ASCHEBERG-HERBERN. In der kommenden Woche wird ein Buch in den Vertrieb gehen, vor dem Nichtsahnende sich in Acht nehmen sollten.
Von Oliver Uschmann wird ein dritter Roman veröffentlicht: „Wandelgermanen" oder: „Hartmut und ich stehen im Wald".
Der Verlag versucht den potentiellen Käufer / Leser mit einer Reihe von Fragen neugierig zu machen: „Darf man eine Bochumer Männer-WG aufs Land verlegen? Kann man die Liebe einer Frau durch ein unrenoviertes Bad verlieren? Sind Luftatmer bessere Menschen? Dürfen Dorfgemeinschaften ihre Füße pflegen? Sollen junge Menschen sich im Wald ertüchtigen?"
Was den Leser tatsächlich erwartet – und zumindest den Rezensenten an das Buch „gefesselt" hat (und nur davor sollen potentielle Leser, die meinen, keine Zeit zu haben, gewarnt sein) – ist ein Panoptikum aus deutschen Landen, bei der man manches Mal nicht mehr weiß, ist es eine groteske Parodie oder die unerbittliche Realität, die so krass und radikal beschrieben wird, dass man laut Lachen muss oder das Lachen einem auch im Hals stecken bleibt, sei es vor Vergnügen oder virtuellem Entsetzen.
Der Autor Uschmann sieht sich selbst in der Linie der „Hamburger Schule". Dort habe man Ende der 1990er ein Dogma fürs Schreiben erfunden, das u.a. wertende Adjektive, verbrauchte Metaphern und zu lange Sätze verbot. Dazu bemerkt der Autor in trefflicher Unbescheidenheit: „Heraus kam eine Literatur zwischen Lakonie und Groteske, Zynismus und cartooneskem Witz, Hysterie und Avantgarde."
Er sieht sich selber als Teil einer "Post-Pop-Literatur" bei der ein Schwerpunkt in der kulturellen Heterogenität liegt. „Hier wird gleichermaßen Maffay und Schönberg gehört, definiert man sich nicht über einen bestimmten Lifestyle, sondern definiert ihn selbst." (Nils Vollert) „Der Blick aufs Ungewaschene, auf leere Bierflaschen und Pizzaschachteln gelingt hier mit jenem Blick aufs eigene Geschlecht, der kein Männerbuch, sondern ein Buch über männliches Verhalten ergibt." (Martin Büsser).
Programm ist die Hui-Welt
Das Vorhaben ist für den Autor klar formuliert: „Und wenn Du Dich genau umsiehst, kann es sein, dass es uns gelingt, Dich auf die Reise zu schicken, für die man nicht mal den Stuhl verlassen muss: Das Gefühl, dieselbe Welt etwas anders zu sehen. Mit den Augen der Hui-Welt." Es gelingt.
Neben der ersten Rahmenhandlung und Frage: Kommen die beiden Frauen wieder zurück? und der zweiten Rahmenhandlung und Frage: Kann man eine komplette Bruchbude, die man bei ebay für 8.000 Euro als Haus gekauft hat, bewohnbar und komfortabel wieder herrichten? – sind Glaubenssysteme verschiedenster Provenienz das Thema: Neuheidentum, Kettenraucher, Naturromatiker, Baumärkte, Anti-Amerikanismus, Computerspiele, Bürokratismus, paramilitärische Waldfrontler, naive Ökologie und vieles andere mehr, sowie ein Restaurateur mit seinen 12 Helfern.
Der Roman, dem (Zitat) „kein Gag zu blöd" ist und der „Baumarkt-Deutsch" liebt, ist vollgepackt mit einer Vielzahl von Situationen, Ereignissen und Menschen, denen man eigentlich nicht freiwillig begegnen möchte, denen man dennoch schon irgendwann einmal im Leben tatsächlich oder virtuell begegnet ist und man erinnert sich.
Zwei Fragen haben sich für den Rezensenten ergeben, die er selber nicht beantworten kann.
