Verschwörungstheorien

Erkenntnistheoretische Aspekte des Verschwörungsdenkens

BONN. (hpd) Der Philosoph Karl Hepfer arbeitet in seinem Buch "Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft" entgegen des Untertitels hauptsächlich die erkenntnistheoretischen Dimensionen von Konspirationsvorstellungen auf. Dies geschieht mitunter ein wenig essayistisch und unsystematisch, bringt aber Analyse und Forschung weiter.

Auffassungen über fiktive Konspirationen, die man allgemein als "Verschwörungstheorien" bezeichnet, sind eher selten Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Es gilt vielen Historikern und Sozialwissenschaftlern als anrüchig, sich näher mit derartigen Behauptungen mit geringem intellektuellen Niveau zu beschäftigen. Diese Einstellung ignoriert indessen häufig die gesellschaftliche und politische Relevanz der skurrilen Vorstellungen.

Eine derartige Einsicht führte daher in den letzten Jahrzehnten zu einer stärkeren Forschung zu "Verschwörungstheorien". Dabei fanden erkenntnistheoretische Aspekte häufig nicht genügend Aufmerksamkeit, stellten die Autoren einschlägiger Darstellungen doch mehr auf die historisch-politische Wirkung ab. Der Philosoph Karl Hepfer, Dozent an der Universität Erfurt, will diese in seinem Buch "Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft" stärker thematisieren. Ihm geht es "um theoretische Grundstrukturen und um die systematische Frage, wie diese unsere Wahrnehmung die Wirklichkeit formen" (S. 13).

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile, die jeweils aus einer abstrakten Erörterung und einem konkreten Fallbeispiel bestehen: Zunächst behandelt sie die wissenschaftstheoretischen Auffälligkeiten, also etwa die Arbeit mit manipulativen Analogieschlüssen, das Bemühen um einfache Erklärungen oder das Postulieren von geschlossenen Dogmen. Für Hepfer bilden sie den Ausdruck eines "vormodernen Weltbildes", das noch nach "absoluten und letztgültigen Antworten auf die Fragen der Welt" suche. Auffassungen im Sinne des Verschwörungsdenkens lieferten "einfache und umfassende ‘Erklärungen’ und teilten die Welt klar in Gut und Böse" (S. 91). Der zweite Teil beschäftigt sich mit typischen inhaltlichen und praktischen Kennzeichen des Verschwörungsdenkens. Dabei verweist der Autor auf Aspekte wie den Anspruch auf Allmacht, den Glauben an den Mythos oder die Projektion des Verborgenen. Er arbeitet dabei auch die "pragmatischen Strategien der Plausibilisierung" heraus, etwa dadurch, "dass sie in kleinen Schritten vorgehen" (S. 135).

Bilanzierend betont Hepfer die Notwendigkeit, sich mit "Verschwörungstheorien" auch erkenntnistheoretisch näher zu beschäftigen: "Erstens gibt es tatsächlich kein Argument, um sie pauschal zu widerlegen. … Zweitens ergibt die Beschäftigung mit dem Aufbau und den theoretischen Strukturmerkmalen von Verschwörungstheorien (…) eine Reihe interessanter Einsichten auch für unsere gewöhnliche Theoriebildung … Darüber hinaus erlaubt uns die theoretische Analyse, drittens, eine Standortbestimmung des individuellen und des kollektiven Bewusstseins" (S. 144). Darüber hinaus hebt der Autor eine Fülle von Besonderheiten und Funktionen des Verschwörungsdenkens hervor: Dieses ordnet durch die "Interpretation der Ereignisse die Wirklichkeit (…) zu einem sinnvollen Ganzen, das einem Plan folgt." Dabei funktionierten derartige Auffassungen "deshalb so hervorragend, weil sie gekonnt an entwicklungsgeschichtlich ältere und unter anderen Bedingungen einst sehr erfolgreiche Bewältigungsstrategien des Menschen anknüpfen" (S. 148).

Der Blick ins Literaturverzeichnis macht deutlich, dass Hepfer die bisherige Fachliteratur zu Verschwörungsauffassungen nur eingeschränkt zur Kenntnis genommen hat. Viele Ausführungen zu den Funktionen der Konspirationsauffassungen finden sich dort bereits und sind keine originäre Erkenntnis von ihm. Indessen hat Hepfer offenkundig tatsächlich nicht abgeschrieben, sondern ist nur auf die gleichen Ideen gekommen. Bei seinen Beispielen wirft er indessen reale Verschwörungen, vermutete Verschwörungen, fiktive Verschwörungen und mythische Verschwörungen durcheinander. Dadurch passen manche Fälle nicht zur Analyse: Bezogen auf die Ermordung von John F. Kennedy besteht tatsächlich noch Unklarheit, hinsichtlich einer Konspiration von Illuminaten verhält es sich ganz anders. Dies sieht auch Hepfer, nutzt diese Erkenntnis aber nicht zur Auswahl und Sortierung seiner Beispiele. Seine Darstellung erfolgt aus der Perspektive eines philosophischen Essays, der hier und da aber mehr Systematik verdient hätte. Gleichwohl bringt sein Band die Forschung mit voran.

Karl Hepfer, Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft, Bielefeld 2015 (transprict-Verlag), 189 S.