Interview mit Hamed Abdel-Samad

Zur Demokratie gehört eine freie Diskussionskultur

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Hamed Abdel-Samad
Hamed Abdel-Samad

BERLIN. (hpd) Der Autor Hamed Abdel-Samad wollte am 5. Juni 2015 vor der Burschenschaft "Germania" in Marburg aus seinem Buch "Der islamische Faschismus" lesen. Dagegen gab es insbesondere in den sozialen Netzwerken erheblichen Protest. Der hpd sprach mit dem Islamkritiker über die geplante Lesung, die Gründe für die Absage und die Demokratie.
 

hpd: In den letzten Tagen kochten - insbesondere in den Sozialen Netzwerken - die Emotionen hoch, weil Sie vor der Burschenschaft "Germania" in Marburg aus Ihrem aktuellen Buch lesen wollten. Wie kam es zu dem Termin?

Hamed Abdel-Samad: Alle Anfragen zu Veranstaltungen kommen nicht direkt zu mir, sondern zum Verlag. Dort gibt es eine eigene Abteilung für die Veranstaltungen des Verlags, und die Kollegen dort vereinbaren für mich Termine. Die sehen dann natürlich auch, wer mich einlädt.

Es war auch kein Fehler von der Kollegin dort, den Termin bei der "Germania" festzulegen. Für sie gibt es ja bestimmte Quellen, zum Beispiel den Verfassungsschutz, um Gruppen am rechten oder linken Rand zu unterscheiden. Da es sich um eine studentische Verbindung handelt, gab es erst einmal keinen Verdacht.

Es gibt schließlich keine Liste in Deutschland, wo drauf steht: "Das ist rechts, das ist links" - sondern es sind die Behörden, die das entscheiden - und ich finde das richtig so. Die Burschenschaft "Germania" wird in keinem Register geführt und sie wird auch nicht vom Verfassungsschutz beobachtet.

So kam es zu dem vereinbarten Termin und erst durch die Kritik auf Facebook wurden wir darauf aufmerksam, dass es möglicherweise Probleme mit dieser Einladung geben könnte.
 

Sie schrieben in ihrem ersten Kommentar auf Facebook, dass Sie sich haben beraten lassen…

Richtig! Ich habe einen Kollegen, der sich wissenschaftlich mit dem Thema befasst und mich beraten hat. Ich habe ihn gefragt: "Kannst du mir sagen, ob es sich hier um eine rechtsradikale Vereinigung handelt?" Er hat darauf gesagt, dass er sie als völkisch-national-verträumt - das waren seine Worte - einschätzt, aber keineswegs als rechtsradikal. Es gäbe keinen Nachweis, dass sie antisemitisch sind oder Holocaust-Leugner oder sich über Ausländer in irgendeiner Form radikal geäußert hätten.

Das war für mich der Grund, nun nicht sofort abzusagen.

Ich verlasse mich bei der Recherche nicht allein auf das Internet. Ich selbst bin jemand, über den im Internet seltsame Sachen stehen, die überhaupt nicht stimmen. Deshalb bin ich da sehr vorsichtig und erlaube mir kein Urteil allein auf Grundlage von Dingen, die im Netz stehen. Weder Facebook-Meldungen oder Screenshots beweisen etwas. Von mir wurden in Ägypten Screenshots verbreitet mit Dingen, die ich nie gesagt oder geschrieben habe.

Zum Beispiel steht irgendwo im Netz, dass die Burschenschaft einen "Arierausweis" verlangt - ich hab nachgefragt und hörte, dass das nicht stimmt. Das ist auch eine Art Diffamierung.
 

Was genau haben Sie getan, um sich vorurteilsfrei zu informieren?

Ich musste ein Instrument finden, um mir ein eigenes Bild zu machen. Ich habe mich entschieden, den einzig richtigen Weg zu gehen - selbst gegen den Widerstand von Freunden. Ich hörte von etlichen Freunden, die ich auch sehr schätze, "Hamed, tu das nicht…". Aber ich gehe meinen eigenen Weg, ich recherchiere selbst und entscheide selbst.
 

Hier muss ich zwischenfragen: Wo ziehen Sie die Grenze? Wo lesen Sie und wo nicht?

Ich geh nicht zu Rassisten, zu Leuten, die zu Gewalt aufrufen, nicht zu Menschen, die sich nicht zum Grundgesetz bekennen. Aber sonst rede ich mit jedem. Denn ich finde, man sollte mit jedem reden, auch wenn mein Gegenüber ein anderes Geschichtsbild oder Gesellschaftsbild hat als ich. Es hilft überhaupt nichts, wenn man eine Gruppe in die Isolation treibt, weil das genau das ist, was zur Radikalisierung führt.

Man muss sich mit ihnen auseinandersetzen. Ich scheue mich nicht davor. Ich bin in dieser Hinsicht vielleicht nicht so sehr vorbelastet wie deutsche Kollegen, die immer eher vorsichtig sind. Ich bin ein neugieriger Mensch, ich bin ein Forscher und ich will mir selbst ein Urteil bilden.

