Biologische Waffen und Corona

"So etwas kann man im besten Labor der Welt nicht herstellen"

Ob Rizin, Milzbrand oder Botulinumtoxin: Biologische Waffen fristen in der öffentlichen Wahrnehmung ein Schattendasein, der Druck auf die politischen Akteure ist gering. So verbietet das internationale Biowaffenübereinkommen zwar die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von Biowaffen – Kontrollen hingegen finden keine statt. Doch es gibt einen Lichtblick. Dr. Gunnar Jeremias, Leiter der Interdisziplinären Forschungsgruppe zur Analyse biologischer Risiken an der Universität Hamburg (ZNF) hofft, dass die globale Corona-Pandemie wenigstens etwas Gutes hat und zur Stärkung des Biowaffenübereinkommens beitragen kann. Verschwörungstheoretikern hingegen erteilt der Biowaffen-Experte eine klare Absage.

Sie sind Leiter der Forschungsstelle biologische Waffen und Rüstungskontrolle an der Universität Hamburg. Was genau sind eigentlich biologische Waffen?

Dr. Gunnar Jeremias: Biologische Waffen sind Krankheitserreger, also beispielsweise Viren und Bakterien, und biogene Gifte, wie etwa Rizin oder Botulinumtoxin, die zu nicht friedlichen Zwecken eingesetzt, hergestellt oder vorgehalten werden.

Diese Einschränkung ist wichtig: Der Milzbranderreger an sich ist keine biologische Waffe, er kommt ja in der Natur vor. Erst ein feindseliger Anwendungszweck macht ihn zur Waffe.

Diese Definition ist auch im Biowaffenverbot verankert und sie gilt umfassend: es ist unerheblich, ob durch die Ausbringung der Agenzien nur wenige Menschen erkranken können oder das Potenzial besteht, eine Pandemie auszulösen.

Es ist außerdem wichtig, sich bewusst zu machen, dass sich biologische Waffen nicht notwendigerweise gegen Menschen richten müssen, sondern Einsatzszenarien auch die Schädigung von Tieren oder Pflanzen, etwa in der Landwirtschaft, beinhalten. Moderne biotechnologische Verfahren könnten dazu genutzt werden, Erreger so zu verändern, dass sie noch gefährlicher werden; und es sind auch Biowaffen denkbar, die das System der körpereigenen Bioregulatoren beeinflussen.

Das internationale Biowaffenübereinkommen (BWÜ) enthält ein Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen. Kontrollen finden jedoch keine statt. Ist der Vertrag also obsolet?

In der Tat verfügt das BWÜ, anders als die Rüstungskontrollverträge für nukleare oder chemische Waffen, über keinen Mechanismus, mit dem die Einhaltung der Verbotsnorm überprüft werden könnte. Die Einführung dieses "Verifikationsprotokolls" war 2001 zusammen mit der Einrichtung einer durchführenden internationalen Behörde gescheitert – trotzdem glaube ich an die Wirksamkeit der Norm. Zwar waren in den 1990er Jahren eine Reihe von Verstößen ans Licht gekommen: die Sowjetunion, der Irak Saddam Husseins und das südafrikanische Apartheitsregime hatten Biowaffenprogramme – sehr unterschiedlicher Größe – betrieben, aber vor dem Inkrafttreten des BWÜ 1975 hatten eine Reihe weiterer Länder solche Programme unterhalten, die dann eingestellt wurden.

Heute haben wir keine Anhaltspunkte für existierende Biowaffenprogramme; biologische Rüstungskontrolle ist somit präventive Rüstungskontrolle. Es ist daher mein Eindruck, dass die zentrale Norm der Ächtung von Krankheit als Waffe intakt und wirksam ist. Eine institutionelle Stärkung würde dem Vertragsregime dennoch gut zu Gesicht stehen – das aus drei Personen bestehende Sekretariat bei den Vereinten Nationen kann nicht sicherstellen, dass das Verbot auch künftig eingehalten wird. Die Verhandlungen laufen jedoch gelinde gesagt schleppend. Aber wer weiß, ob die aus der Corona-Krise entstehenden Eindrücke, welche Folgen eine globale Pandemie haben kann, wenigstens etwas Gutes haben und wir auf der Überprüfungskonferenz 2022 eine Überraschung erleben.

Ob für zivile oder militärische Zwecke – weltweit forschen Wissenschaftler mit hochansteckenden Erregern. Wie groß ist die Gefahr, dass diese unbemerkt in die Umwelt gelangen?

