Journalistischer Offenbarungseid beim Thema Gerechtigkeit

MAINZ. (hpd) In der Frankfurter Rundschau wird aktuell der Themenschwerpunkt “Gerechtigkeit” behandelt. In diesem Rahmen wurden unter anderem die Leser aufgerufen, Recherchevorschläge zum Thema “Was ist gerecht?” einzureichen.

Aus allen als umsetzbar eingeschätzten Vorschlägen sollten per Leserabstimmung zunächst die besten zehn und dann die besten drei Vorschläge ausgewählt werden. Letztere sollen dann von der Redaktion recherchiert und in der Printausgabe der Frankfurter Rundschau behandelt werden.

Im Namen von intaktiv e.V. wurde von Dr. Meike Beier am 02.11.2014 der Vorschlag “Geschlechterdiskriminierung bei Körperverletzung” mit folgender Fragestellung eingereicht:

“Ist es gerecht, dass in Deutschland innerhalb weniger Monate zwei Gesetze in Kraft getreten sind, von denen eines (§ 226a StGB) die Verstümmelung weiblicher Genitalien vom strafbaren Vergehen zum Verbrechen hochstuft, verbunden mit einer entsprechenden Erhöhung des Strafmaßes, während das andere (§ 1631 d BGB) es Eltern männlicher Kinder freistellt, deren Vorhaut aus beliebigen Gründen amputieren zu lassen, und es gleichzeitig für die betroffenen Jungen unmöglich macht, jemals Klage wegen der an ihnen begangenen Körperverletzung zu erheben?”

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Der Vorschlag wurde als umsetzbar eingestuft und erhielt innerhalb weniger Tage 112 Wertungen überwiegend in der höchsten Wertungsstufe, so dass nahezu vollständige fünf Sterne zu Buche standen. Weiterhin wurde der Vorschlag 28 Mal kommentiert. Diese Zahlen sind ein Vielfaches der Wertungen und Kommentare, die andere Vorschläge erhielten und zeigen ein stark ausgeprägtes Interesse an diesem Thema.

Am 07.11.2014 wurden die zehn besten Vorschläge zur abschließenden Abstimmung gestellt. Der mit Abstand am meisten und am höchsten bewertete Vorschlag “Geschlechterdiskriminierung bei Körperverletzung” war allerdings nicht darunter.

Die Redaktion räumt in der Erläuterung der Auswahl offen ein, dass die selbst aufgestellten Kriterien außer Acht gelassen wurden, um diesen Recherchevorschlag abzulehnen: “Nicht ins Voting aufgenommen wurde der Vorschlag ‘Geschlechterdiskriminierung bei Körperverletzung’. Die Redaktion lehnt es ab, ein entsetzliches Verbrechen wie Genitalverstümmelung bei Frauen mit Vorhaut-Beschneidung bei Männern unter irgendeinem Gesichtspunkt zu vergleichen, schon gar nicht unter dem der Gerechtigkeit.”

Die bestehende gesetzgeberische Ungerechtigkeit in Form der Ungleichbehandlung von medizinisch unnötigen Genitaleingriffen bei wehrlosen Jungen und Mädchen wurde somit mit der Ungerechtigkeit beantwortet, dass dieses von den Lesern für relevant befundene, der Redaktion jedoch unliebsame Thema willkürlich ausgeschlossen wurde.

Ein journalistischer Offenbarungseid bei einer Aktion, die sich gerade das Thema Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat.