Differenziertes Religionsverfassungsrecht

(hpd) Gerhard Czermak erschließt einem auch nicht juristisch vorgebildeten interessierten Leserkreis die Grundzüge des Religionsverfassungsrechtes.

Das gut lesbare Werk vermittelt unter Berücksichtigung historischer und gesellschaftlicher Bezüge mehr als nur einen ersten Überblick über ein komplexes Rechtsgebiet, ohne die schwierige rechtliche Materie allzu sehr zu vereinfachen. Czermak wird seinem selbst formulierten Anspruch gerecht, die wesentlichen Verfassungsfragen verständlich aufzubereiten und die gängige Rechtspraxis vor dem Hintergrund des Gebotes religiös-weltanschaulicher Neutralität kritisch zu hinterfragen.

Alle in den letzten Jahren öffentlich diskutierten Streitfragen wie „Kreuz im Klassenzimmer", im Schuldienst getragenes „islamisches Kopftuch" oder Ethikunterricht als „Alternativ-Pflichtfach" zum konfessionsgebundenen Religionsunterricht werden umfassend dargestellt und die Rechtspraxis an den verfassungsrechtlichen Bestimmungen gemessen. Auch die mit vielen Fragezeichen zu versehenden Klassiker des Religionsverfassungsrechts wie Kirchensteuer, Körperschaftsstatus bestimmter Religionsgemeinschaften, Militärseelsorge und kirchliches Arbeitsrecht werden in jeweils eigenen Kapiteln unter Angabe wichtiger Gerichtsurteile und weiterführender Literatur in den Grundzügen dargestellt und kritisch diskutiert.

Der Autor widerspricht deutlich einer auf die Interessen der großen Kirchen fixierten Sichtweise, wobei er aber als langjähriger Kenner der Verwaltungspraxis – der Autor war als Verwaltungsrichter in Bayern tätig – nicht der Versuchung unterliegt, seinerseits eine ideologisch vorgeprägte kirchenkritische Sichtweise als Maßstab für die Rechtsauslegung zu propagieren; vielmehr ist Czermak an einer differenzierten Darstellung der rechtlichen Problematik gelegen. Er fordert in der Tradition der liberalen Rechtstheorie immer wieder die religiös-weltanschauliche Neutralität im staatlichen Kernbereich ein. Dort dürfe der Staat sich weder mit einer Religion oder Weltanschauung identifizieren noch dürfe er religiöse oder areligiöse Überzeugungen positiv oder negativ bewerten, wobei Czermak nicht verkennt, dass der Staat im Rahmen einer offenen Neutralität beim Agieren mit gesellschaftlichem Bezug unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes religiöses und weltanschaulich be­stimmtes Handeln seiner Staatsbürger durchaus positiv berücksichtigen darf.

Soweit Czermak zur Begründung des Neutralitätsgebotes auf die „Basisideologie des Grundgesetzes" verweist, ist diese Formulierung nicht ganz glücklich, es sei denn Czermak will hier plakativ verdeutlichen, dass Recht immer (auch) ideologisch geprägt, ja eine zutiefst ideologische Kategorie ist und es ideologiefreies Recht nicht geben kann (so Bernd Rüthers, Ideologie und Recht, München 1999). Das Grundanliegen Czermaks, dem verfassungsrechtlich begründeten Neutralitätsgebot in der Rechtspraxis zum Durchbruch zu verhelfen und im Religionsverfassungsrecht keine anderen methodischen Regeln anzuwenden als im übrigen Verwaltungsrecht, verdient freilich ungeteilte Zustimmung.

Lesenswert ist auch der Überblick zu verschiedenen Regelungen unterhalb des Verfassungsrechts wie zum Geistlichenprivileg im Wehrpflichtrecht, zum Immissionsschutz und kirchlichem Glockengeläut oder zum Kirchenasyl, der den Blick auf die eine oder andere Kuriosität lenkt. Der Überblick muss sich, um den Rahmen einer Einführung nicht zu sprengen, mit Hinweisen begnügen. Abgerundet wird das Werk mit einem Überblick über die europäische Entwicklung und einem Beitrag von Eric Hilgendorf, Prof. für Strafrecht, zum Thema Strafrecht und Religion und zur Reformdiskussion zu § 166 StGB (Religionsbeschimpfung).

Eine wahre Fundgrube für jeden, der sich in religionsrechtliche Fragestellungen einarbeiten will, stellen die ausführlichen Anhänge des Buches dar mit allen maßgeblichen Rechtsnormen, einer Auswahl wichtiger Bundesverfassungsgerichts- und Bundesverwaltungsgerichtsentscheidungen und einem erschöpfenden übersichtlich nach Themen geordneten Literaturverzeichnis. Es bleibt zu hoffen, dass diese einer verfassungsrechtlich begründeten Diktion verpflichtete Einführung bei vielen Lesern ein Problembewusstsein für die verfassungsrechtlichen Fragen weckt, deren Klärung angesichts der durch die normative Kraft des Faktischen geprägten Verwaltungspraxis noch immer mit Rücksicht auf historisch Gewachsenes aufgeschoben wird.

Markus Kleine

Czermak, Gerhard, Religions- und Weltanschauungsrecht, Eine Einführung (in Kooperation mit Prof. Dr. Dr. Hilgendorf), Berlin Heidelberg, Springer-Verlag, 2008, XXI + 327 S., 24,95 €.

 

Erhältlich in jeder Buchhandlung oder direkt im denkladen.de

(Dr. Markus Kleine ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Heilbronn)