Das Turiner Grabtuch: Fragen und Antworten

Hinzu kam kürzlich ein weiteres Indiz gegen die Echtheit (Mail Online, 16.12.2009; National Geographic News, 17.12.2009). Der Archäologe Shimon Gibson vom W. F. Albright Institute of Archaeological Research (Jerusalem) fand letztes Jahr in einer Grabstelle Reste eines Grabtuches. Die Radiokarbondatierung ergab eine Entstehungszeit von zwischen 1 und 50 n.u.Z. Gibson zufolge handelt es sich um den ersten derartigen Fund in mehr als 1000 Grabstellen aus dieser Zeit. Der Archäologe Amos Kloner von der Bar-Ilan-Universität (Ramat Gan, Israel) spricht nach dieser Entdeckung von nunmehr zwei Textilfunden aus dieser Zeit, die beide in der Webart von der des Turiner Tuches abweichen. Erneut wurde bestätigt, dass komplexere Webarten, wie das Fischgratmuster des Turiner Tuches, aus dem 1. Jahrhundert unbekannt sind. Gibson fügte hinzu, dass die Maße des Turiner Tuchs nur schwerlich zu den Begräbnisriten des 1. Jahrhunderts passen, was das neu gefundene echte Grabtuch bestätigt habe.

4. Ist aber das Turiner Tuch nicht eine beeindruckende Bestätigung der Ostergeschichte?

Zunächst ist festzuhalten, dass es keine auch nur annähernd authentische nichtchristliche Primär-Quelle zum Leben Jesu gibt. Hinzu kommt, dass selbst die Texte des Neuen Testaments auch im Verständnis vieler Theologen historisch bezüglich der Geburts- und Ostergeschichten unzuverlässig und widersprüchlich sind. Die frühen Episteln zum Beispiel, aber nicht nur von Paulus, sagen nichts Konkretes über die historischen Umstände der Kreuzigung aus. Für die Autoren der frühen Episteln steht die Theologie der Kreuzigung und Auferstehung im Mittelpunkt. Der historische Kontext ist irrelevant. Paulus gibt an, dass Christus direkt durch ihn spreche, erwähnt nirgends, dass er von anderen über den historischen Jesus erfahren habe. In allen neutestamentarischen Büchern, die vor der breiten Verfügbarkeit der Evangelien geschrieben wurden, fehlen Angaben über eine Kreuzigung in Jerusalem, weder Pilatus noch Judas werden erwähnt. Paulus selbst zeigt bei seinen Besuchen in Jerusalem kein Interesse am Hinrichtungsort oder an Jesu Grabstelle, obwohl die Kreuzigung keine 25 Jahre zuvor erfolgt sein soll.

Die Evangelien und die Apostelgeschichte machen zwar konkrete Angaben zu den Umständen von Kreuzigung und Auferstehung. Ihre Angaben weichen jedoch erheblich voneinander ab und sind zum Teil unvereinbar. Während beispielsweise bei Matthäus Judas zunächst das Blutgeld an die Hohenpriester zurückgibt und sich anschließend erhängt (Mt 27, 3-8), kauft er sich laut der Apostelgeschichte ein Grundstück, wonach „er vornüber zu Boden (stürzte), sein Leib barst auseinander und alle Eingeweide fielen heraus“ (Apg 1,18-19). Beim Synoptiker Markus sehen bei der Kreuzigung „einige Frauen (…) von weitem zu, darunter Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, sowie Salome“ (Mk 15, 40), während bei Johannes „seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala“ beim Kreuz stehen und er zu seiner Mutter, die bei Johannes nirgends Maria genannt wird sagt, sie solle den Jünger, den er liebte, als Sohn annehmen (Joh 19, 25-27). Bei Matthäus erscheint Jesus den Jüngern in Jerusalem, während dies in den anderen Evangelien in Galiläa geschieht. Ebenso gibt es Diskrepanzen darüber, wer zuerst ins Grab geht. Bei Johannes ist es Petrus, In allen anderen Evangelien gehen die Frauen als erstes hinein. Während sie bei Markus niemandem davon erzählen („Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.“, Mk 16, 8), verändern sowohl Matthäus als auch Lukas die Erzählung: „Und sie gingen wieder weg vom Grab und verkündigten das alles den elf Jüngern und den andern allen.“ (Lk 24, 9)

Pilatus übergibt „einem reichen Mann aus Arimathäa namens Josef“ den Leichnam, dieser „hüllte ihn in ein reines Leinentuch“ (Mt 27, 57-60). In 27, 53 fügt Matthäus hinzu, dass bereits zuvor viele Heilige nach seiner Auferstehung ihre Gräber verlassen hatten. Hier folgt Matthäus weitgehend der Beschreibung von Markus, wobei er das letztere Detail hinzufügt. Lukas folgt ebenfalls Markus, lässt aber die Geschichte mit den Heiligen weg. Die Übereinstimmung hinsichtlich des vornehmen bzw. reichen „Mann(es) aus Arimäthäa namens Josef“ ist darauf zurückzuführen, dass die Texte von Matthäus und Lukas zu weiten Teilen fast wörtlich mit Markus identisch sind. Heute besteht weitgehender Konsens darüber, dass Matthäus und Lukas diese Teile von Markus übernommen haben. Johannes weicht hier insofern ab, als ein seinem Text Josef und Nikodemus aktiv werden: „Sie nahmen den Leichnam Jesu und umwickelten ihn mit Leinenbinden, zusammen mit den wohlriechenden Salben, wie es beim jüdischen Begräbnis Sitte ist.“ (Joh 19, 39) – diese Schilderung passt nicht zum Turiner Tuch. Dennoch zeigt das Leinen andere spezielle Merkmale, die Johannes als Einziger erwähnt. Nur dort „zerschlugen sie ihm die Beine nicht“ [Joh 19, 39], und nur hier stießen die Soldaten „mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floß Blut und Wasser heraus“ (Joh 19, 39).

Diese Details des Tuches, gezielt aus bestimmten Evangelien entnommen, geben zusätzlichen Anlass zum Zweifel, insbesondere weil Johannes als jüngstes Evangelium (2. Jahrhundert) in historischer Hinsicht als am wenigsten zuverlässig gilt. Dass im Tuch gerade auf Details aus dem Johannes-Evangelium Bezug genommen wird, spricht dafür, dass der Text dem Künstler als Vorlage gedient hat.

Amardeo Sarma

 

Mit freundlicher Genehmigung der GWUP
 

Grabtuch Christi durch alte Technologie reproduziert (6.10.2009)

GWUP: Zum Turiner Grabtuch (6.10.2009)