BERLIN. (hpd) In den vergangenen Wochen wurde viel über sexuellen Missbrauch und Prügelstrafen in kirchlichen Heimen und Internaten gesprochen. Nun melden sich die Betroffenen selbst zu Wort: Am 15. April wollen sie mit einer Demonstration in Berlin auf ihre Anliegen aufmerksam machen.
Sie wurden misshandelt, missbraucht, vergewaltigt, zu Zwangsarbeit herangezogen, seelisch zu Grunde gerichtet. Doch über Jahrzehnte hinweg lag ein Mantel des Schweigens über den Verbrechen, die an Heimkindern in Deutschland begangen wurden. Dies änderte sich erst, als die skandalösen Bedingungen der Heimerziehung in Irland aufgedeckt wurden. Nach dem erfolgreichen, irischen Protest formierte sich auch in Deutschland eine immer stärker werdende Heimkinder-Bewegung, die auf die systematischen Menschenrechtsverletzungen vor allem in den 1950er und 1960er Jahren hinwies. Der gesellschaftliche Druck war letztlich so groß, dass der Deutsche Bundestag einen „Runden Tisch Heimerziehung“ einrichtete, der im Januar 2010 einen ersten Zwischenbericht vorlegte. Allerdings stieß dieser Bericht bei den Heimkindern auf scharfe Kritik. Vor allem wurde bemängelt, dass in dem Text peinlich vermieden wurde, von „Zwangsarbeit“ und „Menschenrechtsverletzung“ zu sprechen. Dies nämlich hätte einen juristischen Anspruch auf Entschädigung begründen können, was die kirchlichen und staatlichen Vertreter am Runden Tisch offenbar vermeiden wollten.
„Es ist an der Zeit, Klartext zu reden!“
Mit der Demonstration in Berlin will die „Freie Initiative ehemaliger Heimkinder“, ein Zusammenschluss verschiedener Heimkinderorganisationen und Einzelpersonen, den wachsenden Unmut über die Hinhaltetaktik von Staat und Kirche zum Ausdruck bringen. Dabei ist der Tag der Demonstration nicht zufällig gewählt, denn just an jenem Donnerstag, dem 15. April, werden die Vertreter des „Runden Tischs Heimerziehung“ in Berlin wieder zusammentreffen. Nach den Erfahrungen der letzten Monate haben sich die ehemaligen Heimkinder dazu entschlossen, den Weg der offenen Konfrontation zu gehen. Dies belegt auch ein Blick auf die Website zur Berliner Demo, die nicht nur mit kämpferischen Aussagen, sondern auch mit provokativen Karikaturen aufwartet.
„Es ist an der Zeit, Klartext zu reden!“, erklärt die Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder (VeH), Monika Tschapek-Güntner. „Über Jahrzehnte hinweg wurden die Verbrechen an uns entweder geleugnet oder verharmlost. Das muss jetzt ein Ende haben! Wir werden kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, auch wenn das einigen Vertretern von Staat und Kirche nicht gefallen wird!“ Bei den Materialien zur Demo, die auf jetzt-reden-wir.org zum Download bereitgestellt werden, fällt auf, dass vor allem Kirchenvertreter in den Fokus der Kritik geraten. Zeigt sich hier der Einfluss der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung, die den Heimkinder-Organisationen zur Seite steht? „Aber nein!“, wehrt Tschapek-Güntner ab. „Michael Schmidt-Salomon, der Vorstandssprecher der Stiftung, hat sogar versucht, uns in dieser Hinsicht zu bremsen. Doch die Wut über das, was uns widerfahren ist, muss einfach raus! Und es waren nun einmal überwiegend Kirchenvertreter, die uns das Leben zur Hölle machten! Die Nonnen waren dabei keinen Deut besser als die Pater oder Priester!“
Nie wieder schwarze Pädagogik!“
Im Zentrum der Heimkinder-Kritik stehen allerdings nicht Einzelpersonen, sondern das „System Heimerziehung“, das dazu führte, dass so viele Erzieherinnen und Erzieher jegliches Mitgefühl gegenüber den ihnen anvertrauten Kindern vermissen ließen. „Diese Menschen hatten in der Kirche gelernt, dass man Kinder züchtigen müsse. Entsprechend haben sie sich uns gegenüber verhalten!“, sagt die VeH-Vorsitzende. „Es gab nur sehr wenige, die dem sozialen Druck widerstanden und liebevoll mit uns umgingen.“
Mit der Berliner Demonstration, die mit einer Abschlusskundgebung vor dem Brandenburger Tor enden wird, verfolgen die ehemaligen Heimkinder nicht nur das Ziel, auf das erlittene Unrecht in der Vergangenheit hinzuweisen. Ebenso wichtig ist ihnen, zu verhindern, dass derartiges Unrecht wieder geschieht. Hier hoffen die Heimkinder auf breite gesellschaftliche Unterstützung: „Unsere Forderung lautet: Nie wieder Missbrauch in Heimen und Internaten! Nie wieder schwarze Pädagogik!“, erläutert Tschapek-Güntner. „Das sind Anliegen, die viele Menschen in unserer Gesellschaft teilen. Deshalb hoffen wir, dass sich unserem Protest nicht nur ehemalige Heimkinder anschließen werden, sondern auch Bürgerinnen und Bürger, die das Glück hatten, außerhalb von Heimen aufzuwachsen. Für uns Heimkinder sind solche Zeichen der Solidarität von besonderer Bedeutung: Schließlich hat uns diese Gesellschaft einst völlig im Stich gelassen! Es wäre schön, wenn wir heute im Zuge unserer Protestaktionen feststellen könnten, dass sich dies geändert hat…“
Anhang:
Bild: "Nie wieder!"
Bild: "Stopp!"
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