12 Tage des Gedenkens

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GewandhausKinderchor / Fotos © Evelin Frerk

ISRAEL. (hpd) „.. und die Musik vom Leierkasten vergessen wir im Leben nie...“ Mit diesem Motto stellen sich Zeitzeuginnen aus dem Ghetto Theresienstadt den immer wieder kehrenden Fragen. Mit „The Girls of Room 28“ aus Theresienstadt vom 19. bis 30. Januar 2010 in Israel.


Ein Bericht von Evelin Frerk

Eine einzelne Frau fand mit ihrer Idee, ihrem mitreißendem Engagement, unbeirrbaren Überzeugungswillen und Arbeitseinsatz Gehör und fügte ihr individuelles und menschliches Projekt in einen großen Rahmen: Hannelore Brenner-Wonschick, mit dem Room 28 e.V.und room 28 project.

Zum 65. „Holocaust Memorial-Day“ (Woche des Gedenkens) berichteten auch die israelischen Zeitungen und ließen Netanyahu, Ban Ki-Moon, Obama auf einer weiteren Doppelseite zu Wort kommen. Die Rede von Peres im Deutschen Bundestag wurde ausführlich besprochen. „ ... never again (niemals wieder)“ schreibt „THE JERUSALEM Post“ auf ihren Titel.

Die Feierlichkeiten in Israel enden nun in dieser letzten Januar-Woche 2010 im Felicja Blumenthal Music Centre, Tel Aviv mit dem Konzert „Kabarett in Theresienstadt“ mit Winfried Radeke: Speziell in Berlin bekannt, gründete er 1977 die Neuköllner Oper und recherchierte seit den frühen 80-er Jahren nach Texten und Noten, um wieder auf die Bühne zu bringen, was musikalisch zur Zeit der Ghettos und in Theresienstadt entstanden und verschollen war. Er leitet sein Ensemble. Rezitation und Gesang: Maria Thomaschke und Andreas Jocksch aus Berlin.

Der Beginn war ein anderer: „Brundibár“, eine Oper für und von Kindern, von Hans Krása 1938 in Prag komponiert (1899 – 1944), in der Regie von Philipp J. Neumann, einstudiert in Berlin und in Tel Aviv galt es im Rahmen dieser Woche des Gedenkens aufzuführen. Der GewandhausKinderchor Leipzig mit Frank-Steffen Elster und der Moran Choir Beit Yitzhak, unter der Leitung von Naomi Faran, stellte einen würdigen Rahmen und Treffpunkt für angereiste und in Israel lebenden Zeitzeugen des Holocaust. Schirmherrin für eine deutsch-israelischen Gemeinschaftsproduktion wurde die deutsche Bundeskanzlerin.

In Rishon-LeZion, einer Stadt nahe bei Tel Aviv spielten und sangen beide Chöre gemeinsam mit jeweils 44 Kindern „Brundibàr“. Also 88 Kinder, „The Israel SymphonyOrchestra Rishon-LeZion mit 12 Musikern und drei Aufführungen an einem Tag (10.00, 12.00 und 20.30 Uhr). Das war eine besondere Leistung und die erreichte ein breites Publikum: Delegationen, Politiker, viele Kinder und Zeitzeugen, die zum Teil von ihren Töchtern, Söhnen oder Enkeln geleitet, wieder beschwerliche Wege, Treppen auf sich nahmen um diese Oper der und in Erinnerung zu erleben.

Es gab an diesem Tag keine freien Plätze. Am Abend in der dritten Reihe sitzt Ela Weissberger, sie, die damals in Theresienstadt im ‚Brundibàr’, so leidenschaftlich die Katze spielte. Aus den USA ist Ela angereist und trägt wie seit vielen Jahren den Judenstern aus dem Nazi-Deutschland und ein persönliches Schreiben des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton zum Holocaust bei sich. Neben ihr sitzen Helga Kinsky aus Wien mit ihrer Tochter Eva und Enkeltochter Sarah dann Evelina Merova aus Prag, Handa Dori, Vera Kreiner, Hanka Weingarten und Judith Schwarzbart aus Tel Aviv und Haifa.

Aufgerufen durch das musikalische Gastspiel der Chöre hatte sich „Room 28 e.V.“, mit Hannelore Brenner-Wonschick (Berlin) als Initiatorin im Rahmen von „room 28 projects“ angeschlossen.

