit zu „retten“. Was bedeutet „innere Handlungsfreiheit“? Nun, es bedeutet, frei zu sein von inneren Zwängen (etwa Phobien), die uns daran hindern, das zu tun, was wir tun wollen. Würden wir mit der Idee der Willensfreiheit gleichzeitig auch das Konzept der inneren Handlungsfreiheit fallen lassen, so würden wir ein wesentliches Element menschlicher Freiheit übersehen, nämlich unsere (unter förderlichen kulturellen Bedingungen) durchaus beachtlichen Fähigkeiten zur autonomen Verhaltenssteuerung (vor allem das Abwägen von Gründen und die Antizipation der Folgen unterschiedlicher Handlungsoptionen).