Die Gruppe [gemeint ist die Burschenschaft] hat mir versichert, im Rahmen des Grundgesetzes zu handeln. Es gibt auch keine offizielle Stelle, die etwas anderes sagt. Eine sehr wichtige Frage ist also, wer die Kompetenz hat, einer Gruppe Rechtsradikalismus zu bescheinigen. Und das, was mir zugetragen wurde, war einfach zu dünn und zu unsicher als Material. Wenn ein Richter ein Urteil über die Burschenschaft fällen müsste, könnte er das ganz sicher nicht anhand dieser Materialien tun.

Ich geh davon aus, dass nur das Bundesamt für Verfassungsschutz und vermutlich auch der Zentralrat der Juden in Deutschland den Zugang hätten, um diese Frage zu klären.
 

Sie haben in Ihrer ersten Stellungnahme bei Facebook etwas ironisch geschrieben - ich zitiere: "Ich mag ein seltsames Verständnis von Demokratie haben…" Meinen Sie damit, dass Sie Ihren eigenen Kopf benutzen, um Urteile zu fällen?

Ja. So war ich immer: ich tue etwas oder ich lasse es, wenn ich davon überzeugt bin. Ich bin sehr dankbar für Kollegen und Freunde - und es waren sehr enge Freunde, die sich eingeschaltet haben und ich nehme ihre Ratschläge sehr ernst - aber ich brauchte klare Belege und ich brauchte Zeit, um selbst zu recherchieren.

Wenn man mit wirklich radikalen Menschen diskutiert, gewinnt man manchmal wenigstens neue Erkenntnisse.

Dieser Reflex in Deutschland, sofort für etwas oder dagegen zu sein, macht es schwer. Ich bin seit vielen Monaten nicht mehr in Deutschland und dadurch merke ich: es herrscht hier eine völlig andere Diskussionskultur als in England oder den USA. Ich verstehe die Vorsicht und Befindlichkeit wegen der deutschen Geschichte - aber ich finde, zur Demokratie gehört eine freie Diskussionskultur. Dazu gehört auch, mit Menschen zu diskutieren - auch wenn sie ein merkwürdiges Geschichtsverständnis haben - solange diese Leute sich nicht rassistisch äußern und das nicht politisch umsetzen, was sie über die Geschichte denken.

Das ist mein "seltsames Verständnis" von Demokratie.

Ich mag auch diesen Konsens im Geschichtsverständnis nicht unbedingt. Es mag sein, dass es die richtige Geschichtsauffassung ist - aber das bedeutet nicht, dass andere Menschen nicht anders über die Geschichte denken können. Solange es nicht zur Verherrlichung von Kriegsverbrechen oder Leugnung des Holocaust kommt. Man darf Menschen nicht für ihre Gesinnung bestrafen, sondern für ihr politisches Auftreten und dessen Konsequenzen.
 

Doch gerade dieses Verherrlichen von Kriegsverbrechen geschieht durch die Burschenschaft. Auf deren Facebookseite findet sich zum 70. Jubiläum des Kriegsendes am 8. Mai dieser Text: "Unsere Geschichte kennt keine Befreier. Sie kennt mutige Männer, selbstlose Frauen und Mütter, starke Familien sowie ein stolzes, unerschütterliches Volk. Alliierte Mythen vergessen" ergänzt durch den Kommentar "Unsere Alten haben den Krieg zwar verloren – aber wie! Die ganze Welt hat sich gegen ein kleines Land in Mitteleuropa verbündet, die größten und mächtigsten Länder dieser Erde mussten alles aufbieten, dieses umzingelte Deutschland zu Boden zu ringen. Unter Soldaten zählt der Sieg eine Menge, aber mehr noch zählt der Mut, der Anstand und das Soldatentum des Einzelnen auf dem Gefechtsfeld." Das ist doch deutlich grenzwertig.
Andererseits verstehe ich: Sie wollen nicht den einfachen Weg gehen. Sie haben ja die Burschenschaft dann mit den acht Fragen öffentlich zu einer Stellungnahme gebracht, von deren Beantwortung Sie ihre Entscheidung abhängig machen wollten.

Das hat keiner vorher geschafft. Es war von mir auch nicht bösartig gemeint, sondern ich habe mir zwei Dinge gedacht: wenn die Burschenschaft diffamiert wurde, dann hat sie hier die einmalige Chance, sich öffentlich von diesen Vorwürfen zu befreien und klarzustellen, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes steht.

Es gab zwei Möglichkeiten: entweder waschen sie sich rein und stellen klar, wie sie tatsächlich denken oder sie stolpern und entlarven sich selbst, falls sie tatsächlich keine Demokraten sind. Das Urteil darüber kann jeder für sich selbst fällen - da ich die Fragen und die Antworten öffentlich gemacht habe.
 

