BERLIN. (hpd) Auf Einladung der Friedrich Ebert-Stiftung saßen wieder einmal alle zusammen, die sich seit Jahren als Freunde oder Gegner kennen, um zu versuchen, trotz aller Gräben Brücken zu bauen, da man schließlich doch ein gemeinsames Anliegen habe: Bessere Rahmenbedingungen für die Arbeit im Gesundheits- und Sozialbereich.
Vor allem die Christinnen und Christen in der SPD versuchen, das Spagat zu schaffen zwischen dem Kern des Selbstverständnisses der SPD, Vertretung von Schwachen gegen Großorganisationen, und den Vorrechten der Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden. Wie schwierig das ist, zeigten die Kurzreferate und die Podiumsdiskussion anlässlich der Fachtagung „Kirchliches Arbeitsrecht in der Diskussion“ in der Friedrich Ebert Stiftung am Dienstag.
Nicht nur die Zahl von 145 angemeldeten Teilnehmern verwies auf die Bedeutung des Themas. Mit Wolfgang Thierse (MdB), neben der moderierenden Kerstin Griese (MdB), Sprecher des AK Christinnen und Christen in der SPD, und Rolf Schwanitz (MdB), dem prominentesten Mitglied im Sprecherkreis der laizistischen Sozialdemokraten, waren die beiden ‚Flügel’ der Partei in kirchenpolitischen Fragen präsent. Zudem waren so gut wie alle im Sozial- und Gesundheitsbereich aktiven Verbände mit hochrangigen Vertretern anwesend, seien es Caritas und Diakonie, die Gewerkschaft ver.di, die Evangelische Kirche und das Katholische Büro, sei es die AWO, der Humanistische Verband, Mitarbeitervertreter wie Arbeitgeberverbände, aber auch Rechtsanwälte und die Humanistische Union.
Drei Aspekte bestimmten die Kurzvorträge und die Diskussion: Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom November 2012 (hpd berichtete) und seine Konsequenzen, die aktuelle Klage von ver.di vor dem Bundesverfassungsgericht sowie ein Gutachten im Auftrag der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag.
Kerstin Griese sprach einführend zum Stand der Debatte und berichtete aus der SPD-Fraktion, dass vor zwei Jahren das kirchliche Arbeitsrecht im Bundestag zum ersten Mal überhaupt diskutiert worden sei. Sogar Ottmar Schreiner, der in der Parteiarbeit sehr vermisst werde, hatte bis dahin den „Dritten Weg“ eher für den CSSR-Weg zum Sozialismus gehalten.
Konflikte zwischen Kirchen und Gewerkschaften seien für die SPD nicht einfach. Vom Selbstverständnis stehe man auf Seiten der Gewerkschaft, aber seit Godesberg werden auch die Kirchen als Partner der SPD betrachtet. Auf regionaler Ebene sei aber schon einiges zwischen ver.di und der Diakonie in Bewegung gekommen. Für die Position der SPD sei das Streikrecht essentiell, denn gleiche Arbeitnehmerrechte seien demokratische Grundrechte.
Die Diakonie habe vor dem Bundesarbeitgericht hinsichtlich des Streikrechts einerseits beide Verfahren verloren, jedoch habe das Gericht andererseits die Eigenständigkeit der Kirchen bestätigt. Durch die beiden Urteile haben die Diakonie (und dadurch auch die Caritas) Hausaufgaben bekommen, die zu bearbeiten seien. Zukünftig müsse eine Schlichtung vorgesehen werden, die Gewerkschaften müssen an den Arbeitsrechtlichen Kommissionen beteiligt werden und die Vereinbarungen der Kommissionen müssen verbindlich sein. Sofern das nicht geschehe, gibt es ein Streikrecht.
Besonders in der Diakonie bestehe dazu ein zentraler Handlungsbedarf. Sie berichtete von einer Runde mit jeweils vier Vertretern der Caritas und der Diakonie, bei der die vier Katholiken eine Meinung hatten, während die vier evangelischen Vertreter zwölf Meinungen vortrugen. Nicht nur ihre jeweils eigenen, sondern auch die Variationen der Verbände, die sie auch repräsentierten.
Der gemeinsame Feind aller, so Griese, sei jedoch der ruinöse Wettbewerb im Gesundheitsbereich und in der Pflege, insbesondere in der Pflege älterer Menschen. Als besonders abschreckendes Beispiel nannte sie die Situation in Niedersachsen, wo es die schlechteste Refinanzierung gebe. Das Gesundheitssystem dürfe kein Markt sein, da die Kranken keine Marktmacht hätten. Sie sprach sich für Tarifverträge mit verbindlichen Branchentarifen und Mindestlöhne aus. Die Berufe im Gesundheitswesen müssten auch mit Bezug auf die Gehälter wieder attraktiver werden.
Die Sicht der Kirchen zum kirchlichen Arbeitsrecht nach dem BAG-Urteil referierte Dr. Jörg Kruttschnitt, Vorstandsmitglied im Diakonischen Werk. Die Diakonie sei selbstkritisch dabei, offene Probleme zu sichten und zu bereinigen. Gemäß dem Urteil werde das Zusammenbringen verschiedener Auffassungen unterstützt und weder „kollektives Betteln“ noch „Blockade“ seien Bezugspunkte. Allerdings, so Kruttschnitt engagiert, es müsse ein kirchengemäßer Weg sein.
Die Kirchen und die Gewerkschaft hätten sich vor dem BAG-Urteil im heftigen Streit miteinander befunden, aber nun wolle sich die Diakonie an der Diskussion beteiligen. Die Kirche entscheide aber stets selber, was sie tue, da sie ein Selbstbestimmungsrecht hätten.
Mit der organisatorischen Einbindung der Gewerkschaft sei man einverstanden, auch damit, dass die Vereinbarungen verbindlich sein müssen. Daran werde zurzeit bei der Diakonie und der EKD gearbeitet, aber in demokratischen Organisationen wie der Diakonie und der EKD brauche es dazu Zeit. Das sei allerdings ein Zeichen von Qualität und kein Makel.
Die Kirche sei bereit, über ihren Schatten zu springen, und das sollten beide Seiten tun. Allerdings verweigere ver.di dieses Aufeinanderzugehen, wenn Verfassungsklage erhoben werde.
Prof. Dr. Jens Schubert, der Justiziar der Gewerkschaft ver.di, hielt dem entgegen, dass es nicht zu verstehen sei, warum Arbeitsrecht überhaupt ein kircheneigenes Thema sei. Und nach einer juristischen Kritik am BAG-Urteil, bewertete er es insofern, dass es kein „schonender Ausgleich“ sei. Für einen neutralen Schlichter sollen die Gewerkschaften das Streikrecht hergeben? Schon allein an seinem Gesichtsausdruck war die Antwort abzulesen.
Und die Verbindlichkeit von Vereinbarungen? Das sei eine Selbstverständlichkeit und das lerne man bereits im zweiten Semester Jura.
Eine Aufforderung zum über den Schatten springen sei etwas eigenartig, wenn einem zuvor eine große Kugel ans Bein gebunden worden sei. Damit meinte er offensichtlich den „Zweiten Weg“ der Kirchen, die Tarifverträgen zustimmen, wenn ver.di auf das Streikrecht verzichte. Und die aktuelle Klage von ver.di vor dem Bundesverfassungsgericht sei sehr intensiv begründet. Man haben nicht die Absicht, dass die Klage abgewiesen werde, sondern wolle klären lassen, ob das BAG-Urteil nicht dem Grundrecht auf Streik und den Bestimmungen der Europäischen Sozialcharta widerspreche.