Staat - Kirche - Fussball

(hpd) Die kurzgefasste Kernaussage dieses Buches von Gerd Kallweit lautet: Illusion verbindet Politiker und dadurch den Staat mit Kirche und Fußball. Abgeordnete des Bundestages und der Landtage lassen sich ebenso wie die Mehrheit der Bevölkerung von dem unwirklichen Gemeinschaftsgefühl bezaubern, das der Fußballbegeisterung zugrunde liegt. Gelegentlich kann diese auch schmerzhaft sein, wenn der Heimatverein des Autors Mainz 05 heißt.

Zunächst spielt Fußball nur eine geringe Rolle im Buch, wenn der Autor die Fundamente des kirchlichen Glaubensgebäudes auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft. Für ihn ist es ein Phänomen, dass es keine belastbare Fundamente gibt und dass diese Erkenntnis das Verhältnis Staat-Kirche überhaupt nicht erschüttert. Auch Fußballbegeisterung ist ein Phänomen. Ähnlichkeiten und Parallelen sind keine Zufälligkeiten. Warum hat der Fußball mehr Anhänger als andere Sportarten? Warum zeigen Politiker sich vorrangig auf den Rängen der Stadien? Antworten folgen.

Kallweit beschäftigt sich zu Beginn mit den Fragen, was die Deutschen und deren Politiker glauben. Es fällt auf, dass er nicht nur auf bekannte Zahlen und Statistiken zugreift sondern eigenständige Fragebögen verwertet. Der Rücklauf speziell von Politikern war wohl sehr ernüchternd. Immerhin lernt man, dass Abgeordnete an 4 Tagen in der Woche beten und somit die Allgemeinheit übertreffen. Fundiert werden interessante Fragen wie zur Trennung von Staat und Kirche in Zahlen über mehrere Seiten abgehandelt.

Staat - Kirche - Fußball (Cover)

Themen, wo sich die Religion massiv in die Politik einmischt, wie Präimplantationsdiagnostik oder Knabenbeschneidung aber auch Tieres-Schächtung werden gründlich untersucht. Zu diesem Komplex gehört auch die Totenruhe, worin mich 2 Beispiele des Autors aufregten: Im rheinhessischen Wallertheim durfte ein privater Grundstücksbesitzer in 2011 auf seinem Gelände ein geplantes Eigenheim nicht errichten, obwohl der seit 1992 geltende Bebauungsplan dafür grünes Licht gab. Zu Baubeginn erinnerten sich Nachbarn an einen jüdischen Friedhof dort. Das alarmierte die Ämter und es gab einen Baustopp. Es stellte sich heraus, dass das Grundstück bereits 1922 in privaten Besitz übergegangen und der Friedhof an anderer Stelle eingerichtet worden war. Orthodoxe Rabbiner nahmen dann Einfluß auf das Innenministerium von Rheinland-Pfalz sowie Kreis und Gemeinde und der Bebauungsplan wurde außer Kraft gesetzt.

Ein weiteres Beispiel zur kritiklosen Hörigkeit der Politik schildert Gerd Kallweit aus dem nahen Mainz: Dort gibt es den “Judensand”, der jüdischen Mitbürgern bis 1880 als Friedhof diente. Die Totenruhe wird gewahrt und viele alte Grabsteine zeugen davon. In 2006 verkaufte die Stadt ein Nachbargrundstück des “Judensands” an einen Bauunternehmer, der hier 7 Häuser errichten wollte. Bei Baggerarbeiten fand man Funde aus dem 11. Jahrhundert und lernte, dass der jüdische Friedhof wohl früher größer war. Wieder schaltete sich die deutsche orthodoxe Rabbinerkonferenz ein und es folgten sogar jüdische Eingaben aus London: Die Unzerstörbarkeit der ewigen Grabesruhe habe Vorrang nach jüdischem Gesetz. Der Oberbürgermeister erklärte darauf die zugesagte Bebauung als hinfällig. Autor Kallweit kennt den Mainzer OB persönlich und fragte ihn 5 Jahre nach dieser Entscheidung und der gab zu, man sei i.S. Judensand vor der Religion eingeknickt.

