Wahl zur Nationalversammlung Türkei

Grüne fordern zur Wahl der säkularen HDP auf!

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Das türkische Parlament
Das türkische Parlament

BERLIN. (hpd) Bei den Wahlen zur türkischen Nationalversammlung Anfang Juni wird es zu einer Weichenstellung für die türkische Zukunft kommen, je nachdem, ob die islamistische AKP eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit erhält oder im Gegenteil sogar an Unterstützung verliert.

Staatspräsident Erdogan strebt ein autoritäres Präsidialsystem an, um die eingeleitete Islamisierung der Türkei schneller und reibungsloser voranzubringen. Die anderen bislang in der Nationalversammlung vertretenen Parteien (Nationalisten und Kemalisten) verweigern sich bisher diesem Vorhaben. Politisch gefährlich aber könnte dem Islamisierungsprojekt vor allem die HDP ("Demokratische Partei der Völker") werden, wenn sie den Einzug in Nationalversammlung schafft. Diese Partei ist säkular und demokratisch ausgerichtet, ohne die "Erblast" der alten kemalistischen Eliten mit sich herumzuschleppen. Und sie ist nicht nationalistisch.

Bei der HDP handelt es sich um einen Zusammenschluss linksgerichteter Organisationen in der Türkei aus dem linkskurdischen und sozialistischen Spektrum, von Aleviten, von Aktivisten der Gezipark-Bewegung, der LGBT-Bewegung, von Menschenrechts- und Frauenrechtsaktivisten. Das Bündnis wird auch von der grünen Partei der Türkei unterstützt.

Bislang rechnen sich 29 Abgeordnete der Nationalversammlung der HDP zu, die aber sämtlich aus der pro-kurdischen Partei BDP übergetreten sind. Aufgrund einer 10-Prozent-Klausel des türkischen Wahlgesetzes muss die HDP diesen Wähleranteil landesweit erhalten; nach aktuellen Umfragen befindet sie sich im Bereich von etwa 10 Prozent der Wählerstimmen und könnte somit diese Hürde schaffen. In diesem Fall würde sie rund 50 der 550 Abgeordneten stellen.

Verhinderung einer Alleinregierung des Islamisten Erdogan

Auf einer Wahlveranstaltung in Berlin im März dieses Jahres machte der Co-Parteivorsitzende Selahattin Demirtaş vor rund 2.000 Teilnehmern deutlich, dass es sich bei Wahl im Juni um eine historische Wahl handele, bei der zwei Weltanschauungen miteinander konkurrierten. Ein Sieg der AKP bedeute deren Alleinherrschaft. Die HDP erhoffe sich starke Unterstützung von den in Europa lebenden Türken; mit deren Hilfe werde die 10-Prozent-Hürde übersprungen werden können.

"Werte von Freiheit, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Friede und Solidarität"

Logo der HDP
Logo der HDP

Wurde die HDP in Deutschland bislang lediglich von der LINKEN unterstützt, so hat jetzt auch der Bundesvorstand der Grünen zur Wahl der HDP aufgerufen. In dem Wahlaufruf heißt es u.a. "Wie wir Grüne steht das Bündnis der HDP für die Werte von Freiheit, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Friede und Solidarität."

In dem Bündnis, das die HDP bilde und in dem auch die türkischen Grünen vertreten seien, engagierten "sich viele zivilgesellschaftliche VertreterInnen wie Bürgerrechtler und Intellektuelle, Friedens- und Umweltaktivisten, Vertreter der LGBT-Bewegung sowie der Istanbuler Gezi Park Bewegung." Die HDP, so der grüne Bundesvorstand, sei die einzige tatsächliche Alternative in der türkischen Politik, "steht für Umweltschutz und spricht sich klar gegen Atomenergie aus. Sie setzt sich für eine Türkei ein, in der niemand aufgrund seiner Meinung, Identität, seines Glauben und seiner Weltanschauung diskriminiert oder unterdrückt wird. Dazu gehört auch der Einsatz für die Rechte von Lesben und Schwulen. Sie fordert eine friedliche Lösung gesellschaftlicher Konflikte und tritt für ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gruppen und religiösen Glaubensrichtungen ein."