Es sind ja tatsächlich nur sieben Antworten auf die acht Fragen…

…die ersten beiden[1] haben sie zusammengefasst. Das fand ich natürlich sehr problematisch. Eine Frage zu Hitler kann man sehr leicht beantworten, wenn man tatsächlich ein Humanist und ein Demokrat ist. Das war ein Stolperstein, den ich nicht vorausgesehen habe.
 

Für mich war auch die Antwort auf die fünfte Frage: "Darf auch ein Deutscher ägyptischer Abstammung Mitglied bei der Burschenschaft Germania Marburg werden?" sehr interessant. Denn in der Satzung der Burschenschaft heißt es: "Um Mitglied werden zu können, muss man männlich sein und dem deutschen Volk angehören."

Das war dann auch für mich die Entscheidung: Wenn sie mir die Frage - so wie geschehen - abschlägig beantworten, dann steht für mich eindeutig fest, dass ich dort nicht auftreten kann. Wenn ich nicht gut genug bin, um in einem Verein mitzumachen, dann bin sich sicher auch nicht gut genug, um bei diesem Verein zu reden. Vor allem nicht zum Thema Islam.

Das haben sie auch verstanden und deshalb kamen sie mit dieser Absage meiner zuvor.
 

Was hätten Sie getan, wenn die Burschenschaft nicht die Veranstaltung von sich aus abgesagt hätte?

Ich hätte dann auf die Antworten des Verfassungsschutzes und des Zentralrats der Juden gewartet. Dann hätte ich das alles ausgewertet.

Wie gesagt; ich neigte dazu, dorthin zu gehen und die richtigen Worte zu wählen. Ich bin nicht dumm. Und ich trete nicht zum ersten mal auf. Ich kann mein Publikum gut "riechen" - beim ersten Ablauf erkenne ich, ob Menschen da sind, die mitdiskutieren wollen, die sich informieren wollen oder die gekommen sind, um sich ein bestimmtes Bild zu bestätigen.

Ich geh mit meinem Publikum entsprechend um und ich dreh den Spieß - wenn nötig - auch um.
 

Es gibt bei dieser Lesereise offensichtlich auch noch eine Veranstaltung bei der AfD im Lauenburgischen. Wie können Sie das erklären? Das ist doch definitiv die politisch andere Seite, mit der Sie da diskutieren wollen...

...ja; warum soll ich nur mit Menschen diskutieren, die meiner Meinung sind? Was macht das für einen Sinn, dass man nur mit Gleichgesinnten spricht? Wie ich schon gesagt habe: Ich rede mit jedem, der auf dem Boden der Demokratie steht, der nicht zu Gewalt aufruft und der auch diskussionsbereit ist.

Die Tatsache, dass ich über den islamischen Faschismus spreche, bedeutet nicht, dass ich nicht auch konstruktiv über Muslime in Deutschland insgesamt rede. Zum Beispiel über die Art und Weise, wie man über sie diskutiert.

Bin ich als Islamkritiker denn unglaubwürdig, wenn ich sage, man kann die Muslime nicht alle über einen Kamm scheren? Es gibt die Ideologie und es gibt den politischen Islam - und es gibt die Mehrheit der Muslime, die im Alltag ihrem Leben ganz normal nachgehen.

Wir sollten nicht immer nur über IS und Al-Kaida sprechen - wir reden hier über Menschen und es gibt einen Unterschied - den ich immer wieder betone - zwischen Ideologie und den Menschen. Das muss man in der Politik berücksichtigen und in der Sprache. Die AfD ist eine zugelassene politische Partei - und eindeutig nicht meine Partei - aber es handelt sich um eine Partei, die öffentlich auftritt, die sich im Augenblick gerade im inneren Konflikt und mitten in einer Richtungsdiskussion befindet. Warum soll ich die boykottieren? Ich kann durch meine Arbeit vielleicht dazu beitragen, dass die Diskussion innerhalb der AfD gesünder verläuft in Sachen Islam.
 

Herzlichen Dank für das Gespräch.
 

Das Interview führte Frank Nicolai für den hpd.
 


[1] Die Fragen lauteten: 1. Ist Hitler für Sie ein Verbrecher und Massenmörder? 2. Wie stehen Sie zum Nationalsozialismus und zum Dritten Reich insgesamt?
Antwort: Da wir keine rückwärtsgewandte Burschenschaft sind, sondern uns mit den Problemen und Themen unserer Zeit beschäftigen wollen, spielen das dritte Reich und Hitler, wie auch allgemein die deutsche Geschichte für uns nur insofern eine Rolle, wie wir daraus realistische Lehren und Handlungsmaximen für unser heutiges Handeln ableiten können. Wir lehnen es ab mit etwas in Verbindung gebracht zu werden oder uns für etwas zu rechtfertigen, das in unserem Selbstverständnis als Burschenschaft, noch für die Lösung unserer heutigen Probleme, einfach keine Rolle spielt.