"Entschuldigung", schreibt Tamara Olszewska, Mitglied des Komitees zur Verteidigung der Demokratie (KOD), in einem offenen Brief an die deutschen Nachbarn. Ihr Brief erhielt viele hundert Likes in den KOD-Facebook-Gruppen in ganz Polen und wird massenhaft geteilt, auch in Deutschland.
Aus der nach der Machtübernahme durch die PiS im öffentlichen Diskurs herrschenden antideutschen Rhetorik ist jetzt ein absurder Deutschen-Hass entstanden. Die PiS-Parteizentrale hat grünes Licht für alle Arten von Propaganda gegeben. Jüngstes Beispiel dafür ist die rechtskonservative Wochenzeitung Gazeta Polska, die unter dem Titel "Deutscher Minister bezahlt den Putsch" die Stimmung aufheizt. Mit "Putsch" sind dabei die massenhaften Demonstrationen in Polen gegen die Justizreformen gemeint. Wie die schwer bewaffneten "Putschisten" aussehen, zeigen Aufnahmen, die KOD bei Facebook veröffentlichte.
Über zwei Juli-Wochen lang und in hunderten polnischen Ortschaften und vielen Städten der Welt – bewaffnet mit leuchtenden Kerzen – verteidigten die "Putschisten" die unabhängigen Gerichte. Sie erkämpften das Veto des Präsidenten zu zwei von drei umstrittenen "Reform"-Gesetzen.
Ein guter Anlass für das weitere Anheizen der antideutschen Ressentiments war der 73. Jahrestag des Warschauer Aufstands. Die Anhänger des neofaschistischen National-Radikalen Lagers (ONR) "ehrten" die Aufständischen mit einem Marsch durch Warschaus Zentrum. Neben ihren üblichen Parolen über die an den Bäumen hängenden Kommunisten schreien sie diesmal auch "Eine Kugel, ein Deutscher!". ONR marschierte auch in einigen anderen Städten. In Wrocław haben sie die mit weißen Rosen schweigend auf dem Gehsteig protestierenden Leute brutal angegriffen.
Auch die Fans des Warschauer Fußballklubs "Legia" haben sich während des Champions-League-Matches der antideutschen Kampagne angeschlossen. Sie zeigten auf der Tribüne ein riesengroßes Banner mit dem Bild eines deutschen Soldaten, der die Pistole an den Kopf eines Kindes ansetzt, und der Aufschrift: "Während des Warschauer Aufstands haben die Deutschen 160.000 Menschen umgebracht, davon Tausende Kinder".
Die Mitglieder der ONR und die in den Stadien randalierenden Fußballfans sind die Lieblinge der jetzigen polnischen Machhaber. Ihnen wird viel erlaubt. Vor dem Krieg wurde ONR schon nach wenigen Monaten wegen faschistischer Ideologie und Gewalttaten gesetzlich verboten. Jetzt in der 3. Republik baut ONR jedoch starke Strukturen auf, die Anhänger begrüßen sich mit den sog. "deutschen Gruß" und marschieren in immer mehr polnischen Städten auf. Sie nutzen gerne solche Angelegenheiten, wie die von den Regierenden ausgelöste antideutsche Hetze.
Brief von Tamara Olszewska an die deutschen Nachbarn
An meine Nachbarn hinter der Oder,
ich schreibe Ihnen diesen Brief, weil ich seit eineinhalb Jahren in einem Land lebe, das ich nicht mehr kenne. Ich komme nicht mit der Zerstörung der polnischen Demokratie zurecht; ich komme nicht mit der von oben verordneten Teilung der Polen in "Bessere" und "Schlechtere" zurecht; nicht mit der Akzeptanz des polnischen Nationalismus durch die Regierung. Ich bin stark und gehöre zu dem wesentlichen Teil des Volkes, der nicht zulässt, dass wir in eine Diktatur geführt werden sollen. Das sind unsere interne Probleme und wir bewältigen sie, wie wir das mehrmals in unserer Geschichte getan hatten.
