Antisemitismus und Sexismus

(hpd) Die Soziologin Karin Stögner will in ihrer Studie “Antisemitismus und Sexismus” Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Diskriminierungsideologien erörtern. Man enthält bei der Lektüre viele Anregungen und Informationen zu weiteren Reflexionen, indessen fehlt es der Studie an Bodenhaftung und Systematik, wäre doch eine Konzentration auf eine bestimmte Fragestellung bzw. ein besonderes Untersuchungsfeld erkenntnisfördernder gewesen.

Schon Theodor W. Adorno hatte in seinen mittlerweile als Klassiker der Vorurteilsforschung geltenden Studien zum autoritären Charakter darauf hingewiesen, dass Antisemitismus und Sexismus als gleichzeitigem Ausdruck von diesem gelten können. Auch die Untersuchungen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die vom Bielefelder Institut für Konflikt- und Gewaltforschung erstellt wurden, gehen von Gemeinsamkeiten beider Einstellungen aus.

Doch bislang ist man diesem Kontext noch nicht näher nachgegangen. Dies beabsichtigt die Soziologin Karin Stögner in ihrem Buch “Antisemitismus und Sexismus. Historisch-gesellschaftliche Konstellationen” zu tun. Ziel dabei solle eine gesellschaftsanalytische Rekonstruktion der objektiven und subjektiven Bedingungen von Antisemitismus und Sexismus sein, um den konzeptionellen Nachvollzug ihrer Funktions- und Motivationszusammenhänge zu ermöglichen. Dabei sollten kultursoziologische und sozialpsychologische Perspektiven im Sinne der Kritischen Theorie genutzt werden.

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Stögners Arbeit gliedert sich in sieben unterschiedlich große Kapitel: Zunächst geht es um Natur als Ideologie, wobei etwa Körperfeindlichkeit und Körperidol, aber auch der Hass auf Schwäche analysiert werden. Danach stehen Antiintellektualismus und Geistfeindschaft sowie der Druck zu Eindeutigkeit und Einheit im Zentrum des Interesses. Sozioökonomische Fundierungsverhältnisse von Antisemitismus und Sexismus bilden anschließend einen Schwerpunkt, wobei es etwa um die Rede vom “Geldjuden” und der “Hure” geht. Dem folgend behandelt die Autorin gesellschaftliche und politische Faktoren, etwa hinsichtlich des Kontextes von Antisemitismus und Sexismus mit Nation. Besonders große Aufmerksamkeit erfahren danach Geschlechterbilder und Körperkonstruktionen als Medien von Antisemitismus und Sexismus bezogen auf die Bilder von Jüdinnen zu verschiedenen Zeiten. Und schließlich behandelt die Autorin noch Erfahrungen jüdischer Frauen in Österreich mit Antisemitismus und Sexismus anhand von Interviewaussagen.

Bilanzierend heißt es in der Formulierung von Stögner: “Eine gesellschaftstheoretische Analyse, deren Augenmerk auf die Multidimensionalität des sozialen Lebenszusammenhanges liegt, erwies sich als besonders fruchtbar im Hinblick auf zwei zusammenhängende Momente: dem gesellschaftlichen Umgang mit Natur und dem Zwang zu Einheit und Eindeutigkeit” (S. 283). Und weiter: “Die Überhöhung von Stärke und eine entsprechende Konstruktion von Männlichkeit, in der kalte und distanzierte Überlegenheit über jedes Sich-Hingeben an die umgebende Welt triumphiert, ist ebenso Bestandteil antisemitischer wie sexistischer Ideologie” (S. 284). Und schließlich heißt es auch: “Ein aufschlussreiches Resultat der qualitativen Exemplifizierung des Zusammenhangs von Antisemitismus und Sexismus anhand von Interviews mit jüdischen Frauen in Österreich ist der Aktualitätsgrad von antisemitisch-sexistischen Stereotypen, die im 19. Jahrhundert entstanden sind und im Fin de Siècle eine Blüte erleben” (S. 288).

Die Studie greift einen beachtenswerten Zusammenhang auf und vermeidet auch die Gefahr der Relativierung der Diskriminierungsideologien. Man erhält eine Fülle von Anregungen und Informationen, welche auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier doch so scheinbar verschiedener Einstellungen und Handlungen abstellen. Insbesondere die Ausführungen zu gemeinsamen Strukturmerkmalen verdienen dabei Interesse. In der Gesamtschau fehlt es der Arbeit aber leider an der nötigen “Bodenhaftung”, d.h. ihrer Anbindung an die Auswertung von konkreten Untersuchungsobjekten.

Darüber können auch nicht die Ausführungen im letzten Kapitel, welche sich eben auf Gespräche mit österreichischen Jüdinnen stützen, hinwegtäuschen. Allzu theorielastig – hier durchaus in einem kritischen Sinne gemeint – wirken die meisten Kapitel. Darüber hinaus wäre die Konzentration auf bestimmte Fragestellungen oder Untersuchungsobjekte in der Gesamtschau sicherlich erhellender gewesen. So findet man zwar interessante Anregungen zum Thema, mehr aber leider nicht.

 


Karin Stögner, Antisemitismus und Sexismus. Historisch-gesellschaftliche Konstellationen, Baden-Baden 2014 (Nomos-Verlag), 330 S., 49,00 Euro