Lourdes – Der Film von Jessica Hausner

Das Glück der Frauen

„Lourdes“ ist kein Film über göttliche „Wunder und deren begrenzte Haltbarkeit“. Es ist ein Film über das irdische Leben, das irdische Glück und dessen begrenzte Haltbarkeit. Gott spielt keine Hauptrolle, nicht mal eine Nebenrolle wie im übrigen die wenigen Männer im Film. Dieser Film ist der Film einer Frau über eine Frau an einem einer Frau geweihten Ort, in dem – von der Muttergottes angefangen - überwiegend Frauen alles Wesentliche bestimmen, organisieren, regeln. Mit die einzigen Farbtupfer in den ansonsten eher düsteren Bildern sind die leuchtend roten Jacken der fütternden, tragenden und betenden Frauen aus dem Malteserorden, wie ein roter Faden durch den ganzen Film.

Es sind die Frauen, die Bedeutung haben und sich den Kranken, Verzweifelten und Einsamen widmen. Aber es sind auch die Frauen, die sich den wenigen gesunden Männern nähern, sich wohl nach ihnen sehnen, im Zusammensein oder Zusammenleben mit ihnen ihr irdisches Glück sehen. Da geht’s der vielleicht geheilten Christine genauso wie der jungen, gesunden Maria. Dem Rollstuhl soeben entkommen ist ihr erster Gang zum Spiegel, wo sie die halblangen Haare löst, die Ohrringe anlegt und sich dann als ganze Frau strahlend lächelnd in den Wettbewerb um den schmucken Kuno begibt. In diesem Augenblick körperlich ganz gesund und ganz Frau scheint sie ihn für sich zu gewinnen. Sie kann träumen, lachen und in seinen Armen tanzen. Als sie beim Tanz stolpert und aus seinen Armen fällt verschwindet Kuno zögerlich, aber ganz aus der für die Zuschauer sichtbaren Tanzfläche, die das irdische Glück bedeuten. Frau Hartl schiebt stumm den Rollstuhl hinein, und mit den Zuschauern lauscht Christine, noch stehend, aber bewegungslos, dem singenden Alleinunterhalter auf der Bühne.

Das irdische Glück – so gewonnen, so zerronnen? Ach so...Wunder, Heilung oder gar Gott habe ich den ganzen Film über nirgends gesehen!

Die Frohe Botschaft

„Lourdes“ wird als Film u.a. für die Medienarbeit in den Erzbistümern Freiburg und Köln angeboten. Scheinbar interpretieren ihn die dort Verantwortlichen als sinnvoll verwertbar in ihrer Missionsarbeit. Wer den Film wirklich gesehen hat, kommt wirklich nicht umhin, sich das zu fragen.

„Lourdes“ begleitet ein Stück weit eine sichtlich nicht wirklich gläubige Frau auf ihrer Suche nach höchst persönlichem irdischen Glück. In diesem Leben zunächst einmal schwerstkrank, vom Hals abwärts gelähmt und dadurch irgendwie auch vereinsamt, hat die Hauptdarstellerin Christine kaum eine Chance, einen sie liebenden Lebenspartner für ein erfülltes, in ihren Augen sinnvolles Leben zu finden. In dem Moment, da sie nicht mehr gelähmt ist, sich schön machen, bewegen und tanzen kann, kann sie am Wettbewerb aller Frauen um die Gunst aller Männer teilnehmen. Und tut dies auch, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, durchaus sichtbar erfolgreich. Als ihr Sturz auf der real existierenden Tanzfläche, die das Leben bedeutet, sie – zumindest in diesem Augenblick - wieder aus diesem Wettbewerb wirft, bleibt sie am Ende des Films nachdenklich und scheinbar ewig am Rande des Bildes stehen. Die Kamera ruht irgendwie endlos auf ihrem bewegungslosen Gesicht, zum skurril anmutenden Gesang von „Felicita“ als Duett zwischen einem abgeklärten Alleinunterhalter und der deutlich falsch singenden jungen Betreuerin Maria – das passend über das Ende des Films hinaus mitgesungen wird.

Aber nur ein Narr kann an dieser Stelle auf die Antwort warten, dass der nächste Mann, dem sie sich bei ihrer Sinnsuche zuwenden wird, Gott sein wird. Wirklich wahrscheinlicher ist alles andere...

Assunta Tammelleo