Aber gegen meinen Willen nehme ich am politischen Spiel unserer Regierung teil, dessen Ziel die Überzeugung ist, dass hinter der Oder immer noch böse Leute lauern. Im öffentlichen Fernsehen werden Worte ausgesprochen, die Sie, meine Nachbarn, beleidigen. In rechtsorientierten Medien wird uns eingeschärft, das der Deutsche jemand ist, der bei der deutschen Besatzung aktiv mitmachte, und nicht der Mensch, mit dem wir gemeinsam die Europäische Union mitgestalten. Die Politiker der regierenden Partei kritisieren scharf unsere Nachbarn. In ihren Worten ist nichts von Wahrheit, sie verwenden die uralten Klischeevorstellungen. Ich kenne Sie gut, Nachbarn. Ziemlich viel Zeit habe ich in Ihrem Land verbracht und wunderbare Menschen kennengelernt. Zweimal habe ich die deutsch-polnische Konferenz für die Schüler mitorganisiert, deren Ziel die Auseinandersetzung mit den Stereotypen und der Aufbau unserer Beziehungen war, die auf den sehr schwierigen Karten der Geschichte basierten.
Niemand hat das Recht, Sie anzugreifen wegen Dingen, die schon längst Geschichte sind; für viele schmerzhaft, aber schon Geschichte. Niemand hat das Recht, irgendwelche Rückvergütung für die Vergangenheit von Ihnen zu verlangen. Niemand hat das Recht, von Ihnen das ewige Schuldgefühl für Taten zu erwarten, die nicht Sie getan hatten.
Ich schäme mich wegen der Regierung, die lieber nach hinten und nicht nach vorne schaut, die die deutsch-polnischen Beziehungen vernichtet. Sie macht das, weil nur die Überzeugung meiner Landsleute, dass wir von Feinden umkreist sind, der Regierung die Chance gibt, an der Macht zu bleiben. Ich schäme mich wegen jedes Wortes, jeder Entscheidung, jeder Geste, die unseren guten Beziehungen widersprechen, die wir mit so großer Mühe über Jahre aufgebaut haben.
Ich bitte Sie um Entschuldigung, liebe Nachbarn, und glauben Sie bitte, dass ich und alle, die sich nicht von den Hasstiraden und der Aggression der Machthaber beschwindeln lassen, auch Polen bedeuten. Wir lassen nicht zu, dass die gute nachbarliche Beziehungen vernichtet werden.
Entschuldigung! Denken sie bitte daran, dass auch wir Polen sind, die stolz auf die Zugehörigkeit zur Europäische Union sind, stolz auf so viele polnische Werte, die wir in die europäische Gemeinschaft eingebracht hatten, stolz auf die guten Beziehungen mit den Nachbarn hinter der Oder.
Ich wünsche mir und Ihnen, dass die Oder niemals eine eiserne Grenze zwischen Polen und Deutschland wird.
Tamara Olszewska
(Übersetzung des Offenen Briefes: Andrzej Wendrychowicz)
7 Kommentare
Kommentare
Kay Krause am Permanenter Link
Liebe PIS-Partei!
Markus Schiele am Permanenter Link
Kleine Richtigstellung: Hitler wurde nicht von der Mehrheit der Deutschen gewählt. Das maximale Ergebnis der NSDAP in freien Wahlen reichsweit betrug knapp 44%. Schlimm genug ...
Ferdynand am Permanenter Link
Liebe Tamara, liebe KODler,
ich verbitte mir, als Pole, dass ihr Euch in meinem Namen untertänigst "entschuldigt" dafür dass die großartigen Fans von Legia Warschau an diese historische Tatsache erinnert haben zu einer Zeit in denen der Begriff "polnische Konzentrationslager" "Polish Concentration camps" zunehmend die Runde macht. Zu dem Text oben: Es wurde in Breslau niemand angegriffen. Wir haben aber ein tolles Video wo jemand einer Gruppe von Polizisten hinterherläuft und sich kurz hinlegt, damit es so aussieht dass diese ihn niedergeschlagen hätten. Zum Glück wurde das dokumentarisch festgehalten:
https://www.youtube.com/watch?v=mNu82aDpQF0
Ich habe es übrigens auch satt dass die ganze Zeit von bestimmten Gruppen von einer"Diktatur" schwadroniert wird nur weil gerade nicht die von ihnen (und vom Ausland, da extrem nachgiebig und korrupt) geliebte Partei "Bürgerplattform" regiert. Ich habe einige bei Euch bei einem Puls of Europe Sit-In getroffen und wollte wissen was genau an den Reformen falsch sei. Ergebnis: mehrere Reductios ad Hitlorum, zum Teil garniert mit einem Slippery Slope "Argument".
