Der dschihadistische Terrorismus in Deutschland

(hpd) Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg legt mit “Al-Qaidas deutsche Kämpfer. Die Globalisierung des islamistischen Terrorismus” eine ausführliche Darstellung zur Entwicklung des Phänomens mit Deutschland-Bezug dar. Es handelt sich um eine überaus informative und sachkundige Darstellung, die große Aufmerksamkeit verdient, hier und da aber wäre etwas mehr Analyse wünschenswert gewesen.

In Sachen Analysen zum Dschihadismus bzw. Islamismus haben die Islamwissenschaften in Deutschland merkwürdigerweise eine weitgehende Leerstelle, obwohl dieses Thema schon längst nicht mehr nur mit Bezug auf die islamisch geprägte Welt von offenkundiger Bedeutung ist. Deutschland ist nicht mehr nur ein Rückzugs- und Ruheraum für Akteure aus diesem politischen Lager. Mittlerweile reisen Salafisten mit deutscher Sozialisation nach Syrien.

Derartige Entwicklungen haben in den letzten Jahren nur wenige Islamwissenschaftler akribisch aufgearbeitet und analytisch kommentiert. Eine solche Ausnahme stellt Guido Steinberg, ehemaliger Referent im Bundeskanzleramt und jetziger Mitarbeiter der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik, dar. Er gehört zu den wenigen Experten, die in Magazinberichten und Talkshows auftreten, und auch wirkliche Experten sind. Dies dokumentiert Steinberg erneut in einem umfangreichen Band mit dem Titel “Al-Qaidas deutsche Kämpfer. Die Globalisierung des islamistischen Terrorismus”.

Beispielbild

Wie der Titel bereits nahe legt, konzentriert sich die Darstellung auf die Situation in Deutschland, wofür die geschilderten und kommentierten Ereignisse auch gute Gründe liefern. Denn: “Deutschland allgemein und insbesondere Amerikaner in Deutschland sind zunehmend wichtige Ziele für Dschihadisten geworden” (S. 14).

Steinberg spricht dabei in mehrfacher Hinsicht von einer “Internationalisierung des dschihadistischen Terrorismus”, welche in der Folge der Anschläge des 11. September 2001 zugenommen habe. Sein Blick richtet sich dabei in erster Linie auf die Entwicklung mit Deutschland-Bezug. Demnach geht es zunächst um die “zwei Hamburger Zellen”, womit die Planer der erwähnten Anschläge in New York und Washington von 2001 und eine Gruppe von elf Aktivisten mit Ausreiseziel Pakistan in 2007 gemeint sind. Die ersten Schritte zur Internationalisierung des deutschen Dschihadismus unternahm für Steinberg indessen “die Sauerland-Gruppe” (S. 87), welcher der Autor auch ausführliche Aufmerksamkeit widmet.

Dabei geht er nicht nur ausführlich auf deren Aktivisten und Handlungen ein. Der Autor beleuchtet auch den Hintergrund der Auftraggeber für deren Anschlagspläne, was sich in der intensiven Darstellung und Kommentierung der usbekischen Islamischen Dschihad-Union artikuliert. In ihrem Namen agierte auch der erste deutsche Selbstmordattentäter Cüneyt Ciftci, der aus Ansbach kam und sich 2008 in Afghanistan in die Luft sprengte.

Ausführlich geht Steinberg auf die Entwicklung in der Türkei ein, welche mehr als nur eine Logistikdrehscheibe sei. Radikalisierung und Rekrutierung in Deutschland spielen als Themen ebenfalls eine wichtige Rolle. Die zentrale These seiner Arbeit laute indessen, “dass die internationalistische Szene und Ideologie, die wir heute beobachten, sich erst nach dem 11. September 2001 entwickelte und dass die dschihadistische Bewegung seither einen Prozess der Internationalisierung vollzogen hat, der ihren Charakter maßgeblich veränderte” (S. 23). Dies macht auch ein Kapitel zu den gegenwärtigen Syrien-Auswanderern deutlich.

Alle Ausführungen im Band sind von der besonderen Expertise des Autor geprägt. Anschaulich und kenntnisreich beschreibt und kommentiert er die jeweiligen Entwicklungen. Insgesamt hätte man sich indessen ein Mehr an Analyse gewünscht.

Es gibt aber auch immer wieder bemerkenswerte Einschätzungen. So führt Steinberg das Scheitern der Anschläge in Deutschland auf die “mangelnde Professionalität” der Aktivisten und deren Herkunft aus “bildungsfernen Schichten” (S. 372f.) zurück, was allerdings nicht der Beruhigung dienen sollte. Er sieht auch eine bedenkliche “Schwäche der deutschen Sicherheitsbehörden” (S. 397), wobei er für diese durchaus gut begründbare Einschätzung keine näheren Ausführungen liefert.

Gerade ausführlichere analytische Einschätzungen hätten diesem ausgezeichneten und lesenswerten Band noch zusätzliche Qualität geben können. Mit Verwunderung nimmt man allerdings zur Kenntnis, dass das Buch bereits 2013 in den USA erschien und erst 2014 eine deutsche Rückübersetzung auf den Markt kam.

 


Guido Steinberg, Al-Qaidas deutsche Kämpfer. Die Globalisierung des islamistischen Terrorismus, Hamburg 2014 (Edition Körber-Stiftung), 457 S., 18 Euro