Ebenso fügte sich aus dem sächsischen Oederan eine Initiative ein, die in dem dortigen Kultur- und Kunstverein entstanden ist. In der Jahreswende von 1944 auf 1945 wurde in Oederan die ehemalige Kabis Nähfadenfarik für 500 Frauen aus Österreich, Polen und der Tschechei zu einem Arbeitslager umfunktioniert. Aus diesem Lager gab es, so berichtet Eberhard Ohm, einem Gefängnis gleich kein Ausweichen. Drei Frauen starben in dieser kurzen Zeit. Ihre Gräber blieben namenlos. Der Wunsch aus Oederan nach Aufklärung fand einen Gleichklang mit israelischen Stellen: Eine würdevolle Grabanlage entstand. Darüber hinaus entwickelten sich Kontakte mit Überlebenden und wiederkehrende Treffen und auch jetzt, 2010 in Tel Aviv, in dieser Woche des Gedenkens.

So trafen die ehemals im Ghetto Theresienstadt, L 410 (L für die 4. Längsstraße, Haus 10) im Zimmer 28 festgehaltenen „Mädchen“ in Tel Aviv ein. Sie, die sich an ihr 1943 erstmals einander gegebenes Freundschafts-Versprechen halten – nämlich einander nie zu vergessen. Sie erweiterten es bei ihrem ersten Treffen nach Theresienstadt wieder in Freiheit und schworen sich, die Erinnerung wach zu halten an die Mädchen von Zimmer 28, die den Holocaust nicht überlebt haben. Sie schworen auch, den nachkommenden Generationen von ihnen zu berichten und ihre Namen zu nennen: Pavla Seiner, Olga Lövy, Eva Fischl, Irena Grünfeld, Muska Taub, Erika, Hanna Epstein, Ruth Schächter, Helena Mendl, Alice Sittig, Ruth Gutmann, Milka, Martha, Anna ...

Ja, es gab weitere Veranstaltungen.

Einen „Katzensprung“ von Tel Aviv entfernt fand in Herzlya, Partnerstadt von Leipzig, mit dem GewandhausKinderchor Leipzig und Markus Zugehör am Flügel, geführt von Frank-Steffen Elster ein weiterer Höhepunkt statt. In den Ansprachen stellten die Oberbürgermeister beider Städte die Normalität ihrer gegenwärtigen wie künftigen Zusammenarbeit vor, bei der die Infrastruktur eine gewichtige Rolle spielt.

Und das „Abendsingen“ der beiden Chöre und der „Mädchen“ in dem anfänglich gemeinsamen Hotel in Netanyan. Oder Beit Yitzak, ein Kibutz mit dem Singen der bekannten Lieder – und wieder Fragen und Antworten um zu verstehen....

Das Enav Center in Tel Aviv war offen für die Begegnung wiederum der Zeitzeugen mit allen Initiatoren, Freunden und Engagierten und Gastgebern, Grußworten, Sätzen und Gedanken aus den Aufzeichnungen der damals jungen Mädchen liest jetzt jeweils ein Mädchen aus dem Chor – daneben die erfahrene Frau, sie nimmt uns, die zuhören mit nach Theresienstadt aber ... nur für einen Moment. Der GewandhausKinderchor begleitet diesen Abend.

Das Goetheinstitut in Tel Avi lud zu einer Lesung in deutscher Sprache aus den Tagebüchern, Poesie-Alben und aufgeschriebenen Erinnerungen der damals 11 bis 13-jährigen Mädchen ein. Evelina, Helga, Hannelore lesen. Maria liest und singt.

Evelina: „Vergiß nicht, was wir zusammen erlebt haben, wie wir gesungen und geträumt haben. Und die Konzerte mit Bastik! – Was schön war im Heim sollst Du nie vergessen. Mach’s gut, ärgere nicht Deine Mutti. Es küsst Dich Deine Maria Mühstein.“

Maria: „Der Mensch ist auf der Welt, Gutes zu tun. Wer sich nicht daran hält, hat kein Recht, ein Mensch zu sein. Wenn Du die Bestimmungen des Menschen auf Erden erfüllen willst, richte Dich danach und lebe nach den Prinzipien, nach denen uns Tella erzogen hat. Überlege im Zweifelsfalle, was sie gemacht hätte. Ich glaube, das sie der makelloseste Mensch ist. Eva Lindt

Hannelore: „Anfang 1943 lebten etwa 5.000 Kinder im „Ghetto“ – ein Euphemismus, eine Beschönigung und Verschleierung für das, was eigentlich ein Konzentrationslager war – und ein Durchgangslager in den Tod. Konzentrationslager für 140.000 Menschen, Durchgangslager in den Tod für 88.000 Menschen, darunter mehr als 14.000 Kinder. Endstation und Sterbeort für 33.500 Menschen.
Das Mädchenheim L 410 bot Unterkunft für Mädchen. Sie waren nach Jahrgängen geordnet, in die Zimmer aufgeteilt – jeweils 30 qm für 30 Kinder. Jedes Zimmer hatte eine Hauptbetreuerin – im Zimmer 28 war es Ella Pollak genannt Tella. Ihr zur Seite stand die um einige Jahre jüngere Eva Weiss.