Außerdem liebe Tamara, schreib so einen Text mal an Israel gerichtet, dann schauen wir mal ob die These stimmt ;-)
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Wir haben aber ein tolles Video wo jemand einer Gruppe von Polizisten hinterherläuft und sich kurz hinlegt, damit es so aussieht dass diese ihn niedergeschlagen hätten."
Und was beweist das? Dass es keinen grassierenden Nationalismus in Polen gibt? Dass man nicht die Aufnahme von Flüchtlingen verweigert? Solche Inszenierung gab und gibt es auf allen Seiten zu allen Zeiten - im Handyfilm-Zeitalter sicher zunehmend.
Entscheidend ist die Politik, die in einem Land gemacht wird. Und da können ja nicht alle politischen Beobachter in Europa völlig verblödet sein, wenn sie von Rechtsruck, Nationalismus, Entrechtung und deutlichen Tendenzen zur Diktatur sprechen. Mir persönlich kann es auch völlig egal sein, wie die Partei heißt, die Politik macht.
Diese Rolle rückwärts in den Nationalstaat steht der Idee eines geeinten Europa - letztlich einer geeinten Welt entgegen. Wenn wir jemals Ausgrenzung, Rassismus, Abschottung und Diskriminierung überwinden wollen, müssen wir den dualistischen Nationalstaat und alle dualistischen Ideologien (zu denen auch die Monotheismen gehören) überwinden. Dass die aktuelle Führung in Polen dies begriffen hätte, vermag ich nicht zu erkennen...
Andrzej Wendryc... am Permanenter Link
Wie wir (Tamara und ich) sehen, wurde dieser Brief bestimmt nicht in Ihrem Namen geschrieben.
Kay Krause am Permanenter Link
Moin Ferdynand!
Zum ersten: Wenn die Tamara das Bedürfnis hat, sich öffentlich in einem Medium bei ihren Nachbarn für das momentane und besorgniserregende Geschehen in Polen zu entschuldigen, dann ist das (noch!) ihr demokratisches Recht, und Sie - als Demokrat, als der Sie sich selbst darstellen, müssen das wohl oder über akzeptieren, wobei niemand von Ihnen verlangt, dass Sie sich Tamaras politischer Denkweise anschließen.
Zum zweiten: richtig ist, dass die abgewählte Regierung korrupt war und zugelassen hat, dass Polen sich an's Ausland verkauft hat. Möglich ist auch, dass es vielleicht einmal so einer radikalen Partei (Regierung) bedarf, um "Ordnung" zu schaffen. Man kann dem polnischen Volk nur wünschen, dass es rechtzeitig aufwacht, bevor die Millionen Menschen, die nicht wie PIS denken, im Gefängnis oder in Umerziehungslagern landen. Der Vergleich mit der Türkei ist hier durchaus angebracht.
Zum dritten: Ihr Vergleich mit Israel ist unzulässig. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals seit 28 Jahren in den Nachrichten gehört oder gesehen zu haben, dass das konservativ-katholisch geprägte Polen von mordenden, schießwütigen und bombenwerfenden Islamisten umgeben und bedroht sei, wie es in um um Israel herum der Fall ist.
Zum vierten: in diesem Europa ist bei weitem nicht alles Gold, was glänzt wie Gold. Aber dieses Europa am Leben zu erhalten, es auf demokratischem Weg weiter auszubauen und zu verbessern, dass ist unsere einzige Chance auf ein dauerhaftes, friedliches Zusammenleben! Ich möchte bezweifeln, dass Ihre geliebte PIS-Regierung bereits bei dieser Erkenntnis angekommen ist.
Pozdrowieniem,
K.K.
Karol Dittel am Permanenter Link
Freut mich zu sehen, dass in Polen nicht alle komplett den Verstand verloren haben.
Ciesze się widzieć ze w Polsce nie wszyscy kompletnie stracili rozum.