1. Mai - Keine Chance für Nazis in Berlin

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Demonstrantinnen / Foto: Susan Navissi

BERLIN. (hpd) Dem Aufruf des breiten Bündnisses „1. Mai – Nazifrei“, getragen von Gewerkschaften, Parteien, Organisationen, Initiativen, Antifa-Gruppen und Einzelpersonen folgten mehr als 10.000 Berlinerinnen und Berliner sowie extra Angereiste aus dem Umland.

Anlass war ein angekündigter Naziaufmarsch durch den Prenzlauer Berg, zu dem nach ihren eigenen Angaben etwa 3.000 TeilnehmerInnen erwartet wurden. Wie sich herausstellte – eine maßlose Selbstüberschätzung. Nicht nur, dass weitaus weniger erschienen als angenommen, sondern diese erreichten ihren Treffpunkt durch die Proteste erst viel später oder gar nicht. Einzelne Nazis sahen sich dadurch sogar gezwungen, eine spontane ungenehmigte Notdemonstration auf dem Kurfürstendamm abzuhalten, bei der sie aber schon nach kurzer Zeit von der Polizei sofort festgesetzt wurden.

Gut organisiert und vor allem engagiert waren hingegen die AntifaschistInnenen, die sich laut, deutlich und schließlich erfolgreich gegen den Aufmarsch der Neonazis wehrten. An allen wichtigen Punkten rund um die Demonstrationen wurden Sitzblockaden errichtet, so dass sich der Aufmarsch ca. 5 Stunden später nur sehr schleppend in Gang setzte und schließlich an der Schönhauser Allee nach knapp 600 Metern, statt geplanten 6 Kilometern, zur Umkehr gezwungen wurde. Was für ein weiteres erfreuliches Debakel für die Nazis nach Dresden.

Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestages und MdB für DIE LINKE war sichtlich empört über den Naziaufmarsch, zeigte sich aber höchst erfreut über die Reaktionen der zahlreichen BerlinerInnen, die sich an den Blockaden beteiligten.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sagte: «Die Bürger haben das gute Recht, ihre Straße gegen Missbrauch zu verteidigen.» Herr Thierse kam nur mit Mühe und guten Worten durch die Polizeiabsperrungen an unserem Blockadepunkt 3, um dann zu jener Sitzblockade zu gelangen, bei der er von den Einsatzkräften der Polizei weggetragen wurde. Viele Andere wurden leider an der Ausübung ihrer Versammlungsfreiheit, d. h. am Erreichen selbst genehmigter Kundgebungen von der Polizei be- bzw. gehindert. In Spiegel Online ist zu lesen, dass Herr Thierse wegen der Teilnahme an der Sitzblockade mit juristischen Konsequenzen rechnen muss.

Das erfolgreiche Blockadekonzept von Dresden 2010 bewährte sich also auch in Berlin. Die Bürgerinnen und Bürger haben damit deutlich gezeigt, dass rechte Parolen und faschistisches Gedankengut auch in Berlin nicht geduldet werden.

Gleichzeitig sorgten in anderen Städten wie Rostock, Erfurt, Schweinfurt und Würzburg mehrere tausend Menschen mit Blockaden ebenso dafür, dass die Nazis ihre Aufmärsche nicht wie geplant durchführen konnten.

 

 

Impressionen

Die PolizistInnen, in voller Montur, offenbarten nicht unbedingt Gesprächsbereitschaft, wenn auch zwei von ihnen so freundlich waren, z. B. Fahrräder aus der abgesperrten Zone zu uns zu hieven. Eine Beamtin, die sich durch eine gelbe Weste mit dem Aufdruck ‚Konfliktteam’ als Ansprechpartnerin zu erkennen gab, bestand meiner Bekannten gegenüber vehement auf das Recht der Neonazis auf diesen Aufmarsch. Ihr Kollege dagegen äußerte dagegen zumindest, dass er persönlich nicht unbedingt für einen Aufmarsch der Rechten sei, jedoch nach eigenen Angaben seine Anweisungen erfüllen müsse.

Übermotivierte BlockadeteilnehmerInnen, die mehr als nur protestieren wollten, gab es nur vereinzelt und die von ihnen gewählten Aktionsformen des Widerstandes gegen diesen Naziaufmarsch wurden von der großen Mehrheit nicht übergreifend geteilt oder unterstützt. Es wäre meinem Erachten nach auch einfach sinnlos und unnütz gewesen, die Energie, die dem Protest gegen den Naziaufmarsch galt, an den Polizeieinsatzkräften abzuarbeiten.

Links von mir saß während der tatsächlichen Blockade (ab ca. 15:30 Uhr) ein junger Mann, der mit seinen Eltern 1991 während des Golfkrieges aus Israel nach Deutschland eingewandert war. Er sagte, er müsse einfach teilnehmen. Er sagte auch, seine Eltern würden vor Sorge um ihn sterben, wenn sie es wüssten. Rechts von mir saß jemand, der uns während der Sitzblockade mit Twittermeldungen über den Verlauf des Naziaufmarsches sowie der parallel zu unserer Blockade stattfindenden Gegenaktivitäten versorgte.

An einem Fenster über der Absperrung, die dem Schutz des Aufmarsches dienen sollte, hatten AnwohnerInnen Schilder an das Fensterbrett geklebt, auf denen einerseits Kaffee und Tee für den Frieden angeboten wurden und andererseits geschrieben stand: Staatsschutz für Nazis / Schämt euch! Aus diesem Fenster wurden wir neben der LKW-Bühne ebenfalls mit Musik versorgt, so z.B. der von Nosliw, der durch seine hervorragenden Songtexte eine feste Größe in der Musikszene weit über Berlin hinaus geworden ist.

Wirklich beeindruckt war ich jedoch von folgender Szene: Die PolizistInnen sind immer mal wieder in kleineren Gruppen in das TeilnehmerInnenfeld der potentiellen Blockade, d. h. in den von ihnen selbst abgesperrten Bereich hineingekommen, eingedrungen – was viele als reine Provokation empfanden. Bei einer dieser Aktionen hatten sie sich an einer kleinen Nebenstraße aufgestellt. Als ich mit der Kamera hinterherlief, sah ich, dass die ganze Straße voller junger GegendemonstrantInnen war, die auf uns zu liefen, Fahnen schwenkten und „1. Mai – Nazifrei“ sowie auf Italienisch oder Spanisch „Alerta, Alerta Antifascista“ riefen. Die PolizistInnen gingen zur Seite (warum hatten sie sich überhaupt erst so aufgestellt?) und ließen sie passieren. Ich war hingerissen von der Energie und Fröhlichkeit der jungen Menschen. Der Widerstand an dieser Stelle war nicht aggressiv, er war wahrhaftig und voller Kraft. Er erinnerte mich an die jungen Leute in den Straßen und an den Unis in Teheran und anderen Städten, die sich genauso kreativ und lautstark zur Wehr setzen, nur in ihrem Falle gegen eine Form von totalitärem System, das die Rechte der und des Einzelnen permanent missachtet.

Es war für mich eine starke emotionale Erfahrung, ein Teil dieser Blockade zu sein und daran mitzuwirken, damit sich deutsche Geschichte nicht wiederholen kann und den Nazis kein Fußbreit überlassen wird - nicht an diesem ersten Mai und hoffentlich auch an keinem anderen. Und das, weil Menschen wie die OrganisatorInnen und UnterstützerInnen von Bündnissen wie „1.Mai – Nazifrei“ ihre Möglichkeiten nutzen, um Widerstand gegen Nazis zu leisten. Danke.

Susan Navissi

 

Dazu gibt es ein Video auf youtube.com

 

Dresden stellt sich quer (14.2.2010)

Regensburger sitzen Nazi Demo aus (5.10.2009)