Dr. Gunnar Jeremias
Dr. Gunnar Jeremias

Technik und Menschen können versagen, insofern besteht diese Möglichkeit natürlich. Das Risiko zu beziffern ist allerdings kaum möglich – es gibt, zum Glück, zu wenige Fälle und es spielen auch sehr viele Faktoren mit hinein: die Eigenschaften des Erregers, die Menge der Erreger, mit denen in der Anlage umgegangen wird, oder die Art der Experimente, um nur einige zu nennen. Einige Vorfälle sind bekannt. Nach dem folgenreichsten, einer Panne in einer sowjetischen Biowaffenproduktionsanlage in den späten 1970er Jahren, starben 14 Anwohner an Milzbrand. Erst vor wenigen Jahren kam heraus, dass das US-Militär Erreger, die zur Kalibrierung von Messinstrumenten in viele Länder verschickt worden waren, nicht wie geplant abgetötet hatte und auch aus der zivilen Sphäre gibt es einige wenige Berichte über Freisetzungen, die aber alle glimpflich ausgingen. Eine Risikoabschätzung muss aufgrund des Schadpotenzials abwägen, ob der beabsichtigte Nutzen den Umgang mit den Erregern rechtfertigt. Das ist in der übergroßen Mehrzahl der Fälle aber der Fall.

Wir sehen gerade in der jetzigen Situation, aber auch an vielen vergangenen, inklusive der jährlichen Grippewellen, die ohne Forschung regelmäßig zu gravierenden Pandemien führen würden, wie wichtig es ist, Wissen zu Krankheitserregern zu generieren. Und obwohl ich jetzt einige Pannen aufgezählt habe: sie passieren wirklich selten. Viel größere Sorge als die unbeabsichtigte Ausbreitung von Krankheitserregern macht mir die Erzeugung von missbrauchsfähigem Wissen, also Forschung mit dual-use Potenzial.

Stichwort "Dual Use Research of Concern" (DURC): Ist es denkbar, dass die Erkenntnisse der Corona-Forschung auch für die Entwicklung von Biowaffen genutzt werden können?

Die Forschung zu SARS-CoV-2 würde ich nicht als DURC bezeichnen. Theoretisch lässt sich für jedes Forschungsprojekt auch ein missbräuchlicher Anwendungszweck denken. Aber DURC ist per Definition Forschung mit einem direkten Missbrauchspotenzial. Das ist zwar ein unglücklicher, weil unbestimmter Begriff: ab wo ist ein Missbrauchspotenzial direkt? Allerdings sind die bekannten Beispiele für DURC doch etwas anders gelagert als die Anstrengungen in der Forschung zu SARS-CoV-2.

Vielleicht wird das an den folgenden Beispielen für DURC deutlich: die Synthese von Pferdepocken, die gezeigt hat, dass auch der nach einer globalen WHO-Impfkampagne in der Natur nicht mehr vorkommende für Menschen gefährliche Pockenstamm aus "Genomschnipseln" zusammengesetzt werden könnte; die Vermischung der "Vogelgrippe" mit der "Schweinegrippe" oder die Reaktivierung des Erregers der Spanischen Grippe, um nur einige zu nennen. DURC wird nach einer zentralen Studie zum Thema meist auf Forschung an Pathogenen beschränkt. Ich würde auch einige der aktuell in der Entwicklung befindlichen Biotechnologien einschließen, die das Ziel haben, genetische Veränderungen an Organismen in der Umwelt zu induzieren und zu verbreiten, beispielsweise das Insect Allies Programm der DARPA oder Vorhaben, übertragbare Impfstoffe zu entwickeln.

Bei aller Neugier und möglichen Anwendungsmöglichkeiten: Forscher sollten sich schon bei der Konzeption von Forschungsprojekten Gedanken über Schadpotenziale machen. Diese Abwägung fällt bei der Forschung an SARS-CoV-2 aber leicht: Ein direktes Missbrauchspotenzial besteht – bei allen Schwierigkeiten mit dem Begriff – nicht und wir brauchen dringend Impfstoff und Therapeutika gegen den Erreger.

Apropos Corona: Verschwörungstheoretiker glauben, das Virus sei nicht natürlich entstanden, sondern per Menschenhand im Labor erschaffen. Was sagen Sie diesen Menschen?

