BERLIN. (hpd) Wird der Bundestag mit großer Mehrheit die Kriminalisierung von Sterbehilfe beschließen und das Menschenrecht auf Selbstbestimmung über das eigene Sterben beschädigen? Die Befürchtungen über eine solche Entwicklung wachsen mit jedem aus Abgeordnetenkreisen veröffentlichten Positionspapier.
Es ist nicht erkennbar, dass die Ansicht der Mehrheit in Deutschland, die für Sterbehilfe eintritt, in der im nächsten Jahr anstehenden Bundestagsentscheidung Berücksichtigung finden wird.
Dem Vorgehen sämtlicher Bundestagsparteien, das Thema nur hinter den verschlossenen Türen des Bundestages zu behandeln, die eigenen Mitglieder von einem Votum fernzuhalten, scheint niemand Einhalt gebieten zu wollen. Eine Gruppe grüner Parteimitglieder will jetzt jedoch für den Ende November stattfindenden Bundesparteitag eine parteiweite Debatte herbeiführen.
In einem Antrag “Selbstbestimmung bis zum Lebensende – Keine Kriminalisierung von Sterbehilfe” fordern rund fünfzig Grünen-Mitglieder ein klares Nein zur Gröhe-Initiative und eine Verteidigung des Menschenrechts auf Selbstbestimmung auch am Ende des eigenen Lebens. In dem Antrag heißt es, dass “die Initiative aus CDU-Kreisen versucht, ihre religiös-konservativen christlichen Vorstellungen von der ‘Unverfügbarkeit des Lebens’ mit den Mitteln des Strafrechts für die gesamte Gesellschaft verbindlich zu machen. Derartige Vorstellungen dürfen in einem religiös und weltanschaulich neutralen Staat und einer religiös und weltanschaulich pluralen Gesellschaft keine Allgemeingültigkeit beanspruchen.”
Die AntragstellerInnen verlangen, dass “ein Sterben in Selbstbestimmung und Würde niemandem verwehrt werden” dürfe. Eine Kernaussage des Antrags lautet: “So wenig, wie jemand zum Leben gezwungen werden darf, darf jemand zum Sterben gedrängt werden. Die Entscheidung darüber, ob das eigene Leben noch als lebenswert eingestuft wird, muss bei dem betroffenen Menschen selbst liegen.”
Hierzu fordert der Antrag, dass organisierte Sterbehilfe rechtlich (weiterhin) möglich sein muss, dass eine umfassende Beratung von Sterbewilligen zu gewährleisten und für die Ärzteschaft Rechtssicherheit zu schaffen ist. Eine Kommerzialisierung von Sterbehilfe wird jedoch abgelehnt; dazu heißt es in dem Antrag: “Sterbehilfe darf nicht zu einer gewinnträchtigen Einnahmequelle werden und nicht aus eigennützigen Motiven geleistet werden dürfen. Eine Kommerzialisierung ist nicht mit der Würde der Sterbewilligen, dem Respekt vor der letzten Lebensphase des Menschen und mit den Anforderungen an eine ethisch begründete Rechtsordnung vereinbar.”
Ob der von Walter Otte und Jürgen Roth (beide Mitglied in der grünen Vorstandskommission “Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat”) initiierte Antrag Erfolg auf dem Parteitag haben wird, ist derzeit noch offen. Gegenwärtig heißt es, dass der grüne Bundesvorstand nicht einmal eine Debatte zur Sterbehilfe auf dem Parteitag wünsche. Deshalb haben sich die beiden Erstunterzeichner des Antrags kürzlich mit einem Schreiben an den Parteivorstand gewandt und zudem die grünen Kreisverbände aufgerufen, dafür einzutreten, dass diese Thematik auf dem Parteitag auch behandelt wird.
Unterzeichnet haben den Antrag neben Otte und Roth, die beide auch Sprecherfunktionen bei den Säkularen Grünen innehaben, u.a. die Bundestagsabgeordnete Renate Künast, Irmingard Schewe-Gerigk (ehemalige Parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Bundestagsfraktion und langjährige Vorsitzende von TERRE DES FEMMES), die bundesweit renommierte grüne Berliner Sozialpolitikerin Sibyll Klotz, Martin Beck (Berliner Landesvorsitzender des HVD) Rudolf Ladwig (Mitglied des Koordinationsrates Säkularer Organisationen), Memet Kilic (ehem. Sprecher für Migration und Integration der grünen Bundestagsfraktion), Victor Schiering (MOGiS e.V.), Ute Wellstein und Christian Saftig (grün-säkulare Mitglieder im rheinland-pfälzischen “Runden Tisch ‘Staat und Kirche’” der grünen Landespartei) sowie mehrere Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete sowie Bundes- und LandessprecherInnen der Säkularen Grünen.
Mit Renate Künast hat den Antrag auch diejenige Bundestagsabgeordnete unterzeichnet, die als bislang einzige Parlamentarierin seit Monaten für eine liberale Regelung der Sterbehilfe wirbt und jegliche Kriminalisierung organisierter Sterbehilfe und ärztlich assistierten Suizids entschieden ablehnt.
Bislang ist nicht bekannt, ob entsprechende Initiativen auch in anderen Parteien ergriffen werden. Notwendig wäre dies schon, um der regen Propagandatätigkeit der Lobbyisten von Kirchen und muslimischen Vereinigungen sowie von Hospizverbänden entgegen zu treten.
2 Kommentare
Kommentare
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Ich stimme mit den Ausführungen und den Begründungen völlig überein. Ein Satz daraus allerdings machte mich stutzig.
Auch damit wäre ich einverstanden. Allerdings scheint mir die Begründung ziemlich einseitig gedacht zu sein. Gilt eine solche Begründung denn nicht auch für das Gegenteil?
Ich formuliere in Analogie zu obiger Begründung:
»Hilfe zum Überleben (z.B. durch eine lebensrettende Operation) darf nicht zu einer gewinnträchtigen Einnahmequelle werden und nicht aus eigennützigen Motiven geleistet werden dürfen. Eine Kommerzialisierung ist nicht mit der Würde der um ihr Leben ringenden Menschen, dem Respekt vor dem Recht des Menschen auf Leben und mit den Anforderungen an eine ethisch begründete Rechtsordnung vereinbar.«
Warum sollte ein Arzt, der sich um die Gesunderhaltung und das Weiterleben eines schwerkranken Menschen bemüht und dafür honoriert wird, sich nicht mit ebensolcher Hingabe um das schmerzfreie und würdige Begleiten in den Tod eines sterbewilligen Menschen kümmern und auch dafür ein angemessenes Honorar erhalten dürfen?
Ich verstehe allerdings, dass das Verbot der Kommerzialisierung die Durchsetzung der Sterbehilfe erleichtern würde und von daher eher ein taktisches Argument sein kann. Ich meine auch, dass eine neutrale Beratung und eine gegebenenfalls geleistete Sterbehilfe ohne finanzielle Entlohnung der Tragik einer solchen Situation angemessen wäre. Nur die oben gegebene Begründung dafür scheint mir nicht sehr logisch zu sein. Denn auch Bestattungsunternehmen machen große Geschäfte mit dem Tod von Menschen. Das wird offenbar nicht als unwürdig empfunden.
valtental am Permanenter Link
Die Geschäftstätigkeit eines Bestattungsunternehmen beginnt nach dem Tod eines Menschen, auf den es keinen Einfluss ausüben kann.