Reportage

Eine Stadt voll gepackter Koffer

Drei Sprachen und die Korruption

Die komplizierte Machtteilung zwischen den Ethnien zeigt sich auch im Alltag. Die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen etwa sind auf Bosnisch, Kroatisch und Serbisch aufgedruckt. In dieser Reihenfolge. In der Regel sind sie bis auf den letzten Buchstaben identisch. Und selbst wenn nicht – von Kroaten bevorzugte Ausdrücke werden auch von Bosnjaken und Serben verstanden. Und umgekehrt. Auch das serbische Kyrillisch können so gut wie alle lesen.

Die grassierende Korruption macht es nicht besser. Dass Politikerinnen und Politiker ihre Ämter nur anstreben, um mehr oder weniger illegal ein Vermögen anzuhäufen, ist eine Meinung, die mit Ausnahme von einer einzigen Frau alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner während meiner Reise von sich aus geäußert haben, wenn das Thema Politik angeschnitten wurde.

Unabhängig davon, ob dieser Verdacht auch nur annähernd gerechtfertigt ist oder nicht – dass er auf so breiter Basis steht, zeugt davon, dass die politische Klasse in Bosnien das Vertrauen zumindest weiter Teile der Bevölkerung verloren hat.

Besserung: Nicht in Sicht

Besserung ist nicht in Sicht. “Konservative und religiöse Bewegungen und Populisten sind im Aufwind”, beschreibt Selma. Bei den Wahlen im Oktober etwa gelten Mustafa Cerić und Fahrudin Radončić als aussichtsreichste Präsidentschaftskandidaten. Ihre politischen Parteien werden wichtige Rolle im gleichzeitig gewählten Parlament spielen.

Cerić ist der ehemalige Anführer der islamischen Gemeinschaft in Bosnien. Radončić ist der reichste Mann Bosniens und kontrolliert die größte Tageszeitung des Landes. Offiziell gehört sie seiner Exfrau. “Ich werde nicht wählen”, sagt Selma. Für sie gibt es nicht einmal mehr das sprichwörtliche kleinere Übel. “Und ich habe immer meinen Freundinnen und Freunden gesagt: Geht wählen. Aber ich glaube, die einzige Möglichkeit, jetzt zu protestieren, ist, der Wahl fernzubleiben.” Auch Majda zeigt sich skeptisch, ob es bei diesen Wahlen eine Alternative zu den herrschenden Zuständen gibt.

Auch die Protestbewegung vom Februar hat sich weitgehend ausgebrannt. Nach dem anfänglichen Enthusiasmus ist keine breite Volksbewegung entstanden. Nur vor dem Amtssitz des Präsidenten und dem Parlament hängen noch Protesttransparente. Demonstranten sehe ich weit und breit keine. Was auch daran liegen mag, dass es regnet. Nur am Präsidentensitz sind noch die Spuren des Brandes zu sehen.

Homosexuelle flüchten, wenn sie können

Die ökonomische Lage ist nicht der einzige Grund, warum es Menschen ins Ausland zieht. Über Vermittlung von Majda treffe ich eine weitere bosnische Künstlerin. Sie ist seit mehreren Jahren mit einer Psychologin liiert. “Selbst unter ihren Kolleginnen und Kollegen gilt Homosexualität als unerwünscht. Nicht wenige betrachten es als Krankheit”, schildert sie. Ihre Partnerin hält die Beziehung geheim. “Sie befürchtet, dass es ihr beruflich schadet, wenn das bekannt wird.”

In Bosnien sehen die beiden keine Zukunft, in Serbien und Kroatien ist die Lage nicht besser. Die beiden werden in den nächsten Monaten nach Berlin oder Wien ziehen. “Das wird sich danach entscheiden, wo meine Freundin leichter eine Arbeit findet. Ich als Künstlerin habe da weniger Hürden.”

Warum man trotzdem in Sarajevo bleibt

Diesen Widrigkeiten zum Trotz, auch abseits der herausgeputzten touristischen Attraktionen gibt es Dinge, die die Menschen in der Stadt halten. Juliet aus Großbritannien hat sich in Sarajevo verliebt und ist nach einigen Urlaubsaufenthalten vor fünf Jahren hier geblieben.

Sie betreibt eine kleine Wäscherei und arbeitet als Metallkünstlerin. Juliet stellt Halsketten her und verziert Džezve, die Kännchen, in denen türkischer Kaffee gemacht wird. Reich wird sie mit diesen zwei bis drei Jobs nicht. “Es reicht aber zum Leben”, sagt sie. “Das ist so eine wundervolle Stadt mit so freundlichen und warmherzigen Menschen. Und das hat nichts mit Balkanklischees zu tun.”

Juliets kleine Wäscherei ist mittlerweile zum Treffpunkt geworden, für Touristen ebenso wie für Einheimische. Es ist fast ständig jemand da zum Plaudern oder um einen Kaffee zu trinken. “Diese Kommunikationskultur findet man nicht überall”, sagt Juliet.

Das gesellschaftliche Leben findet draußen statt

Und egal um welche Tages- und Nachtzeit, egal bei welchem Wetter: Immer findet man Menschen in Kaffeehäusern und Bars oder bei einer Nargila, wie die Shisha hier genannt wird. Meist in Gruppen von Freunden und Bekannten.

Bis in die späten Nachtstunden wird auf den Straßen spaziert, nicht selten in Gespräche vertieft. Der öffentliche Raum wird hier als gemeinsames Gut begriffen, das es zu nutzen gilt. Auch wird man selten so viele Straßenschachpartien finden wie hier.

Besser geworden ist es nicht

Nicht weit von der kleinen Wäscherei entfernt hat Jasmin seinen Antiquitätenladen. Auch er zeigt sich weitgehend zufrieden. Der 100. Jahrestag des Attentats auf den Habsburger Thronfolger Franz Ferdinand und des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs haben zahlreiche Touristen in die Stadt gebracht. Die Geschäfte dürften nicht schlecht laufen.

“Ich habe aber manchmal Probleme, neue Waren zu finden”, sagt er. Größere Fahnen Jugoslawiens etwa gebe es nur mehr in einem einzigen Auktionshaus. Die sind bei Touristen sehr beliebt. “Früher hatte das jeder Laden und die Fahne musste bei jedem Feiertag aufgehängt werden. Wenn nicht, kam die Polizei.” Jasmin trauert dieser Zeit ein wenig nach. “Besser geworden ist es seitdem nicht.”

Improvisation und Kreativität

Und dann wäre da noch die Gastfreundlichkeit, die auch ich genießen darf. Ich wohne während meines Aufenthalts bei meiner alten Freundin Majda. Majda wohnt genau genommen in der Wohnung von Nina. Die Augenärztin ist für eine Postgraduate Ausbildung zwei Jahre in die USA gegangen und hat die Wohnung für diese Zeit ihrer Bekannten überlassen. So wohne ich streng genommen bei Nina. “Das ist aber kein Problem”, sagt Majda. “Ich hab natürlich gefragt und du bist auch ihr Gast.”

Dieses Wohnungsarrangement ist ein Beispiel für weitere durchaus charmante Eigenschaften der Menschen in diesem Land: Improvisationstalent, Kreativität und Mobilität. Das äußert sich auch im Stadtbild Sarajevos: Nahezu jede verfügbare Fläche im Stadtzentrum scheint als Gastgarten oder für einen noch so kleinen Markt verwendet zu werden. In beinahe jedem Innenhof und Durchgang findet sich ein Cafe oder ein Geschäft.

Visionen fehlen

Das ermöglicht zumindest ein Überleben auf bescheidenem Niveau. Nachhaltig ist diese Art des Wirtschaftens nicht. Irgendwer muss die Waren ja kaufen und die Getränke ja konsumieren. Für ein Wirtschaftssystem, das den allgemeinen Wohlstand fördern würde, fehlen freilich die politischen Kräfte. Und eine Vision, wie sich diese Gesellschaft verändern lässt.