Zurück von der Leipziger Buchmesse

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Corinna Gekeler
Corinna Gekeler

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Unrast-Bücher
Unrast-Bücher

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Missionierung auf der Buchmesse
Missionierung auf der Buchmesse

LEIPZIG. (hpd) Am Sonntag schloss die Leipziger Buchmesse mit einem Besucherrekord: Etwas mehr als eine Viertelmillion Menschen hat an den vier vorausgegangenen Tagen die Bücherschau oder eine der zahlreichen Lesungen im Rahmen von "Leipzig liest" besucht. Aus der Fülle der für ein humanistisches Publikum interessanten Veranstaltungen haben wir zwei herausgesucht.

Corinna Gekeler auf der "Bühne"

In Halle 5 gibt es seit fünf Jahren eine "Bühne" für explizit linke Themen. Dieses Jahr wurden unter anderem Pasolini als politischer Denker vorgestellt, die Folgen des Fiskal-Regiments von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds für Griechenland erörtert und Texte von Nazim Hikmet gelesen. Und gleich am Donnerstag präsentierte Corinna Gekeler die zentralen Ergebnisse ihrer Studie "Loyal dienen".

Darin geht es um die Diskriminierung von Beschäftigten bzw. Arbeitssuchenden, die nicht so sind, wie für christliche Funktionäre ein anständiger Mensch zu sein hat: Wer nicht christlich ist, auf freier Meinungsäußerung besteht oder (im katholischen Herrschaftsbereich) gegen grundlegende Moralvorstellungen verstößt (z.B. nach einer Scheidung erneut heiratet), bekommt keinen Job.

Als Corinna Gekeler aufzählte, für welche Berufsgruppen dies gilt – Ärzte, Hausmeister, Programmierer und viele weitere, die rein gar nichts mit der Verkündigung des Glaubens zu tun haben –, reagierte das Publikum mit Kopfschütteln. In der anschließenden Diskussion wollte ein Mann mit ostdeutschem Akzent wissen, ob die "kirchlichen" Sozialeinrichtungen da nicht mancherorts Schwierigkeiten bekommen, qualifiziertes Personal zu finden. Die Referentin bejahte dies, verwies aber zugleich darauf, dass tatsächlich in vielen Krankenhäusern oder Sozialstationen Konfessionslose und Muslime arbeiten – teilweise machen sie bis zur Hälfte der Belegschaft aus. Diskriminiert werden jedoch auch sie, denn ihnen sind sämtliche Aufstiegsmöglichkeiten verschlossen; Ungläubige und Andersgläubige werden in "kirchlichen" Sozialeinrichtungen nur als Befehlsempfänger eingestellt.

Abtreibungsdebatte in der Kulturfabrik

Zum Schwangerschaftsabbruch schien es seit dem Kompromiss De-facto-Fristenlösung mit Beratungszwang keinen Diskussionsbedarf mehr zu geben. Doch seit entschlossene christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner den Konsens aufgekündigt haben, tritt wieder mehr Menschen ins Bewusstsein, dass die Angelegenheit nach wie vor im Strafgesetzbuch geregelt ist. So wurden auf der Podiumsveranstaltung des Unrast Verlags im Soziokulturellen Zentrum Frauenkultur gleich drei neue Bücher vorgestellt, die sich des Themas aus unterschiedlichen Perspektiven annehmen. Der Sammelband "Abtreibung. Diskurse und Tendenzen" wurde von den beiden Herausgeberinnen Ulrike Busch und Daphne Hahn vorgestellt, wobei sie besonders ausführlich ihren persönlichen Zugang erläuterten. Die Bandbreite der 15 Beiträge konnte verständlicherweise nur angerissen werden.