Wahlkundgebung Grüne und HDP in Köln

Am kommenden Donnerstag, dem 28. Mai, wird in Köln eine gemeinsame Wahlkundgebung von Bündnis 90 / Die Grünen, der HDP und den türkischen Grünen stattfinden, auf der der grüne Parteivorsitzende Cem Özdemir, der stellv. HDP-Vorsitzende Nazmi Gür und Sevil Turan, die Vorsitzende der türkischen grünen Partei, gemeinsam auftreten werden. Moderiert wird die zweisprachige Kundgebung von Berivan Aymaz, Mitglied des Kölner Stadtrates und Co-Sprecherin der Säkularen Grünen NRW.

Neuorientierung der Islam-Politik der Grünen?

Politikbeobachter rechnen aufgrund dieser eindeutigen Positionierung mit einer grundsätzlichen Änderung der grünen Islam-Politik, die bislang kritische "liberale" Muslime sowie Ex-Muslime unbeachtet gelassen und weitgehend unkritisch auf die Unterstützung der konservativ-orthodoxen Islamverbände gesetzt hat. Zu diesen Verbänden zählen Ditib und Millli Görüs, die mit der türkischen Religionsbehörde (Diyanet) und der AKP eng verbunden sind, und wie Ditib sogar in einem finanziellen und organisatorischen Abhängigkeitsverhältnis zu Diyanet stehen. Diese "Verbundenheit" zeigte sich vor wenigen Wochen auch auf der Wahlkampfveranstaltung des Islamisten Erdogan in Stuttgart u.a. darin, dass an der Wand hinter dem Rednerpult in vielfacher Ausfertigung die Logos von Ditib und Milli Görüs angebracht waren.

Auch soll in vielen Moscheen zu einer Teilnahme an der Erdogan-Veranstaltung für eine weitere Islamisierung der Türkei aufgerufen worden sein. Nachdem die Wandplakatierung allgemein bekanntgeworden und in die Kritik geraten war, haben die Islamverbände nun die Βehauptung in die Welt gesetzt, die Verwendung ihrer Logos sei ohne Rücksprache mit ihnen erfolgt - ein durchsichtiger Versuch, die enge Verbundenheit gegenüber der deutschen Öffentlichkeit zu kaschieren.

Säkulare-Grünen-Sprecher: "Erdogan ein Feind der Freiheit und der offenen Gesellschaft"

Walter Otte, einer der beiden Vorstandssprecher der Säkularen Grünen auf Bundesebene, äußerte sich dahingehend, dass es nicht angehe, einerseits gegen die weitere Islamisierung der Türkei Front zu machen, andererseits aber Ditib und Millli Görüs, die für diese Islamisierung stehen, als Bündnispartner in der deutschen Politik zu hofieren. "Erdogan ist ein Feind der Freiheit und einer offenen Gesellschaft; sollen diejenigen, die seine Islamisierungspolitik bejubeln, in Deutschland mittels Religionsunterricht und Bestimmung über islamische theologische Fakultäten die Deutungshoheit über den Islam bekommen und ganze Generationen junger Muslime und Musliminnen indoktrinieren dürfen?" fragt Otte, der auch Mitglied in der grünen Vorstandskommission zu Religions- und Weltanschauungspolitik ist.

Am Beispiel Ditik und Milli Görüs zeige sich, wie wenig Wert verbale Treueschwüre auf das Grundgesetz hätten, wenn die (nicht nur geheime) Agenda eine ideologische Ausrichtung auf ein autoritäres islamistisches System beinhalte. "Wir dürfen in Deutschland solche Kräfte, die auf ein islamistisches System orientieren weder mit Steuergeldern unterstützen noch ihnen die Beeinflussung junger Menschen an Schulen und Hochschulen gestatten", meint Otte. Grüne dürfte Reformmuslime wie Khorchide ebenso wenig allein lassen wie Aleviten, liberale Muslime und Ex-Muslime. Diejenigen, die sich auf Initiative der Konrad-Adenauer-Stiftung im Muslimischen Forum organisierten, dürften von den Grünen nicht ignoriert werden.

Die nächsten Monate dürften deshalb sowohl innenpolitisch als auch inner-grün durchaus spannend werden; plant dem Vernehmen nach doch die rot-grüne Landesregierung von NRW die zügige Anerkennung der Erdogan-Unterstützer Ditib und Milli Görüs als Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus.