Im feindlichen Berlin

(hpd) Erst den letzten Seiten ist zu entnehmen, dass dieses Buch eines aus einer ganzen Reihe, ja, eines ganzen Kunst- und Kultur-Imperiums ist. Es gibt Webseiten, Fanseiten ... eine ganze kleine Welt voller verrückter Geschichten um „Hartmut und ich“. Das nicht zu wissen schadet allerdings nicht, wenn man dieses Buch liest. Es ist voller skurriler Einfälle und Menschen.

Zwei befreundete Pärchen stranden im Berlin der Jetzt-Zeit. Allerdings sind die Gesetze, die diese literarisch verfremdete deutsche Hauptstadt und das gesamte Land prägen, ein klein wenig anders als sie uns hier und heute bekannt sind. Und so abgedreht uns vielleicht ein Мoralministerium vorkommen mag: Wir sind davon weit weniger entfernt, als wir uns das wünschen. Denn die Gesetze dieses Ministeriums sind die unverschleierte Quintessenz dessen, was uns die derzeitige (und auch vermutlich jede andere) Regierung anbieten würden, würden sie können, wie sie wollten.

Strafen, nein: Steuern für Rap-Songs, in denen die Zustände der Gesellschaft benannt werden. Integration von Ausländern mittels „Prügelerlaubnis“ - gestaffelt nach Herkunftsland und sozialem Hintergrund. Eine Ökoindustrie, die mehr Schaden anrichtet als sie nutzt. Das Vorschreiben, von welcher Art das Essen, die Bekleidung und Anderes zu sein hat ... All das ist das Moralministerium. Orwell lässt grüßen.

Es gibt auch einen Hieb gegen den Überwachungsstaat: Im BürgerVZ muss jeder Bürger eine öffentliche Akte über sich führen. Wer sich weigert, über den wird diese vom „freundlichen Nachbarn“ angelegt. Und Gesetze und Verordnungen, die von einem Tag auf den anderen ohne demokratische Mitbestimmungen erlassen werden, müssen von den Bewohnern des Landes beim BürgerVZ gelesen werden. Wer das nicht tut und somit gegen Gesetze verstößt ... hat Pech gehabt. So wie die vier Protagonisten des Buches. Diese Aussteiger, Alt-68er, Revoluzzer und sympathischen Pechvögel haben das BürgerVZ zwar erfunden. Aber das war eine boshaft-zynische Idee. Die Freundschaft der vier zerbricht daran. (Wie genau soll Jeder selbst erlesen.)

Was ist das also für ein Buch? Ein moderner Schelmenroman? Ein Abgesang auf eine als freier empfundene Vergangenheit? Ein Spiegelbild der wahnsinnig gewordenen Stadt Berlin? Eine bitterböse Gesellschaftskritik? Eine Dystopie? Es ist alles. Und zudem voller Witz, einer schnellen Sprache und etlicher dermaßen charakteristischer Figuren, dass ich meine, sie zu kennen.

Ach so; weshalb das Review beim hpd erscheint? Weil auf der Rückseite „Jenseits von Gut und Böse“ steht. Und auch das hat einen Hintergrund. Denn es gibt ein Interview, das O. Uschmann mit M. Schmidt-Salomon geführt hat. Ob das nun Zufall oder Absicht ist mit dem Titel, vermag ich nicht zu sagen. Aber so wie Schmidt-Salomon im gleichnamigen Buch den Beweis antritt, dass wir mit den bisherigen Moralbegriffen in der modernen Zeit nicht überleben werden, zeigt Uschmann, wie diese Zukunft aussehen könnte.

FN

 

Oliver Uschmann – Feindesland: Hartmut und ich in Berlin, Scherz Verlag, 2010, ISBN 978-3502110491, 14,95 Euro

Der Link zur „Hartmut-und-ich“-Welt
Ein Review beim hpd zum ersten Buch der Reihe: „Wandelgermanen“