Zum einen: Ist es ein Roman für Männer, oder funktionieren die Wort-Cartoons der vermeintlichen Wehrsportgruppe oder die aberwitzige Sturheit des Masochismus der Verse schmiedenden neuheidnischen Barfuß-Germanen auch für Frauen als Projektionsfläche?
Zum anderen: Die kantige Absurdität der Realität in der Überzeichnung von Situationen und Menschen hat bei dem „Glaubenssystem Christentum" in der Jesus-Darstellung nicht gegriffen. Der Restaurator Leuchtenberg, der mit seinen zwölf Helfern nur dann kommt, wenn er es selber will, der keine Firmenadresse nennt, ist der tatsächliche „Retter in der Not", der nicht in Frage gestellt wird. Er erscheint erst, nachdem Hartmut gebetet hat. Die Arbeit von Leuchtenberg = „der Beste der Besten" = Jesus mit seinen Jüngern, wird nur durch einen seiner Namenslosen Leute „verraten", der Pfusch arbeitet, dafür 30 Münzen (die „Silberlinge") erhält und dann verstoßen wird = Judas. Szenen ohne Widersprüche, zu glatt und ohne erkennbare reale Dimensionen.
Braucht es für eine funktionierende Komik den Hintergrund einer eigenen Betroffenheit oder eine persönliche Erinnerung, die der Rezensent als Nichtgetaufter und Religionsferner selbst nicht hat, die aber andere, dem Christentum früher oder aktuell verbundene Leser, persönlich erleben? Kann man also nur das als Empfinden erleben, was einen selbst betrifft?
Dieses Selbstexperiment sei fröhlich empfohlen - und wenn es nicht funktioniert - der Roman hat so viele immer wieder überraschende Ecken und Kanten, dass eine glatte Strecke zwischendurch nicht wesentlich stört.
Robert Rambert
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„WUNDLAUF DURCH NRW"
Als erster deutscher Autor will Oliver Uschmann eine 11-Städte-Tournee realisieren, nicht nur zu Fuß, sondern - wie seine Wandelgermanen im Roman - barfuß erwandeln.
Wer den Autor begleiten möchte, kann sich im Internet anmelden. Die tagesaktuelle exakte Route wird dann jeweils bekannt gegeben.
Als Planungsdaten für „Uschmanns Lesetour auf blanken Füßen" - nach den Sommerferien - sind ins Auge gefasst:
22.08.2007 - Ascheberg-Herbern - Buchhandlung Angelkort / Südstr. 13
23.08.2007 - Lünen - Zum Greif / Münsterstr. 249
24.08.2007 - Dortmund - Sissikingkong / Landwehrstr. 17
25.08.2007 - Bochum-Wattenscheid - Publicity Werbung Gelände / Zollstr. 161
26.08.2007 - Velbert - Flux / Langenberger Str. 125
27.08.2007 - Wuppertal-Barmen - Live-Club Barmen / Geschwister-Scholl-Platz 4-6
28.08.2007 - Solingen - Cobra / Merscheider Str. 77-79
29.08.2007 - Düsseldorf - Zakk / Fichtenstr. 40
30.08.2007 - Krefeld - Kulturrampe / Oppumer Str. 175
31.08.2007 - Duisburg - Cafe Steinbruch / Lotharstr. 318
01.09.2007 - Oberhausen - Kino im Zentrum Altenberg / Altenberger Str. 20
(Ende des WUNDLAUFS)
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18.09.2007 - Hannover - Lehmanns Buchhandlung / Georgstr. 10
27.09.2007- Recklinghausen - Buchhandlung Ulrike Musial / Turmstr. 3
17.10.2007 - Wernigerode - Hochschule Harz / Friedrichstr. 57-59
25.10.2007 - Wesel - Buchhandlung Dambeck / Korbmacherstr. 17
31.10.2007 - Berlin - Thalia Buchhandlung Ring-Center II / Frankfurter Allee 113-117
01.11.2007 - Rostock - Buchhandlung Weiland / Kröpeliner Str. 80
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Oliver Uschmann: Wandelgermanen. Roman. 384 Seiten, Broschur ISBN 978-3-502-11051-4 - Scherz Verlag, € 12,90
(Voraussichtlicher Erscheinungstermin: 27.07.2007)