Helga: „2. April 1943 - Dieser Tag ist voll von Freude! Die Deutschen erleiden lauter Verluste. Heute Nachmittag bin ich in ein anderes Stockbett, neben Ella Stein umgezogen ... Gestern haben wir unsere erste Sitzung abgehalten. Da es im Heim schrecklich war, fangen wir von neuem an, gerade so, als wären wir eben angekommen. Wir werden sozusagen ein Parlament haben. Die Betreuerinnen sind die Minister, dann kommen die Abgeordneten in zwei Klassen .... Das Oberhaus ist der „Maagal“. Im Maagal sind die Mädchen vertreten, die zuvorkommend sind, freundlich und fleißig ....

Maria: "Durch Theresienstadt ziehen Nachrichten, genauer gesagt: Bonkes, Gerüchte, dass ein Transport von 5.000 Leuten in Vorbereitung ist. In den Straßen, Kasernen und Heimen herrscht eine angespannte Atmosphäre. Leider – diesmal ist es die traurige Wahrheit. .... Am Nachmittag bekam Zdenka die Einberufung. Wir dachten, dass sie weinen wird. Doch Zdenka hielt sich tapfer. Am Abend kam dann die Einberufung für Pavla und Olile.

Evelina: „Niemals. Seid tapfer. Wir denken immer an euch.

Helga: "Leb wohl. Pavla. Du weißt, nach dem Krieg: Olbramavice, die Nummer eins."

Evelina: „Wir treffen uns am ersten Sonntag nach dem Krieg auf dem Altstädter Ring vor dem alten Glockenturm.

Helga und Evelina: „Du glaubst mir, ich glaube dir. Du weißt, was ich weiß. Was immer kommen mag. Du verrätst mich nicht. Ich verrate Dich nicht.

Helga: "Mittwoch, 22. September 1943. Ela und ich sind wie zwei Schwestern. Wir teilen uns alles, auch den Quark und den Pfeffer. Gerne möchte ich eine Antwort bekommen: Was ist nichts? Aber Nichts existiert doch gar nicht! Aber eine totale Leere gibt es ja auch nicht – alles enthält etwas. Und dann möchte ich gerne wissen: Wie kann sich ein Mensch im Geiste die Unendlichkeit vorstellen – zum Beispiel eine unendliche Linie oder das unendliche Universum? Warum gibt es gerade auf der Erde Lebewesen? Hat das die Natur gemacht oder gibt es doch etwas Höheres? Wer beantwortet mir das und wem kann ich glauben? Ich möchte, dass sich der Traum der Menschen erfüllt, in Frieden zu leben ...

Fragmente ihrer Sätze

Szenen des unerwarteten Wiedersehens, wie auch lang vorbereitete Verabredungen, laufen diszipliniert und eng nebeneinander ab. Fragmente ihrer Sätze steigen auf, dringen an mein Ohr und das der anderen, beleben die Vergangenheit, hallen weiter in den Raum: „Hans Krása...“, „Gideon Klein...“, „Rafael Schächter ...“ , „Friedl Brandeis...“ , „Fredy Hirsch...“, „Ilse Weber ....“ immer wieder „Auschwitz ...“, „Theresienstadt...“, „Bergen-Belsen ....“, „Polen ...“, „Rumänien...“, „ ... der Film kehrt zu mir zurück, immer wieder. Ich sehe mich und kann nicht fassen, das ich es bin“, so zieht Judith Rosenzweig die Brücke zu ihrer Gegenwart. Geboren wurde sie 1930 in Brünn, März 1942 mit 12 Jahren deportiert nach Theresienstadt, dann Bergen-Belsen. Sie lebt in Israel.

Die Kinder des Moran Choir sind wieder zu Hause in Beit Yitzhak. Der Flieger mit dem GewandhausKinderchor ist in Leipzig gelandet. Tränen gab es und einen langen Abschied von den Freunden. Musizieren verbindet und nicht alle werden sich wieder sehen. Doch die „Mädchen“ verabschieden sich wie bei jedem Treffen mit „See you again.“

 

                Ela Weissberger                                          Helga Kinsky

 
 
             Evelina Landova                                           Handa Drori

                     Edith Kraus, Gaby Flatow                                  Vera Kreiner

                        Judith Rosenzweig                                     Hannelore Brenner-Wonschick

 

Room 28 e. V. begleitete alle Veranstaltungen mit 23 großformatigen Tafeln die, ins Englische übersetzt, die Dokumente wiedergeben. Dazu stand eine hebräische Übersetzung zur Verfügung sowie von Hannelore Brenner-Wonschick „Die Mädchen von Zimmer 28, Freundschaft, Hoffnung und Überleben in Theresienstadt“, Porträts, private Zeugnisse, amtliche Dokumente. Gebunden, 383 Seiten, Aufbau-Verlag, ISBN 978-3-351-02663-9, Euro 19,95 €.