Festsitzende Verschwörungstheorien kann man nur schwer aus den Köpfen bekommen. Solange aber noch die Bereitschaft besteht, Fakten anzuerkennen, würde ich zum einen auf die Forschungsergebnisse durch das Team um Kristian G. Andersen verweisen, die am 17. März in Nature Medicine veröffentlicht wurden. Sein Team hat das Genom des Virus, auch in Hinblick auf die Frage einer künstlichen Herstellung, genau analysiert und ist zum Schluss gekommen, dass SARS-CoV-2 erstens keine Variante eines bekannten Coronavirus ist, sondern ein ganz neuer Vertreter dieser Familie – und so etwas kann man im besten Labor der Welt nicht herstellen. Zweitens gibt es, so schlimm das Virus auch wütet, bessere Antigene, also Andockpunkte, die einem Virus für den Befall von menschlichen Zellen zur Verfügung stehen könnten. Warum hätte man sich in einem vorgestellten teuren, riskanten und langwierigen Entwicklungsprogramm mit einer schlechteren Lösung zufriedengeben sollen?

Es ist außerdem auffällig, dass sehr ähnliche Verschwörungstheorien parallel existieren. Sie werden, je nach politischem Interesse, mit "passenden" Details versehen und einer ganzen Reihe von Staaten angedichtet. Das Labor in der Nähe von Wuhan, das in den Verschwörungstheorien, die China in den Mittelpunkt stellen, eine zentrale Rolle spielt, wurde übrigens nach dem SARS-Ausbruch 2003 mit französischer Unterstützung errichtet, um künftig besser auf solche Ereignisse vorbereitet zu sein. Das Labor ist keinesfalls geheim, sondern kooperiert weltweit mit einer Vielzahl von Forschungseinrichtungen.

Herr Dr. Jeremias, welche drei Konfliktherde sind Ihrer Meinung nach zurzeit die gefährlichsten und welche Maßnahmen zur Deeskalation und Friedensstabilisierung schlagen Sie vor?

Entsprechend meines Verständnisses von Frieden nenne ich mit der Region des Nahen und Mittleren Ostens nur einen Kriegsherd und mit dem Klimawandel und den mittel- und langfristigen Folgen der Corona-Krise zwei Phänomene, die noch nicht mit kriegerischen Auseinandersetzungen in Zusammenhang stehen, deren Dynamik, vor allem in Hinblick auf die gesellschaftlichen Folgen, aber noch gar nicht erfasst werden (können). Damit ist über Flucht, Vertreibung und Abschottung, die nicht nur aus diesen drei Konfliktherden erwachsen können, noch nichts gesagt, aber dies sind eben auch Folgen und nicht Ursachen von Konflikten.

Die einzelnen Kriege und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten können und müssen in ihren jeweiligen Zusammenhängen gesehen werden, sie aber nur voneinander getrennt zu betrachten, wird der komplexen Gemengelage aus Interessen und Akteuren nicht gerecht. Insbesondere für eine dringend nötige Entschärfung der Lage tragen die regionalen, aber auch die globalpolitischen Akteure eine große Verantwortung. Damit sind die USA und Russland angesprochen, die sich überlegen müssen, welche Folgen ihrer Politiken sie zu verantworten bereit sind, aber auch andere Staaten können, beispielsweise durch erheblich stärkere Restriktionen für Waffenexporte, zur Stabilisierung beitragen.

Es ist noch überhaupt nicht abzusehen, wie lange uns – und damit meine ich die Weltgesellschaft – Covid-19 noch direkt, also als Krankheit, beschäftigen wird. Noch viel weniger kann vorausgesehen werden, welche politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Verwerfungen sich auf allen Ebenen von der lokalen bis zur globalen auftun werden. Schon jetzt ist, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, alles andere als klar, inwiefern sich die nicht mit der EU-Charta in Einklang stehende Ermächtigung Orbáns in Ungarn aufhalten lässt, die die gesamte EU in eine schwere Krise stürzen kann. Diese Pandemie ist eine Lage, für deren Bewältigung es keine Blaupause gibt und ich hoffe auf ein wachsendes Verständnis für die Notwendigkeit kooperativ zu handeln.

Kooperation ist auch das wichtigste Instrument, das gegen die weitere Emission von Klimagasen wirksam wäre. Zwar verläuft der Klimawandel auf einer ganz anderen Zeitskala als die Corona Krise, aber der exponentielle Entwicklungsverlauf ist ihnen gemein. Ziehen wir die Lehre und handeln gemeinsam und konsequent. Manche Erfordernisse der Sicherung der gemeinsamen Lebensgrundlagen lassen sich in marktgesteuerten Mechanismen möglicherweise nicht gut abbilden – erforderlich bleiben sie.

Erstveröffentlichung auf der Webseite der "Initiative Gesichter des Friedens"

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