Entstehung des Antisemitismus in der Antike

(hpd) Peter Schäfer, der als Professor für Judaistik an der Universität Princeton lehrt, will in seiner Studie „Judenhass und Judenfurcht“ die historische Wurzel für den Antisemitismus im antiken Ägypten der Zeit um das dritte Jahrhundert vor der Zeitrechnung ausmachen.

So beachtenswert Darstellung und Einschätzung der jeweiligen historischen Ereignisse sind, so fehlt es gegen Ende doch an einer abgerundeten Einschätzung mit trennscharfen Kriterien.

 

Lässt sich der Antisemitismus aus einer verzerrten Wahrnehmung der Juden erklären? Oder handelte es sich dabei nur um den ideologischen Ausdruck für politische Konflikte? Oder sollten nicht eher beide Perspektiven in einem Wechselverhältnis zueinander zur Analyse genutzt werden? Und schließlich: Kann man schon für die Antike von Antisemitismus im heutigen Sinne sprechen? Diese Fragen motivierten Peter Schäfer, der als Professor für Judaistik an der Universität Princeton lehrt, zu seiner Abhandlung „Judenhass und Judenfurcht. Die Entstehung des Antisemitismus in der Antike“. In ihrem Zentrum steht die Analyse von zwei Ereignissen in der Antike: die Zerstörung des jüdischen Tempels in der ägyptischen Militärsiedlung auf der Nilinsel Elephantine 410 vor und die Ausschreitungen gegen Juden in der griechischen Stadt Alexandria 38 nach der Zeitrechnung. Beide Ereignisse, so Schäfer, demonstrierten die bedeutenden Strukturen und Ursachen des Antisemitismus im seinerzeitigen Kontext.

Die Studie gliedert sich in drei große Teile: Zunächst geht es um die Hauptmotive und -themen in der griechisch-römischen Literatur der Antike in Bezug auf Juden und Judentum, wobei neben dem Monotheismus der Juden Aspekte wie die Enthaltung von Schweinefleisch, die Feier des Sabbat als Ruhetag, die Beschneidung als religiös legitimierter Brauch und die Frage der jüdischen Missionsabsicht im Zentrum stehen. Danach findet sich ein Überblick über die historische Quellenlage zu den beiden genannten historischen Vorfällen, die bezüglich der Fragestellung der Arbeit als herausragende Ereignisse gelten. Der Autor will dabei übrigens keine neuen Erkenntnisse präsentieren, beabsichtigt er doch nur eine Deutung in anderer Perspektive. Und schließlich geht es um die konkreten historisch-politischen „Konfliktherde“ Syrien-Palästina, Ägypten und Rom, welche hinsichtlich ihrer Bedeutung als „Geburtsstätte“ des Antisemitismus untersucht werden. Und schließlich fragt Schäfer nach der Angemessenheit des spezifischen Ausdrucks „Antisemitismus“ für die Antike.

Dessen Ursprung sei im hellenistischen Ägypten um 300 vor der Zeitrechnung auszumachen. Gleichwohl habe es einer griechischen Nacherzählung der alten ägyptischen Vorurteile und des griechischen Anspruchs auf eine weltweite Kultur bedurft, damit Antijudaismus in Antisemitismus umschlagen konnte. „Aber da diese griechische Nacherzählung nur in Ägypten möglich war, die spezifische Art von Hass der ägyptischen Priester auf diese spezifische Gruppe von Fremden zur Voraussetzung hatte und da sie das erste Mal unmissverständlich von dem ägyptischen Priester Manetho ausformuliert wurde, könnte man durchaus sagen, dass der Antisemitismus in Ägypten entstanden ist und nur dort entstehen konnte. Wenn der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit/des Menschenhasses der Kern des ‚Antisemitismus’ ist, dann kann dieser mindestens bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. (Manetho und wahrscheinlich schon Hekataios) zurückverfolgt werden, wobei gewisse Wurzeln in der älteren ägyptischen Tradition liegen“ (S. 298).

Schäfers Studie zum Antisemitismus in der Antike kommt das Verdienst zu, nach den historischen Wurzeln dieser besonderen Form einer Feindschaft gegen Menschen einer bestimmten sozialen Gruppe gefragt zu haben. Doch so interessant die Aufarbeitung des Wissens um seinerzeitige Konflikte und Umbrüche ist, so mangelt es der Studie doch an der entsprechenden analytischen Klarheit. Hierzu hätte es der Entwicklung eindeutigerer Kategorien bedurft, welche den Konflikt der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft mit der jüdischen Minderheit klarer identifizierbar machen. Ging es allgemein um eine Auseinandersetzung zwischen Gruppen mit Unterschieden in religiöser Ausrichtung oder im sozialen Status? Oder bildete sich bereits eine besondere ideologische Form der Abwertung und Feinderklärung heraus. Die benannten Aspekte „Fremdenfeindlichkeit“, „Menschenhass“ und „Verschwörungsdenken“ könnten dazu als besondere Kriterien dienen. Schäfer hätte gerade diesen Gesichtspunkt gegen Ende aber klarer und trennschärfer herausarbeiten müssen.

Armin Pfahl-Traughber

Peter Schäfer, Judenhass und Judenfurcht. Die Entstehung des Antisemitismus in der Antike, Frankfurt/M. 2010 (Verlag der Weltreligionen), 443 S., 26,80