Carsten Frerks “Violettbuch Kirchenfinanzen” wird auch hier gern zitiert, wenn es um Geldströme aus staatlichen Kassen in christliche deutsche Kirchen geht. Wer es noch nicht weiß, lernt dann ausführlich, wie verstrickt – man möchte fast sagen versifft – die Rundfunkmedien und die Kirchen sind. Alles staatlich gewollt, wie auch im Gesundheits- und Sozialbereich, wo die Großkirchen expandierende Unternehmen betreiben.

Nun tut sich für den Autor ein weites Feld mit Grundlagenforschung auf: Er überprüft historische Quellen bei anderen Völkern und beschreibt, wie “Gottes Wort” entstanden ist. Interessante Fakten zum Heiligen Geist, dem Judenhass bis zur Unfehlbarkeit des Papstes werden dargelegt. Über die Glaubensinhalte arbeitet sich Kallweit an christlichen Personalien wie Jesus, Maria und Paulus ab und fragt “Wer oder was ist Gott”. Sein Fazit zum Glaubensbekenntnis: Es hält einer kritischen Prüfung nicht stand und somit fällt das ganze christliche Glaubensgebäude in sich zusammen.

Amüsant zu lesen sind Gerd Kallweits persönliche Bekenntnisse zum Fußball rund um seinen Heimatverein Mainz 05. Selbstironisch erklärt er Fußball-Faszination und fragt dazu in der vorhandenen, ernsthaften Literatur von diversen Professoren und Universitäten nach. “Männer sind Jäger, die man nicht mehr braucht. Und deshalb brauchen sie den Fußball” ist ein Zitat aus erwähntem Professorenkreis. Es geht weiter um Sieg und Niederlage und ein illusionäres Wir-Gefühl. Das Buch wurde vor der WM in Brasilien geschrieben, aber der noch gut in Erinnerung befindliche Fußball-Hype mit Weltmeister Deutschland (sehr glücklich gewonnenes Endspiel) unterscheidet sich in nichts von anderen Fußball-Großereignissen, die der Autor analysiert. Fußball wird oft als Religion bezeichnet, zumindest als Ersatzreligion. “Gott ist rund und der Rasen ist heilig” ist einer der Aufsätze zum Thema.

Fleissig zitiert der Autor Vergleiche zwischen Religion und Fußball und man liest bemerkenswerte Ergebnisse. Einen Vergleich der FIFA mit dem Vatikan hätte ich mir noch gewünscht.

Zum Thema Fußball und Politik darf Berlusconi aus Italien nicht fehlen, der das Wechselspiel zwischen Fußball und Medien auf die Spitze trieb. Ihm gelang es mit Hilfe von Fußball und Fernsehen die politische Macht als Ministerpräsident zu erobern und den Staat für seine Interessen zu missbrauchen. Der Autor hat Recht, so etwas kann in Italien, aber nicht hier passieren. Sehen und gesehen werden gilt aber auch für unsere Politpromis auf den Rängen der Stadien. Seine Fragebögen an die Politiker beinhalteten einige Fußballfragen und der Autor lässt uns an den Ergebnissen teilhaben.

“Worauf es ankommt” und “Woher Werte nehmen” sind die abschließenden Kapitel des Buches. Dem christlichen Glaubensgebäude fehlen tragfähige Fundamente. Dennoch hofiert der Staat die Kirchen, lassen Abgeordnete sich bei politischen Entscheidungen von Glaubensaussagen beeinflussen. Der Autor findet das bedenklich, und er kritisiert, der demokratisch organisierte Staat leiste damit der Obrigkeits-Orientierung Vorschub. In der Politik, so empfiehlt Gerd Kallweit, müsse die Devise “denken statt glauben” gelten.

 


Staat - Kirche - Fußball, Gerd Kallweit, Shaker Media, 193 Seiten, 15,90 Euro / 19,88 SFr