Eine der Beiträgerinnen, Katja Krolzik-Matthei, hat zudem in der "transparent"-Reihe des Unrast Verlags ein Einführungsbändchen zum § 218 unter einer feministischen Perspektive veröffentlicht. Sie konstatierte, dass die Debatte heute stark moralisch aufgeladen sei und politische Aspekte in der Hintergrund rutschen würden. So setze sich immer stärker die Auffassung durch, dass ein Schwangerschaftsabbruch allein das Problem der betroffenen Frau sei – eine bezeichnende Bedeutungsverschiebung des Begriffs der "Selbstbestimmung".

In der gleichen Reihe war schon im August vergangenen Jahres ein Buch zu christlichen "Lebensschützern" erschienen. Um die und deren Strategien drehte sich auch ein großer Teil der Diskussion. Zuvor hatten Ulli Jentsch und Eike Sanders einen Einblick in die Aktivitäten der Szene, wie etwa die "Märsche für das Leben" gegeben. Einig war sich das Podium darin, dass die "Lebensschützer" sich in den letzten Jahren um eine andere Rhetorik bemüht haben, die das Ziel verfolgt auch Kreise außerhalb des christlichen Spektrums zu erreichen, inwieweit dies mit einer "Säkularisierung" der Argumentation einhergeht, blieb strittig. Feststellen ließe sich jedoch, dass diese Öffnung nicht mit einer Aufteilung in verschiedene Flügel einhergeht: Auf Veranstaltungen treten nach wie vor neben scheinbar gemäßigten Abtreibungsgegnern auch Leute auf, deren Argumentation sich auf dem Niveau von "Babycaust" bewegt.

Am Ende wies eine junge Besucherin auf einen "Schweigemarsch für das Leben" hin, der für den 1. Juni in Annaberg-Buchholz geplant ist. Die Mobilisierung für eine Gegenveranstaltung habe bereits begonnen und könne über die Webseite "Schweigemarsch stoppen" verfolgt werden.

Lügenpropaganda

Natürlich bot die Buchmesse auch für religiöse Botschaften ein Podium. In Halle 3 gab es eine eigene "Leseinsel Religio", der ehemalige Schlagerstar und heutige Esoterik-Prophet Christian Anders hatte an die Wände der Messehallen geschätzt 200 Plakate mit seinem Konterfei kleben lassen und wer mit der Straßenbahn zur Messe fuhr, bekam auf den letzten Metern vor dem Eingang "Gutscheine" für evangelikale Ladenhüter in die Hand gedrückt. Am auffälligsten war sicherlich das "Bibelmobil", ein in einer der Hallen platzierter Doppeldeckerbus, auf dem so spannende Fragen zu lesen waren wie: "War König David ein Hallodri?"

An den diversen Verlagsständen im Religionsblock gab es kleinere Schriften häufig kostenlos, so auch "Feel the spirit – Dein Guide zur Firmung". Dort führt uns ein Artikel wieder zu unserem Ausgangsthema, den "kirchlichen" Sozialeinrichtungen. Ganz dreist wird dort schon im Inhaltsverzeichnis behauptet, dass es "ohne Kirchen kein soziales Leben" gäbe. Im Artikel wird dann ausgeführt, dass das soziale Netz ohne die Kirchen reißen würde. Über drei Seiten wird den Jugendlichen suggeriert, dass es die Kirchen sind, denen wir es zu verdanken haben, dass es Krankenhäuser und Kindergärten, Beratungsdienste und Sozialstationen gibt.

Das Vokabular ist dabei geschickt gewählt: Die Gesundheitsversorgung stehe (zum Beispiel in Paderborn) "zur Hälfte auf katholischen Füßen", weil die Kirche zwei von vier Krankenhäusern "unterhält". Kein Wort davon, dass es die Sozialkassen sind, die "kirchliche" Krankenhäuser finanzieren, und dass die Trägerschaft problemlos an einen anderen freien oder kommunalen Träger übergeben werden könnte. Und, natürlich, kein Wort dazu, dass in den "kirchlichen" Einrichtungen hinsichtlich der Arbeitsplätze über die Hälfte der Bevölkerung ausgegrenzt wird.